Wozu § 218 StGB? Ein nüchterner Blick auf ein heikles Thema

Der Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung hat die Diskussion um reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin auf die Agenda gesetzt. Die Debatte um § 218 StGB ist bereits in vollem Gange. Doch ist der mit § 218 StGB gefundene Kompromiss nicht vielleicht besser als sein Ruf?

Es steht außer Frage, dass sich die Gesellschaft historisch betrachtet durch Doppelmoral und männlich dominierte Strukturen kein Ruhmesblatt in Sachen vorgeburtlichen Lebensschutzes erworben hat. Obwohl Mann und Frau gleichermaßen (nicht selten der Mann insbesondere) für das Entstehen einer Schwangerschaft verantwortlich sind, hat die Frau vielfach allein die faktischen und sozialen Folgen zu tragen. Schwangerschaft und Geburt sind mit weitreichenden körperlichen Aufopferungen verbunden und die Verantwortungsübernahme für ein geborenes Kind ist eine der tiefgreifendsten (noch immer überwiegend von Frauen übernommenen) Aufgaben. Jede Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs setzt sich damit, so die Kritiker, dem Verdacht einer misogynen Schlagrichtung aus.

§ 218 ff. StGB als Kompromiss zwischen Lebensschutz und Selbstbestimmungsrecht

Mit der „historischen Keule“ paternalistischer Strukturen und dem Faktum, dass sich Männer auf Kosten der Frauen aus der Verantwortung gestohlen haben (und dies noch immer tun!), kann jedoch ein sachlicher Blick auf die zentralen Fragen verbaut werden. Wird die Historie des § 218 StGB allein als „Machtfrage“ zwischen den Geschlechtern gedeutet, so wird der Schutz des ungeborenen Lebens zum Nebenschauplatz. Das Bundesverfassungsgericht hat dagegen mit seinen Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch den Blick auf den „Nasciturus“ gelenkt und in seinem Urteil von 1993 einerseits den Schutz des vorgeburtlichen Lebens als Rechtsgut anerkannt und gleichzeitig einen politischen Weg gebilligt, nach dem faktisch die Entscheidungsgewalt in den ersten 12 Wochen nach der Empfängnis gänzlich in die Entscheidungshoheit der Schwangeren gestellt ist und allein prozessuale Maßgaben den Embryonenschutz – jedenfalls symbolisch – aufrechterhalten. Darüber hinaus gibt es eine sehr dehnbare mütterliche Indikationsstellung, die einen Schwangerschaftsabbruch straffrei sogar bis zur Geburt ermöglicht. Dem Selbstbestimmungsrecht der Frau ist damit weitreichend Rechnung getragen worden.

Während in Bezug auf späte Schwangerschaftsabbrüche (sofern gesellschaftlich von ihnen überhaupt Notiz genommen wird) auch kritische Töne zu hören sind, hat sich die Gesellschaft an die frühen Abtreibungen gewöhnt. Das vom Recht noch eingeforderte Unrechtsbewusstsein schwindet in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und ihm soll nun, so der Wille der Kritiker des § 218 StGB, der gesetzliche Boden entzogen werden.

Regulierung außerhalb des Strafrechts?

Wie ist nun die gegenwärtige Forderung, die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs, jedenfalls des frühen, außerhalb des Strafrechts zu verorten, zu beurteilen? Das Strafrecht stellt das „ethische Minimum“ einer pluralen Gesellschaft dar. Im Bereich der Straftaten gegen das Leben und die körperliche Unversehrtheit wird der Mensch vor dem Menschen geschützt. Insbesondere das Schwache erfährt vor der Überlegenheit des Stärkeren Schutz, sichtbar beispielsweise etwa in der Strafbarkeit der Aussetzung (§ 221 StGB) und der Strafbarkeit der Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 StGB) sowie seit 2012 auch der Sanktionierung der Verstümmelung weiblicher Genitalien (§ 226a StGB). Dem Strafrecht kommt hier neben der generalpräventiven Wirkung eine Gerechtigkeitsfunktion zu, die auch symbolisch wirkt. Der Lebensschutz ist eines der zentralen Schutzgüter des Strafrechts. Der vorsätzliche Totschlag wird daher mit einer besonders hohen Strafandrohung, nämlich „nicht unter fünf Jahren“, belegt. Diesen hohen Schutz erfährt allerdings erst der geborene Mensch. Das Strafrecht arbeitet hier mit Zäsurbildungen, die – wie es im Recht häufig vorkommt – zu einem Anteil plausibel, zu einem anderen Anteil gewillkürt sind. Das Recht hat in Bezug auf den vorgeburtlichen Lebensschutz ein Stufenmodell entwickelt: Vor Beginn einer Schwangerschaft richtet sich der Schutz des extrauterinen Embryos nach dem Embryonenschutzgesetz, ab Beginn der Schwangerschaft bis zur 12. Woche p.c. besteht im Kern nur ein symbolischer Schutz, ab der 13. Woche bis zur Geburt eine maternale (zugleich aber verkappte embryopathische) Indikation, also ein faktisch abgeschwächter Schutz für kranke Föten.

Dem Strafrecht kommt neben der generalpräventiven Wirkung eine Gerechtigkeitsfunktion zu, die auch symbolisch wirkt.

Argumente, die für ein Schutzmodell außerhalb des Strafgesetzbuches vorgebracht werden, liegen vornehmlich in dem Entwicklungsstand des Embryos begründet. Das Argument lautet: Da der Embryo erst in einem sehr frühen Stadium ist, fällt die Schwangerschaft in den ersten 12 Wochen in die alleinige Intimsphäre der Schwangeren, in der der Staat die Schwangere nicht „bevormunden“ dürfe. Die Frage einer „Bevormundung“ oder „Paternalisierung“ richtet sich gegen die symbolische Rechtswidrigkeit eines nicht indizierten Schwangerschaftsabbruchs und die vorgeschriebene Pflichtberatung.

Rollen wir das Argument von hinten auf: Die Pflichtberatung ist ergebnisoffen und darf keinen Druck auf die Schwangere ausüben. Überdies gibt es auch an anderen Stellen im Medizinrecht, wenn auch keine Pflichtberatungen, so jedenfalls aber notwendige Aufklärungen vor Eingriffen über Risiken, bei deren Unterlassen sich ein Arzt strafbar machen kann. Bei nicht indizierten ärztlichen Eingriffen oder solchen, bei denen dem Nutzen besondere Risiken gegenüberstehen, bestehen erhöhte Aufklärungs- und Wartepflichten (Bedenkzeit). Weiterhin sind viele Medikamente verschreibungspflichtig – die Reglementierung „bevormundet“, indem sich der Einzelne die Medikamente selbst nicht frei kaufen darf, selbst wenn er sich sicher ist, dass sie ihm gut tun. Jede Pflichtberatung muss einem legitimen und im Verhältnis stehenden Zweck dienen. Die erhöhten Anforderungen beim Schwangerschaftsabbruch müssen sich am Schutzgut messen lassen.

Der moralische Status des Embryos

Gängig werden vier Argumente für den Schutz des frühen Embryos vorgebracht: Das Speziesargument besagt, dass schon der Embryo zur „Gattung oder Spezies Mensch“ gehört und dass alle Angehörigen dieser Spezies in gleicher Weise zu schützen sind. Das Speziesargument zeigt auf, dass selbstverständlich schon der Embryo „zu uns“ gehört, weil er der Gattung Mensch angehört. Nach dem Kontinuitätsargument entwickelt sich der Mensch „als Mensch“ und nicht „zum Menschen“. Dies deshalb, weil es keine so einschneidende Zäsur in der Entwicklung des Menschen gibt, als dass diese es rechtfertigen könnte, den Menschen erst ab dann als Menschen zu betrachten. Zäsuren – wie die Einnistung oder die Geburt – sind demnach nicht für die Menschwerdung konstituierend. Eng mit dem Kontinuitätsargument verbunden ist das Identitätsargument. Wir bleiben durch unser ständiges Werden hindurch dieselbe Person. Biologisch wird dies an der im Kern unveränderten genetischen Ausstattung festgemacht. Das Potentialitätsargument stellt fest, dass schon mit der Kernverschmelzung alle menschlichen Fähigkeiten und Eigenschaften potentiell verbürgt sind. Im Gegensatz zu einer Hautzelle, hat die Zygote alle Eigenschaften, die sie benötigt, um sich zu einem ganzen Menschen zu entwickeln.

Schutz des Embryos im Embryonenschutz- und Stammzellgesetz

Das Embryonenschutzgesetz und das Stammzellgesetz basieren auf der ethischen Einschätzung, dass Embryonen als menschliches Leben einen besonderen Schutz genießen. Wenn nun ein strafrechtlicher Schutz des Embryos für die ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft abgeschafft würde und der Schwangerschaftsabbruch nicht mehr prinzipiell als rechtswidrig gälte, ließe sich kaum argumentieren, warum die verfassungsrechtlich garantierte Forschungsfreiheit durch das Stammzellgesetz restriktiv reglementiert wird und warum etwa die Präimplantationsdiagnostik nur in Ausnahmefällen zugelassen wird.

Last not least

Die geforderte Abschaffung der Pflichtberatung und Aufhebung des symbolischen Embryonenschutzes würde dazu führen, dass in jenen Fällen, in denen die Schwangere das Kind behalten möchte oder sich selbst unsicher ist, der Erzeuger des Kindes mitunter noch mehr Macht erhält. Beim möglichen Interessenkonflikt zwischen der Schwangeren, die die Schwangerschaft fortführen möchte, und dem Erzeuger, der seinen finanziellen Unterhaltspflichten zu entgehen sucht, kann die Pflichtberatung und die strafrechtliche Anerkenntnis des moralischen Eigenwertes des Embryos eine Stärkung für die Frau bedeuten. Zugleich ist die Zugangshürde zu einer Pflichtberatung niedrigschwelliger als zu einer freiwilligen Beratung.

Man kann hier den Blick noch weiten: Gibt es keinen anerkannten moralischen Grund mehr, trotz der mit jedem Kind einhergehenden Belastung ein Kind zur Welt zu bringen, so werden Kinder zu einem reinen Luxusgut und Frauen, die Kinder trotz ungewollter Schwangerschaft bekommen, tragen dann für ihre Misere allein die Verantwortung. Sie verlieren ihr moralisches Recht, weitere Unterstützung von der Gesellschaft einzufordern, wenn sie an ihren Kindern, überspitzt gesagt, „selbst schuld“ sind. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist dagegen der Schutz des ungeborenen Lebens untrennbar mit dem Schutz der Schwangeren vor gesellschaftlichen und ökonomischen Risiken verbunden. Die gesellschaftliche Verantwortung für die Unterstützung Schwangerer und der Kinder sollte daher das eigentliche Ziel von rechtlichen Revisionen sein.

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