Theologie und Naturwissenschaften Ein (Miss)verständnis auf dem Prüfstand – oder: Wer leistet eigentlich was?

Naturwissenschaftliche Erkenntnisse und theologische Aussagen werden oftmals als unvereinbar dargestellt. Und doch kann es gelingen, beides miteinander zu vereinen.

Der amerikanische Professor für Ökologie und Evolution Jerry Coyne hat jüngst in einem Artikel, der von der deutschen Onlinezeitschrift Krautreporter wiederveröffentlicht wurde, von einem »Krieg zwischen Wissenschaft und Religion« gesprochen und jedwede Vereinbarkeit beider Felder als ausgeschlossen betrachtet. Zahlreiche Menschen können beides aber sehr wohl miteinander vereinen. Meines Erachtens unterliegt die Aussage Coynes einem Missverständnis.

Konkurrenten um die Wahrheit?

Es erscheint mir daher hilfreich, zunächst das Feld zu sortieren, um herauszufinden, worum es in der Debatte um das Verhältnis von Naturwissenschaften, Religion und Theologie tatsächlich geht. Naturwissenschaften (englisch: sciences) und Religion stehen, miteinander verglichen, in einem asymmetrischen Verhältnis, denn eine Wissenschaft ist eine Reflexionsstufe: Religion erfährt wissenschaftliche Reflexion in der Theologie – die man eher noch in einem Konkurrenzverhältnis zu den Naturwissenschaften wähnen könnte. Die Konkurrentin auf Augenhöhe ist also die Theologie. Bei Lichte betrachtet zeigt sich jedoch, dass es sich dabei nur dann um ein Konkurrieren um Wahrheit handelt, wenn man das Verhältnis unter der Prämisse betrachtet, dass beide Wissenschaften dieselbe Funktion hinsichtlich derselben Objekte wahrnehmen. Das ist aber nicht der Fall.

Dass Wissenschaft sich anschickt, die Welt zu erklären, wird niemand bestreiten, der im Wissenschaftsbetrieb tätig ist. Gleichwohl ist Wissenschaft als übergeordneter Begriff einer, der –  analytisch betrachtet – in (mindestens) zwei Felder zerlegt werden kann: Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften sowie diejenigen Gebiete, die eine Zwischenstellung einnehmen und mal der einen, mal der anderen Seite zugerechnet werden. Eine Bruchlinie in die Wissenschaftswelt zwischen Natur- und Geisteswissenschaften einzuzeichnen, mag also aufgrund bestimmter Augenfälligkeiten in der naturwissenschaftlichen Forschung – wie dem Labor als Arbeits- und Erkenntnisort für durch empirische Maßnahmen reproduzierbare und falsifizierbare Theorien und den praktischen Auswirkungen der Forschungsergebnisse – nahe liegen.

Unterschiedliche Weltzugänge

Der theologische Zugang zur Welt ist ein hermeneutischer, der sich weder durch eine einzige theologische Methode auszeichnet noch als ein einheitliches Wissenschaftsgebäude artikuliert. Theologie bedient sich der Methoden einer ganzen Reihe von Fächern und weist auch Schnittstellen zur quantitativ-empirischen Forschung auf. In der Theologie geht es darum, die Welt und unser Erleben in ihr vor dem Hintergrund des christlichen Bekenntnisses zu deuten. Diese Deutung vor dem Hintergrund von Glaubensaussagen ist aber eine, die dynamisch auftritt. Es gibt nicht das christliche Verständnis der Welt. In den Naturwissenschaften geht es hingegen darum, theorie- und methodengeleitet Erkenntnisse und darauf aufbauendes Handlungswissen zu gewinnen.

Der Philosoph Hermann Lübbe spricht von Religion als Kontingenzbewältigungspraxis – in der christlichen Theologie würde somit ein menschliches Grundanliegen in seiner Ausprägung als Christentum wissenschaftlich strukturiert und reflektiert und die Ergebnisse auf die Welt und die Glaubenden in ihr angewandt, zum Beispiel durch die Gestaltung der Welt durch Christinnen und Christen in gesellschaftspolitischer Hinsicht, oder – wesentlich basaler – im Gottesdienst. Auch das Erkennen-Wollen hinsichtlich von Phänomenen des Lebens und der Natur kann als Kontingenzbewältigung aufgefasst werden: Im Gegensatz zu einer Deutung werden in den Naturwissenschaften Erklärungen in Form von Theorien gewonnen, deren Ergebnisse aber wiederum auch auf die Welt angewandt werden können, zum Beispiel in Form von Therapien für Krankheiten oder als Wissen um den anthropogenen Klimawandel und die Möglichkeiten, mit dessen Folgen umzugehen. Beide Wissenschaften teilen das implizite Grundanliegen, einen Umgang mit der Welt ermöglichen zu wollen.

Miteinander, nicht gegeneinander

Man könnte nun einen wahrgenommenen Konflikt auf die divergierenden Wissenschaftskulturen zurückführen. Der britische Wissenschaftler und Schriftsteller C. P. Snow prägte die Rede von den Zwei Kulturen der Wissenschaft, die sich einander mit Unverständnis gegenüberstehen würden. Wenn Snow jemals richtig gelegen haben sollte – dann wäre spätestens in der Gegenwart die Widerlegung durch einen Blick in die Wirklichkeit der Wissenschaften, und zwar in die aller, nicht nur die der sciences, vollbracht. Geistes- und Naturwissenschaften finden zunehmend im interdisziplinären Austausch zusammen. Das ist nicht nur über die Schnittstelle der Ethik vermittelt, in der infolge des biotechnologischen und medizinischen Fortschritts der vergangenen fünfzig Jahre in größerem Maße als davor Fragen nach dem Menschsein, nach Autonomie und nach den Grenzen menschlichen Handelns an Bedeutung gewinnen. Die Zusammenarbeit ergibt sich auch, weil in den Naturwissenschaften Problemlagen zu Tage treten können, die aus den betroffenen Wissenschaften heraus nicht mehr eigenständig bearbeitet werden können.

Die Frage „Was ist der Mensch?“ kann durch die Biologie nur bedingt beantwortet werden.

Dies lässt sich an einem relativ aktuellen Beispiel verdeutlichen: Die jüngst kolportierten Gerüchte, dass in China Kinder geboren wurden, deren Genom manipuliert worden sei, hat große Wellen geschlagen. Die weitreichenden Konsequenzen kritisch zu analysieren, die ein solcher Eingriff über seine physiologischen Wirkungen hinaus hat, kann nicht allein mit dem biotechnologischen Handwerkzeug bestritten werden. Die Frage Was ist der Mensch? kann durch die Biologie beantwortet werden – allerdings nicht in einem Maße, das dem Menschsein in Gänze gerecht wird. Damit ist nicht gesagt, dass Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftler diese Frage nicht auch selbst in gebotener Tiefe thematisieren können. Sie können es, wenn sie sich der Erkenntnisse und Zugänge geisteswissenschaftlicher – und damit auch theologischer – Forschung bedienen.

Der wechselseitige Blick auf einander

Ein weiterer Zusammenhang von Naturwissenschaften und Theologie wird ersichtlich, wenn die eine Wissenschaft zum Forschungsgegenstand der jeweils anderen wird. Blickt man aus evolutionstheoretischer und stammesgeschichtlicher Perspektive auf die Entwicklungsgeschichte des Menschen, so kann man Gründe dafür angeben, warum sich solche sinnkonstituierenden Systeme ausgeprägt haben, die wir Religion nennen und die wir selbst noch einmal einer sie quasi verwaltenden Reflexion unterziehen. Und von Seiten der Theologie kann man das Wissensstreben der Menschheit, den Drang zu beschreiben, zu erklären und zu gestalten als conditio humana begreifen. Die Inhalte und Zugänge der jeweils anderen Wissenschaftsrichtung lassen sich also zum Objekt der Forschung ihres jeweiligen Gegenübers machen.

Theologie braucht sich vor den Leistungen der Naturwissenschaften nicht zu verstecken. Sie erforscht nicht nur ein kulturelles Erbe von unschätzbarem Gewicht, sondern offeriert über ein Verstehen der Geschichte auch Möglichkeiten der Deutung von Gegenwart und Zukunft über die Grenzen des Christentums hinaus. Zwar ist das Christentum mit seinem Versprechen auf Gnade und Erlösung eine auf die letzten Dinge fokussierte Religion, gleichwohl sind Christenmenschen auch mit dem Hier und Jetzt der Welt konfrontiert und dazu genötigt, Stellung zu beziehen.

Theologie ist nicht das Korrektiv der Wissenschaften

Es besteht allerdings eine Gefahr darin, Theologie als Korrektiv zu anderen Wissenschaften zu betrachten, wie es bisweilen geschieht. Damit würde suggeriert, dass Theologie eine objektiv gültige, normative Generalsichtweise darauf hat, wie die Welt sein soll. Mit einer solchen Korrektivfunktion der Theologie stehen wir mitten auf dem Feld der Ethik.

Christliche Ethik sollte orientieren statt verbieten.

Das Verhältnis von Theologie und Ethik ist aus protestantischer Perspektive keines, über das das letzte Wort bereits gesprochen wurde. Evangelische Ethik zeichnet sich durch eine große Binnenpluralität aus, die es ermöglicht, strittige Fragen wie die Anwendung von Pränataldiagnostik vor dem Hintergrund des christlichen Glaubens durchaus kontrovers und ergebnisoffen zu diskutieren. Es geht vielmehr um ein Orientieren als um ein Verbieten, auch wenn der als technikskeptisch wahrgenommene Protestantismus in Deutschland dies suggerieren mag. Mit einer solchen fortschrittsaversen Haltung würde einer Entfremdung von Naturwissenschaften und Theologie ebenso Vorschub geleistet wie mit einer Übernahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse in den Bereich der Dogmatik. Wenn über die metaphorische Übernahme hinaus Plausibilisierungen für dogmatische Sätze unter Zuhilfenahme naturwissenschaftlicher Erkenntnisse erfolgen, dann wird damit eine weitere Schieflage erzeugt.

Das Ende der Konkurrenz

Es geht nicht mehr – zumindest in der deutschsprachigen akademischen Welt – um eine Konkurrenz von Welterklärungen auf deskriptiver Ebene. Dass die Bibel mit ihren Schöpfungserzählungen nicht in Konkurrenz tritt mit naturwissenschaftlichen Theorien über die Entstehung der Welt und der Arten, wird von den allermeisten Theologinnen und Theologen anerkannt. Stattdessen ergibt sich im Zuge einer Verschiebung der Kräfteverhältnisse ein neues Bild: Ging es einst um die Rettung eines Anspruchs darauf, das Ganze zu deuten, hat mit der Aufklärung und der Säkularisierung ein Prozess eingesetzt, in dessen Folge nicht nur die gesellschaftliche Rolle des Christentums, sondern auch die Theologie im Gefüge der Wissenschaften einen eigenen Platz eingenommen hat.

Auch das Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften hat sich säkularisiert. Die Aufgabe der Theologie ist im Binnenverhältnis von Kirche und Christentum eine andere als im interdisziplinären Umfeld, wo der Bezug auf Bekenntnis und Glaube scheinbar weniger relevant ist. Gleichwohl zeigen viele Theologinnen und Theologen, dass für den Menschen und sein Weltverhältnis auch im interdisziplinären Umfeld das Christentum nicht obsolet wird. Entgegen aller Versuche, christliche Perspektiven auf Welt und Mensch theologisch als vermeintlich statische Größen zu verteidigen und dafür gegebenenfalls auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse in Anspruch zu nehmen, kann das Christentum nicht trotz, sondern wegen seines Heilsversprechens eine befreiende und somit ermöglichende Funktion hinsichtlich der Erklärung und Gestaltung der Welt darstellen. Damit wird aber nicht einem Relativismus oder einem Anbiedern an den Zeitgeist Tür und Tor geöffnet, jedenfalls solange nicht, wie Christinnen und Christen kritische Zeitgenossen sind, die ihre Entscheidungen vor ihrem Gewissen verantworten können.

Ko-Existenz von Erklärung und Deutung der Welt

Trotz der Rede Jerry Coynes vom »Krieg zwischen Religion und Naturwissenschaft«, die der Herausgeberkreis der Krautreporter auch für den deutschsprachigen Bereich als relevant erachtet, ist festzustellen, dass in der gegenwärtigen akademischen Debatte von einer fundamentalen Opposition von Theologie und Naturwissenschaften nicht die Rede sein kann. Zwischen naturwissenschaftlicher Erklärung und theologischer Deutung von Welt und Leben gibt es bei aller Verschiedenheit Berührungspunkte, die im interdisziplinären Austausch auf dem Gebiet der Ethik akut werden.

Pragmatisch und mit einem Augenzwinkern könnte man mit Blick auf die Streitigkeiten zwischen den Wissenschaften anmerken, dass die Naturwissenschaften der Theologie nicht die Deutungshoheit, sondern die Forschungsgelder streitig machen. Das wäre aber an anderer Stelle zu diskutieren.

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