Ein anderer Umgang mit dem Tod Veränderungen im Bestattungswesen

Der Tod ist in den Medien allgegenwärtig. Im realen Leben wird er aber immer noch gern verdrängt und an Spezialisten abgeschoben, zu denen auch die Bestatter gehören. Wie sich das auswirkt, zeigt das folgende Interview mit dem Präsidenten des Bundesverbandes Deutscher Bestatter e.V.

Herr Michal, im Vorwort Ihrer Homepage schreiben Sie: „Mein Anliegen ist es, den Tod als etwas Natürliches und Selbstverständliches zurück in das gesellschaftliche Bewusstsein zu heben“. Wie machen Sie das?

Ralf Michal: Ich führe viele Gespräche, denn ich habe den Eindruck, dass das Interesse am Thema Tod und Sterben groß geworden ist – vielleicht auch durch die Erfahrungen der Corona-Pandemie. Ich lasse mich in den Religionsunterricht am Gymnasium einladen, lade Konfirmandengruppen in unser Haus ein und stelle mich ihren Fragen, stelle mich auch der öffentlichen Diskussion. Es finden Gespräche unseres Verbandes mit Politikern statt, zum Beispiel wegen unseres „Hilfe-für-Helfer-Einsatzes“ bei dem schlimmen Erdbeben in der Türkei, den wir koordiniert haben. Mir ist auch sehr wichtig, den Kindern die Angst vor dem Tod zu nehmen und ihnen gleichzeitig ein Gefühl dafür zu vermitteln, dass Verstorbene keine „Sachen“ sind, sondern immer noch Menschen mit ihrer Würde, die respektiert werden muss.

Ihre Familie ist seit über 190 Jahren im Bestattungsgewerbe tätig. Was sind die einschneidendsten Veränderungen im Bestattungswesen, besonders in den letzten Jahrzehnten?

R.M.: Viele Traditionen sind im Wandel der Zeit verloren gegangen, der Umgang mit Sterben und Tod hat sich verändert. Es fehlen Sitten und Bräuche, die helfen, mit Trauer und Verlust umzugehen. Die Hilflosigkeit ist oft groß, aber es wächst auch der Wunsch nach einer möglichst individuellen Form des Abschiednehmens. Menschen wollen den Sarg ihrer Liebsten – manchmal sogar den eigenen – selbst bemalen oder die Urne gestalten. Feuerbestattungen machen heute ca. 80% aller Bestattungen aus, wobei naturnahe Bestattungen immer beliebter werden: im Wasser, im Bestattungswald, oder unter selbst ausgewählten Bäumen. Die Grabpflege übernimmt dann die Natur – sicher auch einer der Gründe, warum sich Menschen dafür entscheiden. Man will den Angehörigen nicht die Grabpflege zumuten, oder man hat niemanden, der das tun könnte.

Die Gestaltung der Bestattung wird nicht mehr einfach „dem Pfarrer“ überlassen, man möchte selbst Lieder und Texte auswählen, die Bezug zum Verstorbenen haben, und auch die Grabgestaltung soll so individuell wie möglich sein – bis hin zu QR-Codes auf Grabsteinen, die das Leben des Verstorbenen nochmal erstehen lassen. Selbstbestimmte Vorsorge spielt dabei eine große Rolle.

In Münnerstadt gibt es das europaweit einmalige Aus- und Weiterbildungszentrum für den Bundesverband Deutscher Bestatter (BDB), dem über 4000 Bestattungsunternehmen angehören. Wie wird in der Ausbildung diesen Veränderungen Rechnung getragen?

R.M.: Der Beruf des Bestatters und der Bestatterin – ca. 60% des Nachwuchses sind Frauen – hat sich vom Handwerksberuf des Tischlers zum „Eventmanager“ gewandelt und ist als Vollhandwerk anerkannt. Der Beruf ist an Qualifikationen gebunden, es wird gegenwärtig sogar die Meisterpflicht angestrebt, denn der Beruf wird immer anspruchsvoller: Die Aus- und Weiterbildung umfasst nicht nur Kenntnisse in der hygienischen und kosmetischen Versorgung Verstorbener, sondern auch in den verschiedenen Bestattungsarten, die kulturell unterschiedlich sind, in Social Media, Psychologie und Seelsorge, Gesprächsführung, Trauerrede, Nachsorge wie Trauergruppen, Printerzeugnissen, in individueller Dekoration u.v.m. Der Beruf ist komplex, und es ist erstaunlich: Wir haben keine Nachwuchsprobleme!

Jede Kultur pflegt ihre eigenen Bestattungsformen. Ist das auf unseren Friedhöfen überhaupt möglich?

R.M.: Das ist nicht immer einfach. Ein Beispiel: Manche muslimischen Gruppierungen pflegen z.B. die Tuch- statt der Sargbestattung. Diese Form ist oft auch äußeren Faktoren geschuldet wie dem Klima, der Bodenbeschaffenheit oder dem Holzmangel. Von einigen Parteien wurde nun die Zulassung der Tuchbestattung gefordert, wobei die praktischen Probleme dieser Bestattungsform außer Acht gelassen wurden, etwa die Tiefe unserer Gräber. Tuchbestattung ist zwar erlaubt, aber unter unseren Bedingungen (z.B. Boden) nur schwer durchzuführen. Aber das scheint für die meisten Muslime in der Praxis kein Problem zu sein, es ging da wohl eher ums politische Prinzip. Wir bemühen uns aber immer, den Wünschen der Angehörigen sowie der Würde der Verstorbenen gerecht zu werden.

Bestatter haben viele seelsorgerliche Funktionen übernommen, die früher Aufgabe der Kirchen waren, auch in der Trauerbegleitung. Haben die Kirchen da etwas verschlafen?

R.M.: Definitiv! Die Kirche betreibt zu wenig Seelsorge, sie ist zu sehr mit der eigenen Organisation beschäftigt. Und sie geht zu wenig auf die individuellen Wünsche der Angehörigen ein, ein leidiges Beispiel ist die Liedauswahl bei der Bestattung. Wenn der Lieblingssong des Verstorbenen nicht gespielt werden darf, weil er nicht im Gesangbuch steht, ist das nur schwer zu vermitteln. Oft entsteht bei der kirchlichen Bestattung der Eindruck, dass der Verstorbene nicht genügend gewürdigt wird, weil der Ritus wichtiger ist als der Mensch. Oder das Thema Tierbestattung: Warum soll die alte Frau nicht mit der Urne ihres Kätzchens bestattet werden? Die Kirchen bieten diese Möglichkeit nicht an – warum eigentlich nicht?

Welche Rolle spielt überhaupt noch die christliche Religion beim Thema Tod und Sterben?

R.M.: Mehr als 50% aller Bestattungen sind nicht mehr kirchlich, wobei es erstaunt, dass auch viele (Noch-)Kirchenmitglieder sich lieber von einem nichtkirchlichen Trauerredner begleiten lassen als von einem Pfarrer. Das liegt auch an der (im Vergleich mit Bestattungsinstituten) schlechten Erreichbarkeit vieler Pfarrämter bzw. an der Unbekanntheit des zuständigen Pfarrers oder der Pfarrerin. Und viele haben ja schon mit einem Vorsorgevertrag alles bis ins Detail geregelt, zu dem auch ein Trauerredner gehört. Dem traut man offenbar größere Flexibilität zu als dem Pfarrer.

Würden die Kasual-Agenturen, die gerade im Entstehen sind, daran etwas ändern?

R.M.: Das glaube ich nicht. Das würde die Entfremdung der Kirchenmitglieder zu „ihrem“ Pfarrer, „ihrer“ Pfarrerin (wenn sie sie überhaupt kennen) nur noch verstärken. Die Kirche sollte nicht noch anonymer werden, nicht noch mehr ihre Mitglieder „verwalten“, sie sollte persönlicher werden.

Die klassische Friedhofskultur scheint angesichts der neuen Bestattungsformen ausgedient zu haben. Die Friedhöfe scheinen immer leerer zu werden. Ziel des BDB ist es unter anderem, die Bestattungskultur bundesweit zu fördern. Wie sieht das konkret aus?

R.M.: Die Friedhöfe sind von den Kommunen angehalten, kostendeckend zu arbeiten. Aber sie sind oft zu teuer und zu wenig attraktiv. Triste Urnenwände werden nicht mehr gerne belegt. Es müssen Alternativen entwickelt werden, denn individuellen Wünschen kann derzeit zu wenig entsprochen werden, etwa eine Waldbestattung mit Sarg. Zudem ist die Grabpflege oft ein Problem, es müssen pflegefreie Konzepte erarbeitet werden. Da immer mehr naturnahe Bestattungen gewünscht werden, müssen dazu neue Ideen entwickelt werden wie Teichbestattungen auf Friedhöfen etc. Es gibt sehr ansprechende Beispiele, wie eine neue Friedhofskultur aussehen könnte, z.B. der Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg mit seiner „Trauerhaltestelle“ (www.friedhof2030.de/trauerhaltestelle). Die Grabstätten müssen dabei öffentlich zugänglich bleiben, das ist ein wichtiger Teil der Gedächtniskultur. Friedhöfe werden sicher ihre Funktion wandeln, werden verstärkt zu Orten der Kommunikation und der Erholung werden, auch zu Orten ökologischer Vielfalt. Allerdings: Bei neuen Formen hakt es oft an der Bürokratie und an den notwendigen Genehmigungsverfahren…

Internetgedenkseiten, „Onlinegräber“ für Menschen und Haustiere werden immer beliebter, wenigstens im Netz will man „unsterblich“ werden. Was können diese neuen Trauerformen leisten und was nicht?

R.M.: Gedenkseiten auf Onlineportalen werden zunehmend ein Thema bei den jüngeren Generationen. Für viele Angehörige ist z.B. die Traueranzeige in der Zeitung nachrangig. Als erstes wird unmittelbar nach Kenntnis des Trauerfalles meist schon ein Facebook-Post abgesetzt oder der WhatsApp-Status angepasst. Diese Tendenzen sind stark zunehmend und der Bestatter muss sich mit den technischen Möglichkeiten befassen. Der Vorteil für die Trauernden besteht in erster Linie darin, dass man die empfangene Anteilnahme regelrecht messen kann. Das mag manchem eine Hilfe sein in der persönlichen Trauerbewältigung.

Gibt es für Sie persönlich Grenzen in der Bestattungskultur, etwa wie die als Pilotprojekt in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte Kompostierung von Leichen? Wo würden Sie sagen: Nein, mit mir nicht?

R.M.: Bei diesem Projekt würde ich sagen: Das ist gegen die Menschenwürde. Diese „Reerdigung im Kokon“ in 40 Tagen ist für mich der Versuch, mit einer vermeintlich nachhaltigen neuen Methode am Markt zu partizipieren. Ein „Mehrwert“ gegenüber einer Erdbestattung ist nicht auszumachen, auch kein finanzieller. Eine seriöse wissenschaftliche Begleitung dieses Kompostierungsprojekts gibt es nicht – mal ganz abgesehen davon, dass in Deutschland keine Kompostierung mit Fleischresten erlaubt ist. Auch viele andere Fragen sind ungeklärt, wie die der Arbeitssicherheit, oder die Tatsache, dass die übrigbleibenden Knochen und der Schädel nach so einem Schnellverfahren geschreddert werden müssen. Umso unverständlicher ist es für mich, dass Vertreter der evangelischen Kirche diesem Projekt sehr aufgeschlossen gegenüberstehen. Da wünsche ich mir mehr kritisches Bewusstsein.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten: Was würden Sie sich von den Kirchen zum Thema Tod und Bestattung wünschen?

R.M.: Erreichbarkeit, Flexibilität und echte Begleitung.

Das Interview führte Elke Münster.

Zum Weiterlesen

Schreiben Sie einen Kommentar