Ich bin zufrieden unzufrieden

In der Johannespassion von Heinrich Schütz singt der Chor Psalm 116, in dem es in Vers 7 heißt, „Sei nun wieder zufrieden, meine Seele; denn der Herr tut dir Gutes.“

Musik kann aufrichten, indem man (zu-)hört, indem man musiziert und singt. Wir verleihen Noten, einer er- und gefundenen Melodie, unsere Stimme, und das von einem Anderen, dem Komponisten, Gedachte wird zum eigenen inneren Erleben. Der mit Hilfe unserer Stimmbänder, also physisch erzeugte Laut findet Resonanz im nicht-physischen, seelischen Selbst. Die angesprochene aufgewühlte Seele beruhigt sich; aus den Harmonien der menschlichen Stimmen des Chors spricht das nicht-gegenständliche Du Gottes. Unsere Seele ist dessen Empfangsteil. Ich war in den 20ern, als ich Schütz sang.

Im Ohr ist mir das Vernommene und zum Ausdruck Gebrachte bis heute. Immer mal wieder vernehme ich dieses innere Murmeln. Es bleibt dann einige Zeit wie ein Ohrwurm. Zufriedenheit stellt sich für mich ein, wenn ich dieses innere Murmeln, das sich da eingenistet hat in mir, als etwas Gutes, Erlösendes, Orientierendes erfahre. Die Seele ist für mich das Organ meines religiösen Bewusstseins, ist der Gesprächspartner Gottes, meines inneren Außen, auf das ich lausche. Von dem ich nicht möchte, dass es untergeht in den tausend Geräuschen des Alltags, des äußeren Außen, das mit seinen Suggestionen medialer Glitzerwelten, aber auch mit deren nicht mehr zu verdrängenden bedrohlichen, hässlichen Unterseiten unsere ganze Aufmerksamkeit okkupieren möchte – Schicksal der in diesem Banne hin und her geschleuderten, irritierten, verirrten Seele.

Wenn ich von „mir“ spreche, kann ich nicht anders als von einer Relation auszugehen. Zwischen den Symbolen „Seele“ und „Gott“, dem inneren und äußeren Geheimnis meines Geworden-Seins und Werdens, glaube ich „mich“ ausgespannt, empfing und empfange ich mein Leben, das Geschenk meiner Zeitlichkeit. Wenn ich „mich“ finden will, muss ich mich in Beziehung setzen und Erfahrungen machen, in und mit denen ich mich „kristallisiere“, Form annehme und im stetigen Wechsel meiner äußeren und inneren Gestalt – im eigentlichen Sinne „bin“. Meine Urerfahrung und Urbeziehung ist eine empfangende. „Ich“ bin „mir“ gegeben. Du bist, weil du bist, spricht die schöpferische Urkraft, dein Sein ist „ohne Warum“. Es beruht auf keiner Leistung. Du bist aus Gottes Güte. Das ist das erste und das letzte Wort, das Gott spricht: bedingungslos! Diese (unbedingte) Beziehung ist die erste und mich bewegende Quelle meiner Zufriedenheit.

Gleichzeitig entspringt hier meine permanente Unzufriedenheit, die ich mir erhalten möchte. Der sich in die Güte Gottes eingewobene Mensch webt am Netz dieser Beziehung weiter und findet keine Ruhe, wenn so viele andere noch in Strukturen eingewirkt sind, „in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“ (Karl Marx). Denn wie dürften wir (frei nach Dietrich Bonhoeffer) „gregorianisch singen“, ohne das „Schreien“ der Unterdrückten hören zu wollen?

Es ist der Chor der Zufriedenen – der zufrieden Gewordenen, zufrieden Werdenden –, der mir Zufriedenheit schenkt. Somit erweist sich (meine) Zufriedenheit als Gabe und Aufgabe.

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