Meisterdetektiv Skarabäus Lampe Warum eine Biologin Fantasy-Krimis schreibt

Sind ohne Fantasie Kreativität, Empathie und Wissenschaft überhaupt möglich? All diese brauchen die Fähigkeit, sich Dinge vorzustellen, die (noch) nicht sind. Eine, die viel Fantasie hat, erzählt über die Vor- und Nachteile eines reichen Innenlebens.

Der Hase Skarabäus Lampe ist ein Detektiv. Er ermittelt in einem Mordfall in einem kleinen Wanderzirkus: Der Direktor, ein Löwe, ist tot! Die Tiere in Überstadt gehen aufrecht und tragen Kleidung. Anthropomorphismus ist ein häufiges Stilmittel in der Literatur. Bereits in Grimms Märchen nehmen Tiere menschliche Verhaltensweisen an, wie etwa bei den Bremer Stadtmusikanten. Besonders ist hier, dass die Autorin der Skarabäus Lampe-Romane, Meike Stoverock, eigentlich Wissenschaftlerin ist. Ihr erstes Buch war ein erfolgreiches wissenschaftliches Sachbuch: Female Choice stieg gleich in der ersten Woche auf Platz 9 der Spiegel-Bestsellerliste ein. Was bringt eine Biologin dazu, sich Fantasy-Geschichten auszudenken? Wie passen wissenschaftliche Fähigkeiten und Fantasie zusammen? – aspekte-Redakteurin Heike Schmidt-Langer sprach mit der Bestseller-Autorin:

H.S-L: Hat Ihnen die Fantasie geholfen, als Wissenschaftlerin offener für verschiedene Ergebnisse zu sein?

M.S.: Im Gegenteil. Ich habe in meiner Dissertation gemerkt, dass ich aufgrund meiner Ehrlichkeit anecke. Ich mag es, Dinge auszusprechen, wie sie sind, auch wenn sie unangenehm sind. Bei naturwissenschaftlichen Experimenten sind immer mal Ausreißer drin, ein Experiment funktioniert nicht, oder es kommen Ergebnisse raus, mit denen man nicht gerechnet hat. In der Wissenschaft geht es um Reputation, darum, sich einen Ruf in der Scientific Community zu erarbeiten. Und da lässt man einfach mal einen Ausreißer aus der Statistik raus. Ich hatte große Schwierigkeiten mit dieser Praxis, Dinge unter den Tisch fallen zu lassen. Dass es am Ende eher darum ging, das Ganze möglichst spektakulär aussehen zu lassen.

H.S-L: Wie passt das zusammen, die Fakten-orientierte Autorin des Sachbuchs Female Choice und die Fantasy-Autorin der Tier-Krimis um Skarabäus Lampe?

M.S.: Mein Vater war sehr nüchtern, analytisch, sachlich, meine Mutter sehr sensibel, und ich habe das beides in mir. Skarabäus Lampe ist für mich ein wichtiges Gegengewicht gewesen, nachdem ich Female Choice veröffentlicht hatte. Das Sachbuch hat Aufmerksamkeit erzeugt. Es gab viele Rückmeldungen, Interviewanfragen … ich musste dem Kopf Pause gönnen, und da fand ich es erholsam, abends im Bett zu liegen und mir Ideen für Skarabäus Lampe auszudenken. Die habe ich am nächsten Morgen gleich aufgeschrieben. Ich glaube, ich habe einfach beide Welten in mir, oder vielleicht sind es noch ein paar mehr Welten, und deshalb ist es für mich auch so schwierig, mich auf eines reduzieren zu lassen.

H.S-L: Hat Ihnen die Fantasie beim Verfassen des Sachbuchs geholfen?

M.S.: Nein. Das Thema Sexualität und Partnerwahl beschäftigt uns alle mehr oder weniger von klein auf. Mit spinnerten Zukunftsfantasien hätte ich zu viele Menschen abgehängt. Einigen Leuten waren die Schritte, die ich vorgeschlagen habe, bereits zu abgedreht. Dabei habe ich mich dabei an Dingen entlang gehangelt, die es heute schon gibt, und sie einfach zwei oder drei Schritte weitergedacht. Utopien oder Dystopien zu zeichnen bei einem Thema wie Sexualität, das finde ich schwierig. Mit meiner Fantasie bin ich da nicht weitergekommen, die Probleme der Welt zu lösen.

H.S-L: War es andersrum wichtig für Skarabäus Lampe, dass Sie Biologin sind?

M.S.: Aufgrund meiner biologischen Bildung habe ich Kenntnisse, wie bestimmte Tierarten leben, und es macht mir großen Spaß, diese realen Eigenschaften in eine fantastische Welt zu übersetzen und ein bisschen zu überzeichnen. Der nächste Fall spielt im Nationalmuseum, wo natürlich auch archäologische Funde und Skelette ausgestellt sind, und es fiel  mir leicht, mir Fantasienamen, also wissenschaftliche lateinische Namen, auszudenken für diese mittlerweile ausgestorbenen Arten, die dort ausgestellt sind.

H.S-L: Kann man Fantasie lernen? Kamen bei Ihnen durch Übung noch mehr Ideen?

Coverabbildung "Tod im Museum"
Der zweite Band von Skarabäus Lampe erscheint am 19.08.2023.

M.S.: Jein. Dieser erste Skarabäus Lampe, der hat mich befreit, so dass ich mich für den zweiten einerseits etwas ungehemmter gefühlt habe, mir Dinge auszudenken. Auf der anderen Seite war es aber so, dass ich für den zweiten Roman erst ein falsches Setting gewählt hatte. Ich dachte: „Oh, das ist bestimmt toll, wenn alle im abgeriegelten Nationalmuseum sind, ein großartiges Kammerspiel.“  Als ich die ersten 100 Seiten meinem Lektor geschickt habe, hat er mir aufgezeigt, dass Elemente von draußen fehlen. Das heißt, nur weil man ein Buch geschrieben hat, ist das Schreiben folgender Bücher nicht leichter.  Es bleibt immer ein Lernprozess, auch Arbeit!

Ich hoffe ja, dass es im Laufe der Zeit ein bisschen routinierter wird, aber Arbeit ist es immer. Eine Arbeit, die mich zutiefst glücklich und zufrieden macht.

H.S-L: Geben Sie uns einen kleinen Einblick, was in Ihrem Kopf so los ist?

M.S.: Wenn ich mich mit der Realität befasse, sind in meinem Kopf ganz viele Gaußsche Glockenkurven. Dann versuche ich, Muster zu erkennen in gesellschaftlichen Entwicklungen, die in irgendeiner Form der Standardnormalverteilung folgen. Mit diesen Glockenkurven ist es mir manchmal möglich, Menschengruppen zusammenzufassen – ohne ihnen die Individualität zu nehmen – aber für das Verständnis von Zusammenhängen und Kausalitäten finde ich das wichtig.

Wenn ich über fiktive Roman-Inhalte nachdenke, dann sind da ganz viele Farben. Ich versuche ein bisschen, in der jeweiligen Szene spazieren zu gehen. Ich habe selbst eine große Affinität zum viktorianischen England, also zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts bis etwa 1920. Das ist so „meine“ Zeit, mit der befasse ich mich unglaublich gerne. In dieser Zeit so ungefähr sind auch die Romane von Skarabäus Lampe in Überstadt angesiedelt. Wenn mir am Abend irgendeine Szene in den Kopf kommt, frage ich mich: Was sehe ich, wenn ich den Kopf nach links wende? Oder ich stelle mir vor, Skarabäus Lampe steht vor mir: Was trägt der für Kleidung? Wie ist er? Groß, klein, dick, dünn? Ich versuche einfach, einen interaktiven Film in mir laufen zu lassen.

H.S-L: Was ist denn die Kehrseite der Fantasie?

M.S.: Die Kehrseite ist natürlich keine schöne. Ich habe eine Tendenz zu Angststörungen und war auch lange angstgestört. Die Angststörung macht sich meistens dadurch bemerkbar, dass man sich irgendwelche schlimmen Szenarien ausmalt, jemandem ist was Schlimmes passiert oder irgendeine Unternehmung endet mit dem schlechtest möglichen Ausgang – da kann so eine überbordende Fantasie toxisch werden, weil man sich in ganz schlimme Horrorszenarien verläuft und da auch alleine nicht mehr rauskommt. Und auch da war mir die Therapie extrem hilfreich, weil ich dadurch für mich herausgefunden habe, was sind meine Triggerpoints, oder bei welchen Entwicklungen muss ich vorsichtig sein?

Eine Welt, in der alle Probleme lösbar erscheinen – das ist wie Urlaub im eigenen Kopf!

Diese Selbstbeobachtung und auch, der eigenen Fantasie nicht ganz über den Weg zu trauen, das ist für mich ganz wichtig, um meine Angststörung weiter in Schach zu halten. Bei Frauen ist das im Übrigen auch besonders ausgeprägt – viel mehr Frauen als Männer leiden an Angststörungen. Man kennt das: man fährt irgendwo weg und dann kommt immer der besorgte Abschiedssatz – du meldest dich wenn du gut angekommen bist, ne? Das finde ich wichtig und spannend, noch mal genau hinzugucken, warum so viele Frauen zu Ängsten neigen.

H.S-L: Warum sollten die Leute trotzdem mehr Fantasie in ihrem Leben haben?

M.S.: Mit den richtigen Fantasiebildern ist eine Menge Entspannung möglich. Nachdem ich mit Female Choice fertig war und diese erste Aufmerksamkeits-Welle abebbte, mein Adrenalinspiegel wieder auf Normalmaß sank, da war ich völlig ausgebrannt. Und in diesem Moment habe ich angefangen, Skarabäus Lampe zu schreiben und mich mit etwas ganz Harmlosem zu befassen. Eine Welt, in der alle Probleme lösbar erscheinen – das war für mich wie Urlaub im eigenen Kopf! Ich habe mich hingesetzt, hab aus dem Fenster geguckt, herrlicher Sommer in dem Moment, draußen alles grün, die Vögel zwitschern … Dinge erfinden, das tut unheimlich gut, und in der Therapie habe ich außerdem gelernt, mich mit sogenannten Fantasiereisen zu beschäftigen, eine Entspannungstechnik, die bei Depressionen und Angststörungen unterstützt. Man denkt sich im Kopf eine Art Happy Place aus, wo man sich wohlfühlt, an dem man in Sicherheit ist, an dem es nur angenehme Empfindungen gibt.

Fantasie macht glücklicher.

H.S-L: Wenn Sie wissen, Sie müssen jetzt noch 4 Seiten schreiben, aber überhaupt nicht in Stimmung sind, wie kommen Sie zu dieser Kreativität?

M.S.: Wenn ich darauf eine einfache Antwort hätte, gäbe es mehr Bücher von mir. Es ist manchmal tatsächlich nicht so einfach, Bilder wach zu kitzeln, wenn sie nicht von selber kommen.

Dieses ganze Setting, diese aufrecht gehenden Tiermenschen, Überstadt, alles ist so schön altmodisch viktorianisch, wie es mir gefällt. Da reicht es manchmal, wenn ich die letzten paar geschriebenen Seiten nochmal lese, um wieder reinzukommen. Aber am besten gelingt es tatsächlich, wenn diese Ideen abends vorm Einschlafen ganz von selbst in meinen Kopf kommen. Ich weiß nicht, wo sie herkommen. Das ist schön und macht glücklich. Fantasie macht glücklicher. Ich glaube, ohne diese Möglichkeit, mir bildhaft Welten vorzustellen, in meiner Fantasiereise, die ich dann hin und wieder mache: ich höre die Geräusche, ich spüre die Temperatur auf meiner Haut, das wird für mich sehr lebendig, an diesem Ort zu sein. Ich weiß gar nicht, wo ich wäre, wenn ich das nicht könnte.

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