Ökumene im Halbschatten Der Weltkirchenrat sucht nach seiner neuen Rolle

Gut 70 Jahre nach seiner Gründung wird der Weltkirchenrat 2021 erstmals in Deutschland tagen. Doch die Zeiten, da der ÖRK mit Aktionen und Kampagnen auch über kirchliche Kreise hinaus Aufmerksamkeit erregte, sind vorbei. Seine neue Rolle hat der ÖRK noch nicht gefunden.

In kirchlichen Kreisen ist die Nachricht mit Begeisterung aufgenommen worden, darüber hinaus wurde sie kaum wahrgenommen: Ende Juni wurde bekannt, dass im baden-württembergischen Karlsruhe 2021 Christen aus aller Welt zusammenkommen. Der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) hat sich für die badische Metropole als Ort für seine nächste Vollversammlung entschieden. Diese hat sich damit gegenüber dem südafrikanischen Kapstadt durchgesetzt. Wäre es eine große Sportveranstaltung, hätte ganz Deutschland gejubelt.

Gut 70 Jahre nach seiner Gründung wird der Weltkirchenrat nämlich erstmals in Deutschland tagen. Rund 4.000 Vertreter/innen aus 350 protestantischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen werden zu dem zehntägigen öffentlichen Treffen voraussichtlich im September 2021 erwartet. Die katholische Kirche ist nicht Mitglied des ÖRK. Die bislang letzte Vollversammlung fand 2013 im südkoreanischen Busan statt.

Prägend für eine ganze Generation von Pfarrer/innen

Nach seiner Gründung im Jahr 1948 in Amsterdam kam die Vollversammlung des ÖRK bislang nur einmal in Europa zusammen, 1968 im schwedischen Uppsala. Die Vollversammlung tagt etwa alle acht Jahre. 2021 werden die Veranstaltungen in Karlsruhe und Straßburg stattfinden, womit es sich um die erste grenzüberschreitende Vollversammlung des ÖRK handeln wird. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland Heinrich Bedford-Strohm erklärte, er erwarte sich „wichtige Impulse für einen lebendigen, fröhlichen und weltzugewandten Glauben“.

Das klingt recht unverbindlich, wie bei einem großen Kirchentag. Dabei ist in Deutschland eine Generation von Pfarrerinnen und Pfarrern in den 70er und 80er Jahren entschieden geprägt worden vom ÖRK und seinen durchaus auch umstrittenen politischen Kampagnen. Heute sind die Kreise der Unterstützer meist überaltert und eher unbedeutend. Oft nur noch von kirchlichen Experten wird diese internationale Orientierung gepflegt, in den Gemeinden ist sie nahezu verschwunden. Früher pilgerten Theologen aus Deutschland zu Tagungen nach Bossey und Genf zum Sitz des Weltkirchenrats. Inzwischen weiß kaum noch jemand, dass die Schweizer Stadt Sitz des ÖRK ist.

Von afrikanischen Christen bis zu niederländischen Mennoniten reicht das Spektrum der 348 Glaubensgemeinschaften unter dem Dach des ÖRK. Bei seiner Gründung 1948 schlossen sich vor allem europäische und nordamerikanische Kirchen zusammen. Inzwischen stammt die Mehrheit der Mitgliedskirchen aus dem globalen Süden. Dies deutet auf einen Perspektivwechsel und neue Chancen hin.

Ein weltumspannendes Netz von imposanter Größe

Der Ausgangspunkt zur Gründung des ÖRK ist in den ersten ökumenischen Bewegungen Anfang des 20. Jahrhunderts zu finden. Damals wurde ein Kirchenbund angeregt nach dem Vorbild des Völkerbundes. Dabei will der ÖRK unter seinem Generalsekretär Olav Fykse Tveit keine weltweite „Überkirche“ sein. Der Weltbund vertritt über die Mitgliedskirchen jedoch immerhin rund 550 Millionen Christen. Die römisch-katholische Kirche, obwohl nicht Mitglied, arbeitet seit Ende der 1960er Jahre in wichtigen Gremien wie der „Kommission für Glauben und Kirchenverfassung“ mit.

Die Zahlen zeigen die imposante Größe dieses weltumspannenden Netzes. In Genf liegt der Sitz des Weltkirchenrats direkt neben den großen internationalen Organisationen, wie den Vereinten Nationen und dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Unter demselben Dach hat der Lutherische Weltbund (LWB) seinen Sitz, der zumindest in Deutschland stärker im Bewusstsein ist, nicht zuletzt durch die Erfolge in der Ökumene mit der katholischen Kirche, wie die in Augsburg unterzeichnete „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ sowie die gemeinsame Feier zu 500 Jahre Reformation mit dem Papst im schwedischen Lund.

Krisenmanagement und Konkurrenz

Der aktuelle Generalsekretär Tveit, ein wenig charismatische Lutheraner, ist zu einem nicht geringen Teil mit Krisenmanagement beschäftigt. Zum Beispiel mit den Spannungen zwischen orthodoxen und protestantischen Kirchen. Während die georgischen und bulgarischen Orthodoxen sich ganz von der Ökumene distanzierten, kritisiert vor allem die russisch-orthodoxe Kirche westliche „Fehlentwicklungen“ etwa im Blick auf die Bewertung der Homosexualität, der Frauenweihe und überhaupt des Lebensstils. Sie trifft sich hier mit evangelischen und anglikanischen Vertretern aus dem Süden. Zum inhaltlichen Dissens kam die finanzielle Not hinzu – durch hohe Kosten im teuren Genf, den Wechselkurs des Franken, aber auch eine schwindende Zahlungsmoral der Mitgliedskirchen.

Die deutschen Kirchen zahlen ihren Beitrag und verhalten sich ruhig.

Die Vollversammlung in Karlsruhe könnte ein Meilenstein werden, um den ÖRK wieder ins Bewusstsein zu rücken. Aber dafür müsste erst einmal klar sein, welche Anliegen der Weltkirchenrat heute vertritt und welche Relevanz diese haben. Die deutschen Kirchen zahlen zwar ihren Beitrag, aber verhalten sich ruhig in Sachen ÖRK. Sie beschäftigen sich stärker mit sich selbst angesichts des Mitgliederschwunds. Kritiker sagen, dass der ÖRK nur so stark ist, wie die Mitglieder es wollen. Der Weltkirchenrat hat jedoch auch kirchenintern Konkurrenz bekommen. Früher lief vieles nur über den ÖRK, heute gibt es die ACT Alliance als globale Entwicklungsplattform, das Global Ecumenical Forum oder das Internationale Wasser Netzwerk.

Die Zeit der großen Themen ist vorbei

Dabei waren die Themen des ÖRK über Jahrzehnte bestimmend für einen Großteil der kirchlichen Kultur, wenn es auch dagegen Protest von pietistischer und evangelikaler Seite gab. So wurde in der EKD-Synode von dieser Seite immer wieder heftige Kritik an der finanziellen Unterstützung für den als zu liberal und politisch geltenden ÖRK geübt. Doch diese Konfrontationslinie hat sich beruhigt, seitdem 2011 ein gemeinsamer Ethikkodex verabschiedet wurde. Danach haben sich die christlichen Kirchen bei ihrer Missionstätigkeit auf gemeinsame Richtlinien verpflichtet. Mission müsse von Nächstenliebe, Mitgefühl, Demut und Integrität bestimmt sein, betonen der Vatikan, der Weltkirchenrat und die weltweite Evangelische Allianz, die mit rund zwei Milliarden Mitgliedern immerhin rund 90 Prozent aller Christen weltweit repräsentieren, in dem bemerkenswerten Papier.

Allerdings war dies hierzulande kaum eine Meldung wert. Das war bei früheren Themen anders. Da wurde die Dekade zur Überwindung von Gewalt (ab 2001) ausgerufen, die Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ (ab 1988), der Konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung oder das Anti-Rassismus-Programm (1970). Diese Aktionen wirkten über die Kirche hinaus. Dies mündete in Deutschland in öffentlichkeitswirksame Kampagnen, wie beim Kampf gegen das südafrikanische Apartheidsregime oder beim Konziliaren Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung. Themen wie Gerechtigkeit und Frieden sind weiterhin aktuell, ebenso wie Klimawandel und interreligiöser Dialog, aber es scheint, dass sie von anderen Akteuren öffentlichkeitswirksamer und schlagkräftiger besetzt werden.

Hausgemachte Gründe für den Bedeutungsverlust

Ein bezeichnendes Beispiel für den Verlust an Bedeutung des ÖRK ist dessen Friedenskonvokation zum Abschluss der Dekade zur Überwindung der Gewalt. Aus diesem Anlass versammelten sich 2011 rund 1.000 Kirchendelegierte, darunter allein 120 aus Deutschland, in der jamaikanischen Hauptstadt Kingston. Nicht einmal die Medien vor Ort wollten so recht Notiz nehmen von dem kirchlichen Großtreffen, geschweige denn die internationalen. Die Stimmung war prächtig. Aber am Ende war der Unmut deutlich zu spüren, dass nur unverbindliche Erklärungen verabschiedet wurden. Das sah auch der Afrikaner Grace Kaiso so. Der Weltkirchenrat sei zu zögerlich, kritisierte er und erinnerte an die 70er und 80er Jahre, als der ÖRK klar und deutlich zur Rassentrennung in Südafrika Stellung bezogen hatte. Auch heute müssten die Kirchen überzeugt auftreten und den Krieg verurteilen, sagte der Generalsekretär des Rates der anglikanischen Kirchenprovinzen Afrikas.

Die Friedenskonvokation des ÖRK fand weitestgehend unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt.

Der ÖRK setzte bei der Friedenskonvokation auf so viele Themen, dass am Ende ein „Gemischtwarenladen“ daraus wurde. Auf den Podien wurden Umweltfragen diskutiert, Fragen der Wirtschaftsgerechtigkeit und des Friedens zwischen den Völkern und der Versöhnung im zwischenmenschlichen Bereich. Inhaltlich reichte die Bandbreite vom drohenden Untergang der Insel Tuvalu bis zur Not der Christen im Irak, von sexueller Gewalt gegen Frauen bis hin zur Diskriminierung durch das Kastenwesen in Indien. Ein eindeutiger Schwerpunkt kristallisierte sich in Kingston nicht heraus. Die epd-Redakteurin Barbara Schneider resümierte 2011 in zeitzeichen: „In Kingston gelang es dem ÖRK nicht, über die kirchlichen Kreise hinaus Gehör zu finden. Anders als etwa das Weltsozialforum, das im Grunde genommen ähnliche Themen bespielt, fand die Friedenskonvokation weitestgehend unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit statt“.

Auch die 1998 bei der ÖRK-Vollversammlung in Harare ins Leben gerufene „Dekade zur Überwindung von Gewalt“ selbst, die 2001 mit einem großen Festgottesdienst in Berlin eröffnet worden war, erzielte längst nicht die Breitenwirkung, die sich viele erhofft hatten. „Weder wurde der ÖRK in dieser Zeit als treibende Kraft bei der weltweiten Überwindung von Gewalt wahrgenommen, noch erreichte die Dekade eine breite außerkirchliche Öffentlichkeit“, so Schneider.

Neue Arbeitsfelder und Kooperationspartner

Trotz all dieser kritischen Beobachtungen ist ein zweiter Blick nötig, bevor der Weltkirchenrat als unbedeutend und belanglos abgetan wird. Dazu ist ein Szenenwechsel aufschlussreich: Anfang 2017 herrschte beim nigerianischen Kirchenrat große Aufregung. Denn er empfing eine große Delegation des Weltkirchenrats zum „Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens“. Auch die Präsidentin von „Brot für die Welt“ war dabei. Es gab Gespräche mit den Mitgliedskirchen, aber auch mit Muslimen. Notiz nahm außerhalb Nigerias niemand davon. Aber wie bedeutsam interreligiöse Begegnungen sind, hat inzwischen auch das deutsche Entwicklungsministerium erkannt und daraus einen Schwerpunkt seiner Arbeit in enger Zusammenarbeit mit kirchlichen Hilfswerken gemacht.

Ein weiterer Schwerpunkt des ÖRK ist das Ökumenische Begleitprogramm in Israel und Palästina. Daran beteiligen sich Freiwillige aus aller Welt und setzen sich auch selbst Gefahren aus. Außerdem ist der ÖRK weltweit in Krisenregionen an Friedensgesprächen beteiligt, wie im Südsudan.

Der Weltkirchenrat sucht auch die Verbindung zu christlichen Gruppierungen außerhalb. Als Gesprächsplattform, die auch evangelikale Gruppierungen und Pfingstkirchen einbezog, gründete der ÖRK vor 20 Jahren das „Globale Christliche Forum“. Auch auf der kürzlich veranstalteten Konferenz für Weltmission und Evangelisation in der tansanischen Stadt Arusha bewies der ÖRK seine Fähigkeit, eine gemeinsame Plattform zu bilden für die Weltmission. Hier hat der Weltkirchenrat trotz aller Probleme des Apparats als umfassender Weltbund ein Potenzial, das ausbaufähig ist, und ihm eine neue Rolle als Moderator zuweist.

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