Verkündigung heute Herausforderungen und Versuchungen

In der Konkurrenz zur Erzählmaschinerie der Medien hat Verkündigung keinen leichten Stand. Deshalb sollte sich Kirche auf die Botschaft besinnen, die nur sie den Menschen sagen kann: Auf die Rede von Gott, in der Gott selbst zu den hörenden Menschen kommt.

Beim Wort Verkündigung ereignen sich, so ist zu befürchten, bei vielen Zeitgenossen und Zeitgenossinnen wahre Zeitreisen im Kopf. Barthianische Zeugnistheologie der Nachkriegszeit mit Wucht von hohen Kanzeln herabgesprochen, einseitige Belehrung durch lange Monologe alter Männer (schon damals!), so weltfremde wie selbstbewusste Lutheraner erklären die sündige Welt, angestaubt muffige Kirchlichkeit, rauflustige und rechthaberische Evangelikale – all das kommt beim Kopfkino zu Verkündigung in den Sinn. „Verkündigung“ scheint geradezu so etwas wie ein Magnet für negative Vorstellungen von einer altmodischen Kirche geworden zu sein. Haltung zeigen und Aktion ist angesagt. Verkündigung scheint in eine Welt der Kommunikation nicht zu passen.

Krise der Verkündigung

Sollte die Kirche vom Projekt Verkündigung also doch lassen? Ist Verkündigung nicht ein Marker für eine Krise? Für die einen ist deren Randständigkeit Zeichen der Krise, für andere wiederum ist deren widerständige Restexistenz ein Krisenindikator.

Blickt man einige Jahrzehnte oder gar ein ganzes Jahrhundert zurück, so zeigt sich, dass die Krise der Verkündigung eine gewisse Daueraktualität hat. Manchmal habe ich den Eindruck eines Déjà-vu. Es war ja dieser Schweizer Pfarrer, der vor gut 100 Jahren schrieb: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen Beides, unser Sollen und unser Nicht-Können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ (Karl Barth: Das Wort Gottes als Aufgabe der Theologie, 199). So Karl Barth, der letztlich nicht nur die Geistlichen im Blick hat, sondern die besondere Gottesrede aller Christen.

Unser Problem heute ist jedoch, dass selbst die Handhabung dieser Dialektik, dieses Sollens und Nicht-Könnens, immer schwerer von der Hand geht. Die Verkündigung des Evangeliums ist heute mit einer besonderen Herausforderung und einer besonderen Versuchung konfrontiert.

Die Herausforderung

Wir sollten uns nichts vormachen. Die Konkurrenz für die Gottesrede ist in der Zeit der Erzählmaschinerie der Medien übermächtig. Das Kino, das schon lange totgesagte Fernsehen, Netflix, die Internetarchive und Streaming-Kanäle, Hollywood und Bollywood, sie alle bilden eine große Erzählmaschine. Sie ist 24/7, das ganze Jahr und allzeit verfügbar gegenwärtig. Erzählungen von Glück und Scheitern, von Stolz und Scham, von Aufbruch und Krise, von Staunen und Agonie, werden in reicher Variation, in einer Vielfalt von ästhetischen Vorlieben und nonstop angeboten. Das dramatische Ringen der Lebenskräfte miteinander, der Kampf zwischen Gut und Böse und nicht zuletzt die Sehnsucht nach Erlösung wird in tausendfachen Variationen nicht einfach erzählt, nein, emotional anrührend und ergreifend aufgeführt. Starkes Involviert-Sein kann mit schwachen Zumutungsgehalten kombiniert werden.

Die Institutionen des ergreifenden Erzählens besitzen die Macht der Deutung. Sie bestimmen die Wirklichkeit, weil sie Fakten auswählen, diese in Erzählungen deuten und soziale Evidenzunterstellungen organisieren. Was wären wir ohne die Lagerfeuer der vielen Talkshows? Noch nie in der Religionsgeschichte gab es eine solche Konkurrenz der Lebens- und Weltdeutungen. Noch nie gab es ein so einfaches und routinisiertes Überschreiten des Alltags – ohne im Jenseits des Alltags verloren zu gehen. Noch nie in der Christentumsgeschichte sah sich die Kirche einer so unglaublich kreativen, gut finanzierten und sozial verpflichtenden Erzähl- und Erlebnismaschine gegenübergestellt.

Aber es gilt auch: Noch nie in der Geschichte von Theologie und Kirche hat sich eine transzendenzskeptische und moralaffine Theologie selbst so willig einer Konkurrenzkonstellation ausgeliefert, in der sie nur verlieren kann. Für die gelingende Kombination von metaphysischem Flachdachbau und moralischem Hochbau haben die Medien einfach die kreativeren Architekten, die effizienteren Baufirmen und die raffinierteren Baumaterialien. In diese Erzählwelten tauchen die Menschen im Erfahrungsmodus des „Als-ob“ ein.

Aber es ist nicht nur die erzählerische Vielfalt, die Tiefe der Analysen, der lockere Zumutungsgehalt und das wirksame Emotionsmanagement, das die Erzählmaschine auszeichnet. Es ist auch die multimediale Fülle, der gegenüber die Erzählungen der Kirche so karg erscheinen. Inmitten dieser barocken multimedialen Fülle ergreifenden Erzählens, inmitten dieser Mächte der sanften Überwältigung, soll das Evangelium verkündigt werden. Dies ist eine Mammutaufgabe, eine ungeheure Herausforderung inmitten des brutalen Kampfes um Aufmerksamkeit. Spirituelle und organisatorische Chuzpe und Demut, Wagemut und Gelassenheit sind hierzu erforderlich.

Die Versuchung

Und worin besteht die Versuchung? Inmitten der Erzählmaschinerie sind die Kräfte der süßen Verführung nicht weniger stark als die Kräfte der sanften Überwältigung. Wenn die Kirche mit ihrer Verkündigung ganz nahe an den Menschen sein möchte, sollte sie diese tatsächlich mit ihren so fremden Geschichten stören? Ist die Gottesgeschichte in den Menschengeschichten und noch viel mehr die Menschengeschichten in der Gottesgeschichte nicht zu irritierend? Sollten wir uns nicht darüber freuen, dass die gegenwärtige Kultur mit ihren politischen, ökologischen und menschenrechtsorientierten Anliegen eigentlich nichts anderes sagt, als wir selbst zu sagen vermögen? Ist dies nicht wahrhaft tröstend? Ist daher nicht die anstehende Aufgabe, gleichgesinnte Bündnispartner zu suchen?

Welche Geschichte können nur die Christen erzählen?

Die große Verführung liegt im Nachsprechen anderer Geschichten. Die Kirche wird dann in ihrer Verkündigung zum Echo-Raum der politischen und ästhetischen Geschichten. Dabeisein ist dann alles. Was als eigenes bleibt, ist dann die wirksame Dramatisierung, das religiöse Tremolo in der Stimme, die religiös-pathetische Geste, die die politische Bewegung unterstützt. Damit mag die Kirche Applaus, aber ich fürchte, keinen Respekt ernten. Mit diesem kritischen Befund soll nicht in Frage gestellt werden, dass die evangelische Kirche in der Kommunikation von Liebe in diakonischer Arbeit und in der Kommunikation von Hoffnung in vieler Bildungsarbeit nicht Kooperationen aufbauen soll. Die Frage, die im Raum steht wie der sprichwörtliche Elefant, ist: Welche Geschichte können nur die Christen erzählen? Welche Geschichte schulden sie den Menschen, weil eben diese Geschichte sich nicht jedermann erzählen kann? Wenn die Kirche der sanften Überwältigung entgegensteht und der süßen Versuchung widersteht, dann findet sie einen Zugang zu dieser stets so schwierigen und riskanten Sache: Verkündigung.

Die Pointe des Evangeliums

Nicht alles, was in der Kirche getan wird, ist „Kommunikation des Evangeliums“ und daher immer auch irgendwie und irgendwo Verkündigung – so die gegenwärtig so beliebte, letztlich irreführende Formel. Es ist eine notwendige Unterscheidungen verschleifende Formel. Verkündigung des Evangeliums ist etwas sehr Besonderes, auch wenn sie einem steten Wandel unterliegt und Teil einer langen Kommunikationsgeschichte ist. Über die verschiedenen Medien der Verkündigung kann und muss man darum debattieren. Dass sich Redeformen, Rezeptionsformen und Aufmerksamkeitsgewohnheiten verändern, steht außer Frage. Inmitten alles notwendigen und auch zufälligen Wandels hat die Verkündigung als Handlung der Kirche aber eine besondere Pointe.

In der Verkündigung des Evangeliums vergegenwärtigt sich die Kirche Gottes Versprechen.

Wenn das Evangelium verkündigt wird, dann vergegenwärtigt sich die Kirche Gottes Versprechen. In der Verkündigung des Evangeliums formuliert die Kirche mit den Versprechen Gottes eine Hoffnung, die sie selbst nicht im Handeln verwirklichen kann. Und: In der Verkündigung propagiert sich die Kirche nicht selbst. Wenn Menschen das Evangelium verkündigen, dann ereignet sich keine Werbeveranstaltung, sondern dann verweisen Menschen auf den sich vergegenwärtigenden Gott. Verkündigung des Evangeliums ist, und hier waren sich die Reformatoren alle einig, eine solche Rede von Gott, in der Gott selbst zu den hörenden Menschen kommt, der Gott in Christus. In diesem unverfügbaren Geschehen kommt Gott in das Leben von Menschen als Befreier, Aufrichter, Kritiker und nicht letztlich als ungleicher Partner. In eine trostlose Welt kommt Gott als Tröster – das ist der unglaubliche Anspruch. Als Lebendiger kommt er in das Leben von empirischen Menschen. Nicht eine Lebenskraft wird in der Verkündigung ansichtig gemacht und geweckt, sondern der von Christus vergegenwärtigte barmherzige Gott kommt als wirksamer Geist in wirkliches Leben von Menschen. Dann werden aus erzählten Stories lebensverwandelnde und Leben tragende Histories.

Gegenwelt des Gottesdienstes

Die Verkündigung des Evangeliums durch alle Christenmenschen braucht die Gegenwelt des Gottesdienstes. In dieser sehr speziellen gottesdienstlichen Gegenwart, dieser Gegenwelt, verkündigen Christen so manches, was noch aussteht – die kommende Heiligung von Gottes Namen, das kommende Reich Gottes, die kommende Realisierung von Gottes Willen im Himmel wie auf Erden, die kommende Erlösung von dem Bösen, eine Welt ohne Schuld, voller Vergebung und frei von Versuchungen – und ganz irdisch materiell das notwendige Brot. „Als-ob“ das alles wahr sei, das feiern Christen. Spötter, aus denen die Wahrheit spricht, mögen sie für Märchenerzähler halten. Wer verkündigt, kann mit diesem Vorwurf leben. Es ist diese Gegenwelt, in der Christen stellvertretend für viele, trotzig, verwegen, wagemutig und protestierend, aber auch tastend-vorsichtig, wartend und hoffend glaubend Unglaubliches verkündigen: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ In einer aus To-Do-Listen gebauten Welt ist dies eine so befreiende wie mobilisierende paradoxe Intervention. Darum ist wahre Verkündigung Verkündigung des Evangeliums.

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Günter Thomas: Im Weltabenteuer Gottes leben. Impulse zur Verantwortung für die Kirche. Evangelische Verlagsanstalt Leipzig, 3. Aufl. 2021, 368 S.

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