Fantasie Ausgabe 3/2023

Liebe Leserinnen und Leser,

zum Studienbeginn bekam ich einen bedruckten Bleistift geschenkt: „Fantasie ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt – Albert Einstein“. Am Anfang kam mir das ironisch vor – im Studium sollte doch Wissen im Mittelpunkt stehen! Zumal die Aussicht darauf, dass es eigentlich auf Fantasie ankommt, verunsichert: Wissen kann ich mir aneignen, kann es auf Karteikarten schreiben und auswendig lernen – aber Fantasie? Kann ich Fantasie lernen?

Kurzum verbannte ich den Bleistift in die Schublade. Dort schlummerte er einige Jahre, bevor ich zu Beginn meiner Promotion Ende 2021 umzog und der Stift mir in die Hände fiel – und er seinen Weg ins Federmäppchen fand. Inmitten einer Pandemie, gefesselt an den Schreibtisch, war es die Fantasie, die mir Antrieb gab durchzuhalten: Wie hoffnungsvoll war die Fantasie, eines Tages nach der Pandemie die Welt zu bereisen! Zugleich erkannte ich, dass Wissenschaft nur mithilfe des Innovationspotentials von Fantasie Wissen schaffen kann (vgl. dazu den Beitrag von Fred Mast).

Mögen wir den Ursprung der Fantasie nicht ergründen können – wurzelt sie in uns selbst oder tritt sie als eine externe Kraft von außen an uns heran? – sie ist ein Geschenk, das uns in Tagträumen, Büchern oder Filmen erlaubt, dem Alltag zu entfliehen. Einen Einblick in das Innenleben der Personen, denen es gelingt, mittels Fantasien ganze Welten zu erschaffen, erhalten Sie im Interview mit der Autorin Meike Stoverock.

Auch wenn der Begriff „Fantasie“ in erster Linie positiv behaftet ist, so kann die menschliche Vorstellungskraft auch in Abgründe führen: Seien es unsere eigenen Ängste, die Macht über unsere Gedanken gewinnen; seien es fantasievoll konstruierte Theorien, die helfen sollen, die Unerträglichkeit von Kontingenz zu überwinden. Dass die Verkehrung von Fantasie nicht nur in modernen Verschwörungstheorien, sondern schon in biblischen Szenarien des Weltuntergangs begegnet, nimmt Reinhold Münster in den Blick.

Ob Weltentstehung oder Weltuntergang – der Mensch möchte von jeher verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Da die Antwort darauf über den Erfassungsraum des Einzelnen hinausgeht, projiziert er diese auf ein transzendentes Wesen – so die Projektionstheorie des Religionskritikers Feuerbach. Dagegen zeigt Markus Firchow auf, in welcher Form Fantasie produktiv für theologisches Treiben genutzt werden kann. Inwiefern kindliche Fantasie ein „Katalysator“ für Gottesvorstellungen ist, kommt bei Mirjam Zimmermann zur Sprache.

In der Hoffnung, dass Sie das Heft anregt, Ihrer Fantasie freien Lauf zu lassen, wünsche ich Ihnen fantastische Lesefrüchte.

Sarah Hilmer

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