Liebe Leserin, lieber Leser,
sich zu erinnern, ist für uns als Gesellschaft, aber auch als Individuen, grundlegend und prägt unsere Identität. Er-innern hat mit unserem Inneren zu tun, Erinnerungen sind ein wichtiger Teil von uns. Sie sind – ob positiv oder negativ – in unserem Gedächtnis abgespeichert. Manches scheint schon vergessen, da wird die Erinnerung durch ein Wort, ein Bild, einen Ort oder einen anderen Reiz wieder aktiviert.
„Those who cannot remember the past are condemned to repeat it”, so der Philosoph Santayana. Übersetzt etwa: “Wer sich nicht an die Vergangenheit erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen.“ Umso wichtiger ist es, dass wir uns erinnern. Die Shoa darf sich nicht wiederholen. Es ist kein Zufall, dass Antisemitismus oftmals mit der Verleugnung der Shoa einhergeht. Gerade jetzt, wo es nur noch wenige Zeitzeugen gibt, müssen wir andere Wege finden, uns das Geschehen in den Konzentrationslagern, aber auch schon davor, zu vergegenwärtigen. Nie wieder ist jetzt!
Aktuell in den Kinos ist der Film „Führer und Verführer“ über den Propagandisten Goebbels. Ausgesprochenes Ziel dieses Films ist es, die Zuschauenden zu befähigen, die aktuelle mediale Inszenierung der Rechten zu durchschauen und deren Verführungen nicht zu erliegen. Denn die Erinnerung an damaliges Geschehen macht es uns möglich, heute anders zu handeln.
Auch Versöhnung geht nicht ohne Erinnerung. Und so brauchen wir Menschen, Orte, Geschichten, Anlässe, alles, was uns hilft, nicht zu vergessen.
„Tut das zur Erinnerung an mich“ (Lk 22,19, Basis-Bibel), sagt Jesus und fordert uns damit nicht nur dazu auf, uns zu erinnern, sondern auch, diese Erinnerung in die Gegenwart zu holen. Aus der Erinnerung an Jesu Leben und Wirken sollen wir unser eigenes Leben gestalten. Ohne Erinnerung kein Glaube. „Die Erinnerung ist die Erfahrung vom Wirken Gottes in der Geschichte,“ sagte Richard von Weizsäcker 1985.
Wir sind alle vergesslich. Was ich mir nicht aufschreibe, wird oftmals nicht erledigt. Aber nicht nur kleine To-dos oder die Milch im Supermarkt vergessen wir – die Prophetenbücher sind voll von Anklagen, weil die Menschen Gott vergessen und Götzen anbeten. Gott vergisst uns aber nie: „Denk daran, Jakob, denk daran, Israel, dass du mein Knecht bist. Ich habe dich geschaffen, du bist mein Knecht und gehörst zu mir. Darum werde ich dich niemals vergessen“ (Jes 44, 21, Basis-Bibel).
Dieses Heft soll anregen, über das Erinnern und das Vergessen nachzudenken. Wir forschen nach, wie Erinnerung funktioniert und was uns dabei hilft. Wie wir mit Erinnerungen (besonders traumatischen) umgehen können und wie sie uns beim Gestalten der zukünftigen Welt helfen können. Wie wir falsche Erinnerungen erkennen und auf sie reagieren. Und – natürlich – wie wichtig Erinnerung für unseren Glauben ist.
Die Welt ist veränderbar – möge unsere Erinnerung dabei helfen!
Es grüßt Sie aus der Redaktion
Heike Schmidt-Langer