Einsamkeit im Extremsport Die Tränen und das Glück des eisernen Mannes

Einsamkeit wird häufig ein destruktives Potenzial zugeschrieben. Einsamkeit kann in manchen Situationen aber auch dazu führen, dass wir über uns selbst hinauswachsen. Einsamkeitserfahrungen beim Extremsport sind dafür ein Beispiel.

Bei Einzelextremsportarten wie dem Triathlon sind die Athlet*innen auf sich alleine gestellt. Jede*r einzelne kämpft für sich. Jede*r einzelne kämpft aber auch gegen sich. Diese Einsamkeitserfahrung während eines Wettkampfes kann einerseits zur Belastung, andererseits zum Antrieb werden.

Einsamkeit hat das Potenzial, Zweifel und Sorgen vor dem Scheitern oder Versagen angesichts äußerer Ansprüche für einen Moment still zu stellen. Sie konzentriert die Aufmerksamkeit auf das eigene Erleben im Hier und Jetzt und kann gerade dadurch zur Entlastung beitragen. Diese Entlastung wiederum kann zu einer Leistung befähigen, die unter anderen Umständen möglicherweise unerreichbar bliebe.

Was die Erfahrung von Einsamkeit mit einem Sportler aber konkret macht und wie sie das Erleben im Hier und Jetzt auf dem Weg zum Iron Man prägt, beschreibt Triathlet Ingmar Klusmann im folgenden Interview.

Warum ein Ironman-Wettkampf?

IK: Weil man seine Grenzen ausloten möchte und weil man vielleicht auch einfach dazu gehören möchte. Zu dieser kleinen Schar, zu der dann auf dem Zielteppich gesagt wird: „You are an Iron Man.“

Was beschäftigt dich während eines so langen Wettkampfes?

IK: Bei mir sind es ganz unterschiedliche Gefühle und Gedanken. Vor dem Start frage ich mich häufig, warum ich mich überhaupt angemeldet habe. Ich bereue es und will eigentlich nur wegrennen. Wenn ich aber erstmal im Wasser bin, komme ich schnell in so einen Rhythmus. Während des Wettkampfs gibt es aber natürlich auch ganz tiefe Momente, wo ich an andere Dinge aus dem Leben denke. Teilweise bin ich auch von der Landschaft ganz verzaubert. Das habe ich beim Allgäu-Triathlon erlebt, wo die Landschaft und das Wetter so schön waren. Da habe ich ganz vergessen, dass ich überhaupt im Rennen bin und habe das einfach nur noch genossen. Oder andererseits ist man so fertig und leidet, dass man versucht, die Motivation irgendwo anders her zu ziehen.

Wann kommen solche Situationen vor und was hilft dir, trotzdem weiterzumachen?

IK: Ich komme vom Radfahren. Die anderen Disziplinen habe ich mir erst später angeeignet. Und interessanterweise ist das Radfahren für mich am schlimmsten in den meisten Wettkämpfen, weil die Dauer, die ich Sport treibe, bei dieser Disziplin die größte ist. In Roth zum Beispiel bin ich zwei Runden à 90 Kilometer Rad gefahren. Als ich die erste Runde beendet habe, habe ich die Wechselzone schon gesehen. Dann musste ich aber doch links abbiegen und noch eine Runde drehen. Und ich habe auf den Tacho geguckt und gedacht: „Das kann doch nicht wahr sein, dass ich jetzt nochmal diese ganze Strecke fahren muss.“ Das kann dann sehr belastend sein. Vor allem, wenn man merkt, dass die Leistung nachlässt und man sich quälen muss. Da verliert man auch schnell die Motivation.

Auf der Laufstrecke wiederum finde ich es schön, Runden zu laufen. Da begegnet man immer den Fans und hat die Verpflegungsstellen. Und ich empfinde die Entfernung als viel angenehmer. In Hamburg oder Duisburg zum Beispiel läuft man mehrere Runden, sodass man immer wieder an bekannten Punkten vorbeikommt. Dann kann man sich auch das Rennen anders einteilen. Ich hangele mich dabei oft von einem Punkt zum nächsten: Auf meiner Uhr sehe ich, wie schnell ich gerade in diesem aktuellen Kilometer bin. Ich schaue gar nicht auf die Gesamtzeit, sondern ich versuche, diesen einen Kilometer möglichst gut zu schaffen. Und so geht es weiter: Bis zu der Brücke. Bis zu der Verpflegungsstelle. Ich habe also nicht von Beginn an die Motivation bis zum Ende des Rennens. Das würde ich gar nicht schaffen.

Wenn ich allein trainiere, komme ich manchmal in einen meditativen Zustand.

Im Training komme ich dabei manchmal in so einen meditativen Zustand, vor allem wenn ich allein trainiere. Ich laufe gerne Wendepunktstrecken. Wenn ich so weit entfernt bin, kann ich nicht abkürzen. Das heißt, wenn ich mir vornehme, ich laufe 5 Runden im Park und nach 4 Runden habe ich keine Lust mehr, bin ich schnell wieder am Kühlschrank. Wenn ich aber sage, ich laufe 7,5 km in die eine und 7,5 km in die andere Richtung, habe ich insgesamt 15 km und kann nicht abkürzen, wenn ich hinten drehe.

Viel anstrengender, sich zu motivieren, ist es aber beim Radfahren, vor allem wenn ich bergauf fahre. Ich habe schon mehrere Alpenüberquerungen gemacht, wobei ich teilweise 30 km lang bergauf gefahren bin. Wenn man da nicht fit ist und gar keinen Rhythmus hat, gibt es diesen allerletzten Zustand. In diesen Momenten fange ich immer an zu zählen. Bis 10 zum Beispiel. Ich strenge mich 10 Sekunden an und erhole mich 10 Sekunden.

Beim Triathlon aber, also beim Ironman, bin ich meist irgendwann so erschöpft, dass ich mich nicht mehr quälen kann. Dann bin ich in einem Zustand, also wenn es schlecht läuft, bin ich in so einer Ermüdung, dass ich am Ende nicht mehr wirklich kämpfen oder mich steigern kann.

Dann geht es einfach nur darum, durchzukommen?

IK: Dann geht es einfach nur darum, das Hier und Jetzt, die Schmerzen zu akzeptieren, trotzdem versuchen zu lächeln und anzukommen.

Gestern habe ich noch einen Bericht von jemandem gelesen, der beim Ironman auf Hawaii teilgenommen hat. Er hat geschrieben, bei den meisten Rennen geht es darum, einen Gegner zu überwinden, aber auf Hawaii ist man selbst, der eigene Körper der Hauptgegner. Wie siehst du das?

IK: Das sehe ich genauso. Wenn man einen Ironman hat und zusätzlich noch einen Ironman unter harten Bedingungen, dann kämpft man allein gegen alles: Gegen das Wetter, gegen die Temperaturen. Das war in Roth dieses Jahr bei mir auch so. An diesem Tag war es sehr heiß und ich hatte furchtbare Krämpfe von Anfang an. Ich war bei diesem Wettkampf schließlich völlig am Ende. Das war das erste Mal, dass ich das in meinem Leben überhaupt erlebt habe.

Und interessanterweise war dieses emotionale Glück, es geschafft zu haben, nach meinem schlechtesten Wettkampf am größten, weil ich mich am meisten quälen musste und am meisten mentale Stärke gebraucht habe, nicht aufzugeben.

Was ist für dich der schönste Moment an einem Wettkampf?

IK: Das ist von Wettkampf zu Wettkampf unterschiedlich. Also in Duisburg zum Beispiel war für mich der schönste Moment, als ich mit dem Fahrrad ein bisschen gemütlicher losgefahren bin und mich ein Freund aus dem Verein eingeholt hat. Wir sind dann zu zweit wie die Verrückten über die Radstrecke gefahren und dann auch gemeinsam ins Ziel gelaufen, gemeinsam Hand in Hand. Das war einer der schönsten Momente.

Bei der diesjährigen Langdistanz, der Challenge Roth, war der schönste Moment, als ich begriffen habe, was ich überhaupt hinter mich gebracht hatte. Und das hat gedauert. Da habe ich sogar geweint. Normalerweise sind Triathleten harte Typen und Kämpfer, die im Ziel sofort den Anzug runterklappen, um zu zeigen, wie viele Muskeln sie haben. Dann feiern alle miteinander. In Roth war ich ganz allein. Es waren zwar tausende Leute in diesem riesigen Zelt, wo es Verpflegung und Massagestationen gibt. Aber ich war irgendwie allein und habe dann angefangen zu weinen – vor Freude, weil ich es geschafft habe.

Im Ziel war ich ganz allein und habe angefangen zu weinen – vor Freude, weil ich es geschafft habe.

Wenn man aber einen guten Tag hat, dann ist die Erschöpfung zwar da, aber es ist nicht so quälend. Man überholt Leute, die anderen werden schwächer, man selbst kann die Leistung halten. Dann kommt man ins Ziel, macht sich noch kurz vorm Zieleinlauf die Haare schön und jubelt. In Hamburg war es bei mir zum Beispiel so, dass ich vorher gar nicht damit gerechnet hätte, dass es so gut laufen würde. Abends war ich zwar froh und glücklich, es hat mich aber emotional gar nicht so bewegt.

Dieses Jahr in Roth hingegen hatte ich mir unheimlich viel vorgenommen: Ich hatte mir eine bestimmte Zeit als Ziel gesetzt, im Winter und Frühjahr sehr gut trainiert und neue persönliche Rekorde aufgestellt. Es lief also alles wunderbar. Dann kamen aber verschiedene Dinge in den letzten Monaten zusammen, sodass ich das Niveau nicht ganz halten konnte. Das Interessante dabei war, dass ich trotzdem nicht traurig oder enttäuscht war, weil ich meine Zielzeit nicht erreicht habe, sondern dass ich einfach glücklich und dankbar war, dass ich mit der Situation am Tag umgehen konnte und es geschafft habe.

Das Interview führte Laura Brand.


Die Geschichte des Ironman Triathlon auf Hawaii begann 1977 mit einer Idee von Judy und John Collin. Bereits ein Jahr später wurde diese Idee Wirklichkeit: Ein non-stop Wettkampf über 140,6 Meilen, 3,8 km schwimmen, 180 km Rad fahren und 42,2 km laufen. Heute zählt der Ironman als Langdistanz-Wettkampf zur Königsdisziplin beim Triathlon. Daneben gibt es eine Sprint- und eine Kurzdistanz, die mit 1,5 km schwimmen, 40 km Rad fahren und 10 km laufen zugleich olympische Disziplin ist, sowie eine Mitteldistanz über insgesamt 113 km. Die größten Ironman-Wettkämpfe in Deutschland sind der Ironman Germany in Frankfurt am Main, die Challenge Roth und der Ostseeman in Glücksburg.


 

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1 Gedanke zu „<span class="entry-title-primary">Einsamkeit im Extremsport</span> <span class="entry-subtitle">Die Tränen und das Glück des eisernen Mannes</span>“

  1. Zu “Jede*r einzelne kämpft für sich.” – das habe ich bisher noch nie so empfunden. Für mich sind Triathlone und auch viele Laufveranstaltungen eher ein Gemeinschaftserlebnis. Viele, viele Sportler, die sich lange vorbereitet haben und aus allen Ecken Deutschlands oder sogar der Welt angereist kommen, um diesen Tag gemeinsam zu verbringen. “Positiv Verrückte”, die sich an diesem Tag treffen, unterstützt von zahllosen Helfern, die Getränke, Gels etc. anreichen, anfeuern oder auch ermutigen, wenn sie sehen, dass jemand zu kämpfen hat.
    Im besten Fall sind Freunde, Familie, Teamkollegen an oder ebenfalls auf der Strecke.

    Gerade bei den Langdistanzen (Ironmen bzw. Challenge in Roth) kann das auch ein “wir gegen die Strecke” sein und das kann durchaus verbinden.

    Und selbst wenn ich alleine bei einem Event im Ausland bin, habe ich den Eindruck, dass ich mehr von den Menschen und ihren Besonderheiten mitbekomme als wenn ich als Tourist unterwegs bin (Beispiel Norwegen “Ist das Wasser kalt?” “aber nein, es hat 16 Grad”). Und wenn ich weiß, dass später jemand hören möchte, wie es war, dann bin ich auch unterwegs nicht einsam, sondern “nur” allein.

    Spannend, wie unterschiedlich dasselbe Event erlebt und bewertet wird. 🙂

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