Revolution statt Evolution Fantasie als Treibstoff für Innovationen in der Wirtschaft

Politiker sind darauf bedacht, sie zu pflegen und zu hegen – gemeint sind Startups. Die Kreativität und Innovationskraft der neu entstehenden Firmen ist angesichts aktueller Krisen besonders gefragt. Aber auch in großen Firmen geht ohne Fantasie nichts voran.

Unter Startups versteht man meist von jungen Leuten gegründete Unternehmen, die ein neues Produkt oder eine neue Dienstleistung auf den Markt bringen wollen, weil sie eine Lücke entdeckt haben. Bundes- und Landespolitik stellen Fördergelder bereit, um die jungen Unternehmen mit ihren Innovationen zu unterstützen und ein so genanntes Startup-Ökosystem zu etablieren. Daran sind auch große Konzerne interessiert, die den Erfindergeist nutzen wollen.

Ohne Innovation kein Fortschritt

Ein Problem, das in Deutschland im Gegensatz zu den USA als großer Hemmschuh für Startups gesehen wird, ist die mangelnde Verfügbarkeit von Risikokapital. Das hängt unter anderem mit der Mentalität zusammen, die bisher den Erfolg der deutschen Wirtschaft im globalen Markt gesichert hat. Man hat sich darauf verlassen, dass die seit Jahrzehnten eingeführten Verfahren den Erfolg garantieren. Diese wurden verfeinert und weiterentwickelt.

Experten haben schon länger davor gewarnt, dass dies schnell in einen Nachteil münden könnte, wenn sich die Rahmenbedingungen abrupt ändern. Dann fehlt nämlich die Flexibilität, sich an die neue Situation schnell anzupassen und der Konkurrenz aus aufstrebenden Ländern wie China Paroli zu bieten. Nicht zuletzt deutsche Vorzeigeunternehmen der Autobranche scheinen viel zu lange auf das lange Bewährte gesetzt zu haben, während anderswo die Zeichen der Zeit erkannt worden sind, dass der klassische Verbrenner ein Auslaufmodell ist.

Disruptive Innovationen

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann erinnert deshalb gern an die Ursprünge der erfolgreichen Unternehmen in seinem Bundesland, die mit so genannten disruptiven Innovationen die Welt verändert haben. Im Unterschied zu so genannten inkrementellen Innovationen, bei denen ein bestehendes Produkt schrittweise verbessert wird und über Jahre oder Jahrzehnte hinweg schöner, schneller, leistungsfähiger, effizienter oder kostengünstiger gemacht, werden mit disruptiven Lösungen völlig neue Wege begangen. Bestehende Verhältnisse werden neu geordnet und total verändert. Ein Beispiel ist die Erfindung des Smartphones, das die Kommunikation revolutioniert hat. Deshalb ist „Revolution statt Evolution“ die Devise.

Mit Fantasie zum Weltmarktführer

Für Kretschmann kommen die Urväter der Garagen-Startups nicht aus dem Silicon Valley, sondern aus dem Remstal. Der Erfinder Andreas Stihl ist für ihn einer davon, den er in einem Atemzug mit Robert Bosch und Gottlieb Daimler nennt. Er hat der motorbetriebenen Kettensäge weltweit zum Durchbruch verholfen und so die Forstwirtschaft revolutioniert. Heute steht sein Name für ein global agierendes Familienunternehmen mit Sitz in Waiblingen, das eine breite Palette von Geräten für Gartenbau, Landschaftspflege und Forstwirtschaft bietet. Die fast 100-jährige Erfolgsgeschichte des 1926 gegründeten Unternehmens ist in der nun eröffneten „Stihl Markenwelt“ mit allen Sinnen erlebbar unter dem Motto „Vision, Innovation, Emotion“.

Die heutigen Startups sind für Lukas Biedermann die Mittelständler von morgen. Der Mitgründer des Stuttgarter Startups Sparetech, das sich ums Ersatzteilmanagement kümmert, sieht Ähnlichkeiten mit früheren Strategien heutiger Weltmarktführer. Während beim Werkzeugmaschinen- und Lasertechnik-Hersteller Trumpf in Ditzingen bisher die Förderung von Startups im eigenen Unternehmen im Fokus stand, nutzt der Filterhersteller Mann und Hummel schon längst eine Vielzahl von Kooperationen mit externen Startups.

Marcel Schoch vom Weltmarktführer im Bereich Filtration betont, dass es dabei sehr stark um saubere Luft und Energie sowie Software, Sensorik und Messtechnik geht. Bei den Kooperationen sei Mann und Hummel nicht regional gebunden, sondern weltweit unterwegs. Er plädierte für einen kulturellen Wandel in der Region. Unternehmen sollten gemeinsam an Themen arbeiten. Schoch betont, dass Mann und Hummel sogar mit Konkurrenten ein Startup fördert. „Wenn Unternehmen in der Region stärker gemeinsam auftreten, übt dies größere Anziehungskraft auf Startups auch aus dem europäischen Raum aus“, ist sich Schoch sicher.

Innovationsmanagement mit Lego-Steinen

Die Weltmarktführer haben erkannt, dass ein „Weiter so“ auf ausgetretenen Pfaden die Gefahr birgt, auf dem globalen Markt ins Hintertreffen zu geraten. Deshalb wird gezielt ein Innovationsmanagement betrieben. Ein Beispiel dafür ist ein weiterer Weltmarktführer aus Baden-Württemberg, der in Stuttgart ansässige Kabelhersteller Lapp. Die Frage, warum etwas nicht möglich sein soll, ist schon lange ein Grundprinzip. Erprobt worden sind unterschiedliche Methoden, auch spielerische Ansätze, zum Beispiel, wie man mit Lego-Steinen neue Ideen entwickeln kann.

Jetzt hat Lapp sein Werk im französischen Forbach dazu auserkoren, „die erwartete (R)evolution in der Kabelproduktion“ in die Wege zu leiten. Direktor Stéphane Kacmarek betont, dass es dafür nicht genügt, technische Neuerungen einzuführen, sondern es braucht eine Vision, Kreativität und  Fantasie. „Bei uns wird keine Maschine an seinem bisherigen Platz bleiben“, kündigt er an. Bisher kilometerlange Laufwege der Mitarbeiter werden verkürzt, Produktwechsel an Maschinen, die früher Stunden benötigt haben, können durch Veränderungen der Abläufe in Minutenschnelle ausgeführt werden. Das sind nur die ersten Schritte auf dem Weg zum modernsten Werk der Lapp-Gruppe, das auch in punkto Nachhaltigkeit beispielhaft sein soll.

Technische Neuerung und Kundenmehrwert

Hubertus Breier, im Vorstand für Innovation und Technik zuständig, erläutert im Gespräch drei Gesichtspunkte der Innovation: Zum einen geht es ihm darum, das Wachstum zu stabilisieren: „Die IT-Infrastruktur muss genauso mitwachsen wie die Organisation im Sinne einer besseren globalen Zusammenarbeit“. Bei der eigentlichen Innovation beruft er sich auf den Ökonomen Joseph Schumpeter, dessen Werke zur wirtschaftlichen Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden sind. Danach muss für Breier eine technische Neuerung mit einem Mehrwert für den Kunden einhergehen.

„Wirtschaftlich muss eine Innovation sinnvoll sein, sonst kostet eine Erfindung nur Geld“, erläutert Breier weiter. Deshalb müsse man in Kundenmehrwert denken und nicht nur im Voranbringen der Technik. Dorthin führen für den Vorstand zwei Pfade: Einmal geht es darum, höher, schneller, weiter zu kommen, z.B. wenn man Recycling-Anteile in der Kabelproduktion erhöht oder effizientere Verfahren einführt. Zum zweiten geht es im revolutionären Teil um komplett neue Dinge, „die weder wir noch die Kunden kennen“.

Es geht um komplett neue Dinge, die weder wir noch die Kunden kennen.

Als Beispiel nennt er das neu entwickelte Zustandsüberwachungsgerät „Etherline Guard“. Dabei geht es um den „Gesundheitszustand“ eines Netzes. Wenn etwas nicht in Ordnung ist, wird Alarm geschlagen. So kann rechtzeitig reagiert werden, bevor zum Beispiel die Produktion still steht. Und er weist nochmals darauf hin, dass er die Startup-Methode propagiert, mit einer Idee erst zum Kunden zu gehen, „bevor wir Millionen in die Entwicklung stecken“. So seien auch die Kunden von der Idee begeistert gewesen. Denn wenn sie ein Problem im Netzwerk haben, kann es sein, dass die Produktion zwei Tage steht. Das Feedback von Kundenseite sei von Anfang an positiv gewesen.

Innovation in den Kirchen

Innovation ist übrigens auch in der Kirche gefragt. Dazu braucht es nicht nur den Mut, traditionelle Pfade zu verlassen und möglicherweise damit zu scheitern, sondern auch die  Fantasie für neue Formen, sei es im Gottesdienst oder im Gemeindeleben. Mancher fühlte sich überrascht, als bei der in Frankfurt tagenden Synode der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau ein ganzes Paket unter dem Motto „ekhn2030 Neues ermöglichen – Veränderungen erproben“ vorgestellt wurde. Dafür stellt die Synode insgesamt 3,8 Millionen Euro bereit.

Es geht für Oberkirchenrätin Melanie Beiner darum, Tradition und Innovation zu vereinen. Für sie sind Spielräume in der Kirche notwendig für den Prozess der Transformation, der auch in der Wirtschaft das aktuelle Leitmotiv ist. Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht ständig von der notwendigen Transformation in den unterschiedlichsten Bereichen, besonders auch im Blick auf Nachhaltigkeit und Klimawandel.

Melanie Beiner zählt „Pop-Up-Kirchen“ zu den innovativen Projekten in der Kirche. Dabei verlässt Kirche ihre traditionellen Räume, um mitten im Alltag der Menschen „aufzupopen“ – im Supermarkt, im Park oder in der Fußgängerzone. Kirchliche Vertreterinnen und Vertreter laden dort zum Gebet oder zu gemeinsamem Singen ein oder sprechen einfach mit den Menschen über ihre Alltags- und Glaubenserfahrungen. Eine andere Chance liegt darin, dass Kirche einen Ort der Gemeinschaft für alle in einem Wohnviertel anbietet. So hat z.B. auch die katholische Kirche in Stuttgart ihr Haus der Gemeinde St. Elisabeth als eine Art Stadtteilzentrum konzipiert. Auch so genannte FuckUp-Nights nennt Beiner – dabei werden Geschichten vom Scheitern erzählt. Das Experimentieren mit neuen Formen ist in den Kirchen sicher notwendig, um stärker im Alltag der Menschen präsent zu sein. Sicher lohnt es sich dabei auch, der  Fantasie freien Lauf zu lassen.

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