Der Pfarrer und der Naturwissenschaftler Nachträge zu einseitigen Gesprächen

Religion? Durch die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse überholt. Der Glaube? Nur noch eine Krücke für schwache Menschen. Das naturwissenschaftliche Weltbild lässt bei vielen Menschen keinen Platz mehr für Gott. Und sie können sich gar nicht vorstellen, wie man noch anders denken kann.

„Wissen Sie, Herr Pfarrer, ich bin Naturwissenschaftler“. So sprach der junge Arzt beim Besuch seines Gemeindepfarrers zur Vorbereitung der Taufe seines Kindes. Er sei kein Kirchgänger, aber die Familie verstehe sich als „evangelisch“. Sein Kind solle doch auch in dieser Tradition der Werte und Bräuche unseres Landes und unserer Kultur aufwachsen. Wie der junge Mensch dann einmal seine christliche Erziehung im eigenen Leben praktizieren wolle, bleibe ihm überlassen, das sei einmal die eigene Entscheidung des jungen Menschen. Er halte es ja auch so, er verstehe sich heute als Naturwissenschaftler, eingebunden und geprägt durch wissenschaftliche Nüchternheit, Klarheit und Disziplin. Es gebe ja wohl eine gewichtige und tragende Basis unserer Werte in Gesellschaft und Familie, repräsentiert und getragen noch immer von den Kirchen und der in ihnen gepflegten Kultur. Aber faktisch seien es Naturwissenschaft und Technik, die den Takt der Entwicklung im realen Leben in Beruf und Gesellschaft vorgeben. Eine realistische und nüchterne Sicht auf unsere moderne Welt erlaube eigentlich keine andere Einstellung. So gab er mir im Laufe des Gesprächs zu verstehen.

Naturwissenschaftliche Rationalität und weltanschaulicher Mainstream

Leider gab mir der junge Arzt, der natürlich seinen Terminplan eng getaktet hatte, keine Gelegenheit, meinerseits um Klärung dieser für mich bemerkenswerten Aussage zu bitten. Er ging offenbar davon aus, mit dieser Stellungnahme eine ziemliche Selbstverständlichkeit wissenschaftlich gebildeter und arbeitender Menschen zu vertreten. Und er ging offenbar auch davon aus, auf selbstverständliche Zustimmung bei – ja, auch bei mir, dem Pfarrer – hoffen zu können.

Gern hätte ich die rasch dahin gesagten Sätze ein wenig näher erläutert bekommen: Gewiss, Naturwissenschaft heute, das bedeutet für viele: Maßstab und Norm für die Rationalität unserer abendländischen Kultur, für unseren Fortschritt in Wissenschaft und Technik, der unsere Lebengrundlage darstellt. Aber offenbar begegnet der weltanschauliche Mainstream, den dieser so bestimmte Normen und Wertekanon prägt, der religiösen, biblisch-christlichen Werte- und Glaubenstradition mit einer generellen Abschätzigkeit. Die offensichtliche Selbstverständlichkeit, mit der dieses weit verbreitet Urteil das Denken vieler Zeitgenossen bestimmt, fordert einen Theologen und Christen zum Widerspruch heraus. Und er ist dabei nicht ohne gewichtige Bundesgenossen, längst nicht nur in der Theologie.

Gott ist kein Naturwesen

Da wäre für mich zunächst ganz einfach zu fragen: Naturwissenschaft – gewiss, sie hat es mit den Phänomenen und Problemen der uns umgebenden Natur, Umwelt, ja des Kosmos zu tun, zu der wir selbst als Naturwesen gehören und in die wir „natürlich“ eingebunden sind. Aber wenn wir als Christen und Theologen von einer Dimension unserer Erfahrung reden, die wir „Gott“ nennen – so beziehen wir uns eben gerade nicht auf ein Naturphänomen. Gott ist kein Naturwesen – eine kategoriale Vermischung würde das darstellen. Eine theologische Banalität nach meinem Verständnis. Das aber ist offenbar schwer zu vermitteln.

Zeugen für die Grenzen naturwissenschaftlichen Denkens

Die schnellen Gedanken eines Pfarrers und Theologen, die da sofort im Gespräch auftauchen – aber eben stumm bleiben mussten und nicht weiter diskutiert werden konnten. Gerne würde ich ein solches Gespräch mit den naturwissenschaftlichen Selbstverständlichkeiten unserer wissenschaftlichen Eliten führen – Grund zu intensiver Nachfrage gäbe es ja doch wohl genügend. Eine merkwürdig diffuse, unklare Gesprächslage stand da im Raum: Ja weiß er denn nicht, so schoss es mir durch den Kopf, dass sich längst das alte materialistische und mechanistische Paradigma, das die Naturwissenschaft lange prägte, verändert hat? Gab es da nicht große und bedeutende Denker, die religiöse und wissenschaftliche Fragen gut aufeinander beziehen konnten – Carl Friedrich von Weizsäcker beispielsweise, der große Arzt, Naturwissenschaftler und Theologe Albert Schweizer, eine auch heute noch weithin bekannte Persönlichkeit. Der Münchner Physiker Hans Peter Dürr, der in zahllosen Büchern und Vorträgen auf die „Notwendigkeit eines neuen Denkens für eine Welt im Umbruch“ sprach und immer wieder eindrücklich auf die Vernetzung aller Lebenszusammenhänge verwies, die sich eben nicht zerschneiden und isoliert analysieren ließen. Nicht zu vergessen ist der große Namen von Werner Heisenberg. Alles Denker, die nicht zuletzt unter den gewaltigen Folgen von technisch herstellbarer Zerstörungsenergie des Krieges auf die Grenzen und die Relativität naturwissenschaftlichen Denkens und Handelns hinwiesen.

Gemeinsamer Nenner: Würde und Verantwortung

Wir mussten bei meinem Besuch über praktische Fragen der Taufe reden. Am ehesten war noch beim Nachdenken über den Taufspruch und seine Bedeutung Inhaltliches anzusprechen und zu bedenken, was die Taufe bedeute, welchen Werten sie verpflichtet ist, welche Lebens- und Glaubenseinstellung sich damit verbindet. Wie wichtig die Paten als Helfer auf und zu einem christlichen Lebensweg seien – und welche Bedeutung die Eltern bei dem Versuch einer christlichen Erziehung hätten. Immerhin gelang es in dieser Gesprächsphase, noch einmal auf die Bedeutung von wissenschaftlichen Idealen und Einsichten für die Lebensorientierung von jungen Menschen zurückzukommen. Darauf schien mein Gesprächspartner durchaus ansprechbar zu sein: Wie zentral für eine humane Gesellschaft die christlichen Grundwerte der Würde und der gegenseitigen Verantwortung als unbedingte Grundsätze des christlichen Menschenbildes sind.

Zu wenig – zu wenig christliches Profil? Es ist nach meiner Überzeugung nicht zu wenig, wenn auf dieser Ebene der Lebensgrundsätze zentrale Elemente des christlichen Wertekanons respektiert und anerkannt sind. Dies bietet zumindest eine Basis, auf der man auch über Grenzen hinweg gemeinsam die Welt gestalten und miteinander ins Gespräch kommen kann.

Religion als „Krücke“

Eine andere für mich denkwürdige Begegnung war der Besuch bei einem älteren Ingenieur anlässlich eines runden Geburtstages. Etwas kühl wurde ich empfangen, der Herr kam rasch zur Sache und erklärte mir: Er erkenne ja an, dass die Kirche noch immer eine wichtige Funktion in unserer Gesellschaft habe, er sehe das an seiner Mutter, die in ihrer Kirchengemeinde gut vernetzt und heimisch geworden sei. Eine alleinstehende Frau, die diese „Krücke“ – so drückte er sich tatsächlich aus – kirchlicher Fürsorge und Begleitung brauche. Er aber sei darüber hinaus. Er brauche das nicht, könne ja dankbar selbständig leben, sein Leben frei gestalten, selbstbestimmt in allen Fragen, die ihn betreffen. Die Kirche und der Glaube seien etwas für schwache Glieder der Gesellschaft – da haben sie ihr Recht, aber dieses mache eben nicht den Lebensanspruch eines selbstbewussten, intelligent und selbstständig denkenden und urteilenden Menschen aus.

Philosophie und Theologie haben ausgedient

Ein prominentes Beispiel sei für ihn der große Physiker Stephen Hawking, der trotz schwerster Behinderung durch seine unheilbare Krankheit mit faszinierender Klarheit bedeutendste Forschungen vorlege und dabei auch zu religiösen Fragen Stellung beziehe: Ich hätte doch bestimmt von seinem Bestseller gehört, ihn vielleicht gelesen: Eine kurze Geschichte der Zeit. Da werde ja festgestellt, dass aus physikalischen Gründen ein Gott für die Schöpfung nicht gebraucht werde. Und überhaupt müsse man heute mit Hawking festhalten: Traditionell seien die viel genannten „letzten Fragen“ über das Woher und Wohin des Menschen, den Ursprung und Sinn des Lebens Fragen der Philosophie. „… Doch die Philosophie ist tot. Die hat mit den neueren Entwicklungen in der Naturwissenschaft, vor allem in der Physik, nicht Schritt gehalten. Jetzt sind es die Naturwissenschaftler mit ihren Entdeckungen, die die Suche nach Erkenntnis voranbringen.“ So Stephen Hawking. Was von der Philosophie gelte, das gelte erst recht von der Religion.

Die unaufgeklärte Enge des naturwissenschaftlichen Weltbildes

Das war für mich, so empfand ich, ein unerfreulicher Belehrungsversuch an dem ansonsten von meinem Gegenüber durchaus als gutwillig wahrgenommenen Pfarrer, der aber offenbar für solche Einsichten nicht aufgeklärt und offen sein konnte oder wollte. Eine gewisse Fassungslosigkeit über die unaufgeklärte Enge eines solchen naturwissenschaftlich geprägten Selbst- und Lebensverständnisses blieb mir im Gedächtnis und beunruhigt mich bis heute. Muss man nicht in vergleichbarer Weise die weltanschauliche Situation unserer Gegenwart charakterisieren, die in einer atemberaubender Weise durch den sog. wissenschaftlichen Fortschritt in vielen Bereichen der physikalischen Grundlagenforschung (z.B. der Nachweis des Higgs-Teilchens) und damit der Teilchenphysik, aber auch im großen astrophysikalischen Forschungsbereich (gab es den „big bang“ überhaupt) geprägt ist? Oder sind ganz andere Weltentstehungs- bzw. kosmologische Theorien heute aktuell, bzw. zumindest intensiv im Gespräch?

Wie Glaube und Naturwissenschaften zusammengehen können

Aber es gibt ja auch die andere Gruppe von Naturwissenschaftlern. Keinesfalls übersehen werden darf die ebenso bemerkenswerte Tatsache, dass immer wieder Persönlichkeiten – auch mit naturwissenschaftlichem Hintergrund – in unseren Gemeinden zu erleben sind, die mit gesundem Selbstbewusstsein, mit spürbarer Überzeugung christliches Engagement praktizieren. Manche nehmen bewusst eine zusätzliche Ausbildung als Prädikanten auf sich, andere leben ein bemerkenswertes Engagement im diakonischen Bereich, in der Telefonseelsorge oder Erwachsenenbildung. Da wird nicht viel erklärt, begründet oder gar zur Schau gestellt. Da leben Menschen ihr Christsein in vielfältigen Aktivitäten von Kirche und Gemeinde, sie übernehmen Leitungsverantwortung in Kirchenvorstand und Synoden ohne viel Aufhebens. Wir erleben sie nicht zuletzt in unserem Verband, der ohne solche Persönlichkeiten an Profil und Substanz verlieren würde.

Der Naturwissenschaftler und Astrophysiker Harald Lesch, bekannter Wissenschaftsjournalist, erklärt ohne Umschweife, er sei „bekennender evangelischer Christ“. Als sein Resümee formuliert er: „… Das Universum scheint ein extrem neugieriges Selbstorganisationsphänomen zu sein, das pausenlos Neues ausprobiert. Und wir, was sind wir? werde ich dann gefragt. Es gibt zwei Antworten, zunächst die kosmologische: Wir sind der Teil des Kosmos, der sich nach sich selbst fragt. Die zweite Antwort finde ich aber noch schöner: Ohne uns würden dem Universum drei wichtige Eigenschaften fehlen: Glaube, Hoffnung und Liebe!“

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1 Gedanke zu „<span class="entry-title-primary">Der Pfarrer und der Naturwissenschaftler</span> <span class="entry-subtitle">Nachträge zu einseitigen Gesprächen</span>“

  1. Klar, man kann auf die Grenzbereiche der Naturwissenschaften verweisen oder auch von völlig verschiedenen, sich nicht überlappenden Wissensgebieten ausgehen. Aber das Problem der biblisch berichteten Wunder (z. B. Wandeln auf dem Wasser, Verwandeln von Wasser in Wein, erst recht die Auferstehung), die weder mit klassischer noch mit Quantenphysik zusammengehen, bleibt. Die Kirche eiert da herum, es gibt keine einheitliche theologische Position dazu, aber als Naturwissenschaftler weiß man, dass es so wie berichtet nicht gewesen sein kann. Dagegen kann man nicht anglauben.

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