Stichwort: Eremitage Über geisterfülltes Einsiedlertum

Ein Gang in die Einsamkeit ist teils mit positiven, teils mit negativen Assoziationen verbunden. Vor wichtigen Entscheidungen sucht mancher die Ruhe von Ablenkungen. Andere bevorzugen dagegen die gemeinschaftliche Beratung mit anderen. Freilich muss das eine das andere nicht ausschließen.

Nicht nur in der Kunst gibt es das idealisierte Bild vom einsamen Recken oder der Heldin, die Herausgehobenes bewirkt. Ob als vereinzelter, Wege auslotender Wanderer in erratischer Natur wie auf Bildern Caspar David Friedrichs, ob als einsamer Poet und Künstler, der in der Abgeschiedenheit Bewegendes kreiert, ob als zurückgezogene Wissenschaftlerin, die in der Absonderung in konzentrierter Detailarbeit die Forschung voranbringt.

Durch die Geschichte hindurch findet sich immer wieder der religiöse Eremit. Das muss nicht gleich die Form der Styliten annehmen („Säulenheilige“), die asketisch auf ihrer hohen Zinne lebten, ohne Schutz, bei Wind und Wetter, und so weithin Aufmerksamkeit erregten.

Eremiten sind teils wunderliche Gestalten, so wie es den sprichwörtlich leicht wunderlichen und entrückten Wissenschaftler gibt. Teils handelt es sich um rational gut nachvollziehbare Rückzüge (bei Geistlichen etwa zu Studium und Meditation). Wobei die Gefahren jeden Einsiedlertums meist offensichtlich und leicht zu erkennen sind. Zum Positiven zählt das zeichenhafte Hinterfragen von Bestehendem und scheinbarer Selbstverständlichkeiten.

Leicht generalisierend ließe sich sagen, dass ein geistvolles Einsiedlertum immer einen Fingerzeig bereithält, dass in göttlicher Perspektive andere Maßstäbe entscheidend sind als nach menschlichem Ermessen. Seien es Erfolgskategorien, nach denen etwas bemessen wird, sei es die Bewertung von Zeit oder Zeitkategorien (Ps 90,4), sei es die Bedeutung des Kleinen – wie jedes Jahr neu zu Weihnachten gesehen.

Anders als spirituell Defizitären, von denen es heutzutage vereinzelte Menschenexemplare geben soll, ist dem geistbeseelten Eremiten selbst das scheinbar Leere kein totes, unfruchtbares Vakuum, steril und öd’, sondern kann jederzeit – von Gott her – zur lebendigsten Fülle werden (Röm 4,17c).

Eine geisterfüllte Eremitage und Einsiedelei, auch im übertragenen Sinne, meint daher Rückzug aus gewohnheitsmäßig Zuhandenem, ohne dass dabei bestimmt sein müsste, ob oder wie dieser Rückzug lokal oder temporär, oder auch nur „teleologisch“ mit einem bestimmten Ziel, festgelegt sein müsste. Emigration aus der Welt kann auch als innere Emigration stattfinden. Diese kann dann zur spirituellen Kraftquelle werden, die im Alltag wirkt, mitten in der Gesellschaft stattfindet und dort auch ihr Zuhause hat.

Solche Eremitage bedeutete Unabhängigkeit von der Welt und wiese zeichenhaft in göttliche, „weltüberwindende“, weil der Weltzeit enthobene Dimensionen. „Er bringt kein zeitlich Gut, er will allein erwerben… was ewig währen tut“. Ein solcher Eremit kann „hoch sein“ oder „kann niedrig“ sein, mit beidem kommt er zurecht. Denn er kann die Welt gebrauchen, als brauchte er sie nicht. Eine Eremitage vermittelt dann innere wie äußere Freiheit, die sich sowohl von billiger Weltflucht wie von schnöder Weltsucht unterscheidet und eine neue Zuwendung zur Welt ermöglicht.

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