Gott, wer bist du? Theologisieren mit Kindern zu Gottesbildern

Fantasievolle Vorstellungen von Gott verändern sich im Laufe des Lebens. Wie lassen sich diese Veränderungen beschreiben und wie kann man eine positive Entwicklung religionspädagogisch kreativ unterstützen?

1. Kindliche Gottesvorstellungen

Noemi, 9 Jahre, malt ihr Bild von Gott. Sie zeichnet sehr sorgfältig eine Hand, in der die Weltkugel liegt, ohne Arm, ohne zugehörigen Körper. Gott passe auf, dass nichts durcheinandergeraten kann, die Welt sei durch Gottes Hand sicher. Auch Noemi fühlt sich in seiner Hand geborgen, deshalb habe sie dieses Motiv gewählt. Die Hand sei aber ein Symbol für Gott, nicht seine Hand selbst, erklärt sie auf Nachfrage.

Sarah, 5 Jahre, spielt die Geschichte von der Kindersegnung, die sie aus dem Kindergottesdienst kennt, mit Playmobilfiguren nach. Natürlich sind auch die geliebten Playmobilritter mit von der Partie, und Jesus und die Kinder bekommen gegen seine Jünger auch noch Hilfe von Spiderman. Am Ende spricht Gott ein Machtwort aus dem Off. Als ich vorsichtig in die Szene komme, wirkt Sarah gar nicht glücklich, ich störe und sehe zu, dass ich schnell wieder verschwinde. Erst am Abend kommt sie mit uns ins Gespräch, was denn Gott und Spiderman gemeinsam haben.

Judith, 8 Jahre, erklärt ihre Vorstellungen von Gott mit Symbolen, die sie sich aus einem Koffer mit verschiedenen Legematerialien ausgesucht hat. Sie antwortet entlang der Symbole, die vor ihr liegen: Ein Herz, ein Kalender, ein Pflaster. Das Herz ist dabei, weil Gott alle Menschen liebt und die Menschen lieben Gott. Den Kalender hat sie gewählt, weil Gott immer da ist, jeden Tag, gestern, heute, morgen, immer. Wenn man Hilfe braucht, dann hilft er, erfahre ich, deshalb das Pflaster, auch weil er gut trösten kann. Nachfragen allerdings, warum sie das so glaubt, bringen keine Begründung. Sie zuckt mit den Schultern, kann oder will nicht antworten.

Wir sehen hier drei sehr unterschiedliche fantasievolle Weisen, Antwort zu geben auf die Frage nach dem eigenen Gottesbild in den individuellen Sprach- und Kommunikationsformen: ein kreatives Bild malen, Gott im Spiel fantasievoll auftreten lassen, Symbole zu Hilfe nehmen. Sind das typische Gottesvorstellungen, die Kinder in diesem Alter haben, und wie geht man damit am besten um?

2. Das traditionelle Paradigma zur Entwicklung von Gottesvorstellungen

Gotteskonzepte sind Konstrukte, die aus kognitiven und emotionalen Elementen bestehen und meist auch einen Beziehungsaspekt haben. Anknüpfend an die Einsichten des Pädagogen Jean Piaget in Das Weltbild des Kindes (1980) unterschied die traditionelle Forschung drei klassische Phasen der Gottesbildentwicklung, die alle Kinder durchlaufen würden: In der ersten Phase etwa im Kindergartenalten setzten Kinder Eltern und Gott gleich. Die Eltern bekämen alle Attribute, die auch Gott habe: heilig, allmächtig, allwissend, ewig und unsterblich. Gott selbst werde anthropomorph dargestellt.

Etwa mit Beginn der Schule verfestige sich die Einsicht, dass Eltern diese Eigenschaften nicht haben. Diese Gefühle würden nun auf etwas anderes übertragen bzw. auf ein Wesen reduziert, nämlich Gott. Mit dem Übergang zur Sekundarstufe erfolgt nach Piaget dann die Auflösung dieser Gottesvorstellung und deren Ablösung durch ein naturwissenschaftlich geprägtes Weltbild, im positiven Fall die Ausbildung von abstrakten, symbolischen Gottesvorstellungen.

Unsere drei Beispiele zeigen allerdings ein anderes Bild: symbolische Repräsentationen schon in früheren Altersphasen, und ohne explizit auf die genannten Attribute Bezug zu nehmen. Sind die Beispiele also eher Ausnahmen?

3. Anfragen zum alten Paradigma

Schon Ende der 1990er Jahre wurde deutlich, dass anthropomorphe Gottesbilder bei Kindern vor allem deshalb verwendet werden, weil diese auf die Frage reagieren, wie Gott aussieht. Da legt sich eine Antwort nahe, die Gott wie einen Menschen beschreibt. Stefanie Klein konnte in einer Studie im Jahr 2000 zeigen, dass Kinder bei den Erläuterungen ihrer Bilder häufig die Differenz zwischen Gott und Mensch zeigen wollten, obwohl die Bilder selbst Gott menschlich darstellen. Außerdem wurde in ihrer Studie deutlich, dass auch schon Kinder im Grundschulalter Gott symbolisch als leeres Blatt oder als Baum bzw. Blume malen und diese Symbolik adäquat deuten können, wie in unserem Beispiel auch.

Die Religionspädagogin Anna-Katharina Szagun übte dann grundsätzliche Kritik an der Aufgabe, Kinder Gott malen zu lassen, und schlug alternativ Materialkollagen zur Anfertigung vor, die die Kinder jeweils im Anschluss erklären. Hier dominierten bei der Darstellung und den Erläuterungen nicht menschliche, sondern gegenständliche und symbolische Varianten, wie im letzten Beispiel. Frau Szagun konnte so zeigen, dass Kinder teilweise bereits früh im Kindergarten bzw. Grundschulalter differenzierte nicht nur anthropomorphe, sondern auch symbolisch-abstrakte Gottesvorstellungen fantasievoll entwickeln und teilweise erklären können.

Kinder entwickeln schon früher als lange gedacht symbolisch-abstrakte Gottesvorstellungen.

Wissenschaftliche Untersuchungen einige Jahre später mit Erwachsenen (z.B. von Martin Rothgangel) konnten zeigen, dass Erwachsene teilweise immer noch bzw. wieder einfache, anthropomorphe Gottesbilder haben. Somit sind die Gottesbilder von Kindern und Erwachsenen ähnlicher als bisher angenommen. Außerdem wurde festgestellt, dass verschiedene Gottesvorstellungen für unterschiedliche Situationen zur Verfügung stehen: Das Gottesbild im Gebet unterscheidet sich z.B. von dem in einem argumentierenden (kinder-)theologischen Gespräch.

Was heißt das jetzt für die religionspädagogische Arbeit an und mit Gottesbildern?

4. Fantasievoll über Gottesbilder ins Gespräch kommen – Theologisieren mit Kindern

Die Gottesfrage ist für die Religionspädagogik und den Religionsunterricht zentral. Sie ist wie bei allen monotheistischen Religionen das Zentrum des Glaubens: Kinder sollen lernen, konstruktiv mit den tiefgründigen Fragen z.B. nach Gott umzugehen, mit denen Menschen zu allen Zeiten nach den Ursprüngen, nach Sinn und Ziel des Lebens und der Welt gefragt haben. Die Aufgabe von religiöser Bildung ist, sie hierbei zu unterstützen, indem man mit Kindern ins Gespräch kommt. Manchmal, wie im zweiten Beispiel, wollen Kinder das aber auch nicht, zumindest nicht immer zu dem Zeitpunkt, der uns Erwachsenen genehm ist. Findet ein einvernehmliches Gespräch aber statt, geht es zuerst darum wahrzunehmen, was die Kinder denken, was sie glauben oder theologisch begründen können (Theologie der Kinder, wie in den Beispielen 1 und 3 einmal mit, einmal ohne Begründung). In einer Kindergruppe finden sich so meist viele Positionen, die miteinander ins Gespräch gebracht werden sollen (Theologie mit Kindern). Dabei geht es auch darum, dass Kinder Angebote aus der christlichen Tradition als Erweiterung des Nachdenkens über Gott kennenlernen (Theologie für Kinder). So können sie ein Verständnis für die Komplexität und Vielschichtigkeit der Gottesfrage entwickeln.

Wie kann das konkret aussehen? Die Bibel bietet vielfältige Bilder von Gott: Gott als Adler (5. Mose 32,11), Gott als Arzt (2. Mose 15,26), Gott als Burg (Ps 9,10), Gott wird mit einem Fels verglichen (2. Sam 22,47) oder mit einer Hebamme (Ps 22,10), Gott ist wie Licht (Ps 22,1) oder er wird als Mutter bezeichnet (Jes 66,13). Manche dieser Bilder sind bekannt, andere sind ungewöhnlich, auch in der Perspektive der Geschlechter (Mutter, Hebamme). Mit den Kindern gemeinsam zu überlegen, was die Menschen gemeint haben, wenn sie Gott mit diesen Begriffen verglichen haben, und ob die Kinder diese Vergleiche immer noch verwenden würden, kann eine produktive Aufgabe sein.

Gott als Atomkraftwerk oder als „World Wide Web“.

Kreativ könnte man die Bildersuche und -bewertung weiterführen, wenn man entweder Symbole z.B. mit der Symbolkartei von Rainer Oberthür anbietet, wie im Statement aus der Einleitung, oder kreativer, Bilder aus dem Leben der Kinder aufnimmt und prüft: Gott als Reitlehrer:in, was hieße das für ein so beschriebenes Gottesbild. Oder: Gott ist wie ein Fußballtrainer oder wie ein Fan oder ein Torwart – welche Aussagen transportieren solche modernen Bilder von Gott für die Kinder: Gott als Atomkraftwerk oder Gott als „World Wide Web“. Bestimmt kommen Kinder hier auch selbst auf gute Ideen. So stellt sich die Frage, was die Kinder mit solchen Vergleichen verbinden, was sie damit über Gott sagen können oder welche modernen Bilder sie selbst finden und erklären. Hierbei wird sich die Aufgabe stellen, auf welche biblischen Referenztexte die Kinder Bezug nehmen oder wie sie ihre Wahl begründen und damit an ihrem persönlichen Gottesbild arbeiten.

Grundsätzlich wird sich zeigen, dass Kinder, aber auch Jugendliche und Erwachsene sowohl über gegenständliche als auch über nicht-gegenständliche Gottesvorstellungen verfügen können. Mit beiden lässt sich trefflich über Gott sprechen, wenn man jeweils erklärt, was hinter dem eigenen Bild, den gewählten Symbolen bzw. der Art der aus der eigenen Perspektive nacherzählten biblischen Geschichte zu Gott steckt. Hierüber Gespräche zu führen, nachzufragen, eigene Gottesbilder einzuspielen, Symbole zu prüfen und sich gemeinsam auf die Suche zu machen, um der Frage „Gott, wer bist du?“ näherzukommen, lohnt sich!

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