Denkfiguren des Weltuntergangs Fantastisch schreckliche und dunkle Bilder von Apokalypsen und Katastrophen im Wandel

Im Spätmittelalter fürchteten die Gläubigen den kommenden Weltuntergang. Heute erwarten Wissenschaftler und Aktivisten unterschiedliche Katastrophen, die das menschliche Leben auf diesem Planeten auslöschen könnten. Der Fantasie des Schreckens sind keine Grenzen gesetzt.

Albrecht Dürer veröffentlichte 1498 eine Serie von Holzschnitten unter dem Titel Die heimlich offenbarung iohannis. Es waren Schreckensfantasien vom Untergang der Welt, vom grausamen Endkampf zwischen den Mächten des Himmels und der Hölle auf der Erde. Drucke dieser Art verkauften sich wie warme Semmeln beim Bäcker. 1511 kam eine neue, erweiterte Auflage (Apocalipsis cum figuris) auf den Markt. Das wohl bekannteste Bild, Die apokalyptischen Reiter, bezog sich auf die ersten Siegel der Offenbarung des Johannes.

Die apokalyptischen Reiter (Holzschnitt von Albrecht Dürer)

Im Galopp fegen vier Schreckensfiguren, die Epidemie, der Krieg, der Hunger und der Tod, über die Menschen hinweg. Jede Flucht ist zwecklos, der Höllenrachen ist aufgetan und verschlingt gerade einen Bischof; eine bürgerliche Frau wird als Nächste das gleiche Schicksal erleiden. Niemand wird überleben, auch nicht der letzte Mensch. (Friedrich Nietzsches Figur „Zarathustra“ bezeichnete sich im endzeitlichen Kontext der ewigen Wiederkehr der Geschichte als „der letzte Mensch“.) Unaufhaltsam stürmen die vier Reiter voran, getrieben vom Erzengel über ihnen. Das Endgericht über die Lebenden und die Toten, von dem Johannes auf Patmos erzählte, ist in Dürers Stichen der blanke Horror: So wird die Welt enden!

Aber auch in Gemälden anderer Maler der Zeit (Lukas Cranach, Hans Baldung Grien, Hieronymus Bosch) bordete die freigelassene Imagination der Grausamkeiten über. Einige gebildete Menschen des Spätmittelalters waren fasziniert von der Gewalt, von den Nachtseiten der Fantasie; die Armen und wenig Gebildeten fürchteten das angekündigte Schicksal als künftige Wirklichkeit. Viele Bilder zeigen Menschen, die sich unter der Folter winden und die in der Hölle den Orgien der Teufel hilflos ausgeliefert sind.

Religiöse Narrative des Schreckens

Die Teufel und Dämonen, die der finsteren Herrschaft Luzifers unterstehen und die Menschen zum Bösen verführen sollen, treiben im westlichen Christentum bis heute ihr Unwesen. Auch die Kabbala listete schon im 13. Jahrhundert mehr als hundert Millionen solcher Dämonen auf. Die vatikanische Stelle für Exorzismus und Teufelsfragen gab noch 1999 eine Gesamtzahl von 1.758.640.176 Teufeln und Dämonen bekannt. Martin Luther lehrte: „Der Teufel hat immer ein gespannt Armbrust und geladen Buchsen und zielet auf uns, dass er uns schieße mit Pestilenz, Franzosen [Syphilis], mit Krieg, Feuer, Hagel, mit Ungewitter“ (Hauspostille).

Der Satan war die entscheidende Institution, die eine Antwort auf das Theodizee-Problem ermöglichte, die erklärte, warum es die Übel auf dieser Welt gibt. Und die Apokalypse berichtete vom zukünftigen Sieg Gottes im Kampf mit den Dämonen und Teufeln, den Mächten der Welt. Das Konzept, in welchem die Welt einem schrecklichen Ende zutreibt, arbeitete nicht nur mit einem Dualismus (gut-böse, Gott-Satan), sondern auch mit einem geschichtlichen Determinismus. Erst das grausame Endgericht schafft die neue, himmlische Ordnung. Das aber bedeutet, dass die Geschichte, die die Menschen machen, entweder keinen Sinn hat oder dass ihr Sinn korrumpiert ist. In beiden Fällen muss sie beendet werden. Die Menschen sehen sich somit einer Ambivalenz gegenüber: einerseits erzeugen die Metaphern, Narrative und Bilder Furcht und Schrecken, andererseits verstärken sie den Gedanken der Hoffnung mit der Erwartung des Heils.

Narrative des Schreckens und der Hoffnung finden sich auch im Koran (Suren 81, 82, 84, 99). Im koranischen Denken erscheint die Apokalypse fast als ein Naturgeschehen: Der Himmel zerbricht, die Sterne zerstreuen sich, die Meere brechen aus, die Gräber werden umgewühlt, anschließend wird jede Seele ihrem gerechten und erbarmungslosen Richter vorgeführt.

Säkulare Vorstellungen des Weltuntergangs

Schon in der Frühen Neuzeit zeichnete sich ein kultureller Wandel ab: Die religiöse Apokalypse verlor an Bedeutung. Es entstanden säkulare Denkarten des Weltuntergangs, von bevorstehenden Katastrophen. Hans Blumenberg traf die komplexe Unterscheidung: Er sprach nicht von einer Verweltlichung der Eschatologie, sondern von einer Verweltlichung durch Eschatologie. Das bedeutete nicht, dass die neuzeitliche Geschichtsphilosophie die Heilsgeschichte verformte, sondern die Ablösung und Ersetzung der Apokalypse durch das moderne Fortschrittsdenken. Umberto Eco diskutierte 1995 die Frage mit dem Mailänder Bischof: Die Verlagerung der Apokalyptik ins Säkulare zeige sich darin, dass die Ängste von heute nicht mehr religiösen Themen und Ideen entspringen würden. Als Beispiele nannte er die atomare Bedrohung der 1970er Jahre, den sauren Regen, der die Wälder zerstörte, das Ozonloch oder die starken Migrationsbewegungen. Die Beispiele zeigen, wie sich die Themen im Lauf der letzten Jahrzehnte verschoben.

Die Apokalypse wurde durch das moderne Fortschrittsdenken abgelöst.

Ein Indikator für den Untergang heute ist die Doomsday-Clock (Weltuntergangsuhr) des Bulletin of the Atomic Scientists, die 1947 mit der Zeigerstellung sieben Minuten vor zwölf gestartet und zuletzt am 24. Januar 2023 auf 90 Sekunden vor Mitternacht gestellt wurde. Die Uhr soll anzeigen, wann die nächste globale Katastrophe eintreten wird. Eine Forschungsgruppe von Super-Forecastern (Prognostikern) warnte im Juli 2023 vor vier möglichen Szenarien des Weltuntergangs. Auf sie sei im Folgenden zurückgegriffen.

Meteoriten-Einschläge: Schon in der Frühen Neuzeit erzeugte das Erscheinen eines Kometen Angst. Es kündete die nächste Hungersnot an, den nächsten Krieg, den nächsten Hagelschlag. Isaac Asimov erklärte diesen Effekt damit, dass sich die Kometen nicht an die regulären Bahnen und Bewegungen von Himmelskörpern halten. Der Kometenflug ließ sich als religiöser Fingerzeig deuten. „Lass, Himmel, dies Gestirn und deinen Zorn verschwinden / und stelle deine Rach und unsere Strafe ein“, so heißt es in einem Lied von 1680.

Bis heute sind die Gefahren aus dem All sehr konkret. Asteroiden, Kometen oder Meteoriten bedrohen unseren Planeten. 22.000 größere Krater weltweit zeugen von einem stetigen Bombardement aus dem All. Der Chicxulub-Krater in Yucatán führte vor 65 Mio. Jahren zu einem Massensterben, dem auch die Dinosaurier zum Opfer fielen. 2013 erschreckte der Meteor von Tscheljabinsk die Bewohner der Stadt im Ural. Niemand hatte ihn auf dem Radar gesehen, bevor er einschlug.

Vulkanausbrüche: Der Ausbruch des Tambora 1815 führte zu schweren Hungersnöten weltweit, zu einem Jahr ohne Sommer. Der Ausbruch eines Vulkans im Jahr 2022 auf der Insel Tonga sollte, so die Forscher des Centre for the Study of Existential Risk, sehr ernst genommen werden. Vulkane können plötzlich und unerwartet heftige Katastrophen auf der Erde auslösen. Auf einen Ausbruch eines Supervulkans ist die Welt nicht vorbereitet.

Atomare Bedrohung: Eine sehr reale Bedrohung erlebt die westliche Welt hautnah: Länder wie Russland drohen mit dem Einsatz von Atomwaffen gegenüber anderen Staaten. Russland droht sogar mit der Zerstörung von Atomkraftwerken in der Ukraine. Noch ist alles gut gegangen, so erzählen derzeit die Optimisten den noch wenigen verbliebenen Apokalyptikern. Doch die Möglichkeit, mit einem Schlag die Menschheit auszulöschen, ist nicht verschwunden.

Der moderne Mensch ist mit einer „Apokalypse-Blindheit“ geschlagen.

Der moderne Mensch, so beobachtete Günter Anders schon 1956, sei mit einer „Apokalypse-Blindheit“ geschlagen. Mit den zwei Natur-Katastrophen sowie der atomaren Gefährdung beschäftigen sich Gesellschaft und Politik (Frage der Schutzräume vor Atomschlägen) kaum; sie haben die dunkle Seite der Imagination von sich abgespalten, in Filmen wie Armageddon oder Deep Impact verharmlost.

Neue Szenarien des Weltuntergangs

Herrschaft der Maschinen: Eine weitere Denkform des Weltuntergangs steht mit dem technischen Fortschritt in Verbindung. Der Zauberlehrling, so die schreckliche Fantasie, habe die Kontrolle über seine Maschinen verloren an den Supercomputer. Intelligente Maschinen, gerade in Verwaltungen eingesetzt, könnten sich verselbständigen und die Macht über die Menschen übernehmen, über sie in Zukunft Entscheidungen treffen. Manche Transhumanisten wie James Lovelock sehnten das kommende Zeitalter der Hyperintelligenz herbei, da der Mensch sich als unfähig erwiesen habe, die Welt zum Wohle aller zu gestalten. Andere wie Nick Bostrom warnten davor, dass die Produktion und Verbesserung von Künstlicher Intelligenz hin zu selbst entscheidenden Maschinen – wie bewaffneten Drohnen – eine große Gefahr seien. Andere sprechen von einem sich etablierenden Überwachungskapitalismus. Es sind die Modelle des Trans- und Posthumanismus, die solche Entwicklungen vorantreiben. Für manchen Zeitgenossen dürfte der Punkt überschritten sein, an dem die Wirklichkeit die schwärzeste Fantasie abgelöst hat.

Klimawandel und Artensterben: Das letzte Denkmodell des Weltuntergangs, das hier kurz angesprochen werden soll, beschäftigt sich mit dem Klimawandel und dem Artensterben. Viele nehmen an, dass die Katastrophe schleichend eintritt, erst nach längerer Zeit. Und man kann sie sich schlecht vorstellen, da ihre Genese komplex ist: Abholzen der Regenwälder, die Erwärmung der Meere, das Abschmelzen von Gletschern und viele andere Faktoren. Es fehlen die eindrucksvollen Bilder des Horrors, allenfalls ein ausgehungerter Eisbär schlurft durch eine öde Schneelandschaft. Es fehlt auch an der Sinngebung. Nähern sich deshalb Gruppen wie Extinction Rebellion oder Last Generation mit ihren Aktionen sprachlich einem religiösen Framing an? Gegen die Klimakatastrophe, die sich vielleicht emotional fühlbar schon ereignet hat, lässt sich wenig ausrichten. Da bleibt nur der Weltuntergang. Gegen den Klimawandel, der sich vielfältig ereignet, lässt sich viel unternehmen.

Tröstlich war, was die „Kapelle Petra“ während der Corona-Epidemie sang:

An irgendeinem Tag wird die Welt untergeh’n,
Doch an allen ander’n Tagen halt nicht.
An irgendeinem Tag ist das alles vorbei,
Aber jetzt ist noch nicht Schicht.
Irgendwann geh’n irgendwie die Lichter aus
Und bis dahin machen wir das Beste draus.

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