Klösterliches Leben muss nicht weltabgewandt sein! Die Community von Iona lebt aus der lebendigen Verbindung von christlicher und keltischer Spiritualität und trifft damit einen Nerv unserer Zeit.
Die Iona Community, eine christlich-ökumenische Gemeinschaft mit Sitz in Glasgow, hat ihr geistliches Zentrum auf der kleinen Inneren Hebrideninsel Iona. Dort wurde sie im 20. Jahrhundert von George Mac Leod (1885–1991), Pfarrer und Synodalmitglied der Church of Scotland, gegründet. Während der 30er Jahre hinterfragte dieser seinen kirchlichen Auftrag stark. Schreckliche Erfahrungen als Teilnehmer im I. Weltkrieg einerseits, starke soziale Missstände durch die Weltwirtschaftskrise in seiner Gemeinde in Glasgow andererseits waren die Auslöser.
Mac Leod hatte die Vision, Arbeit und Glauben eins werden zu lassen. 1938 entschied er sich recht wagemutig für den Wiederaufbau der nach der Reformation verfallenen Klostergebäude auf Iona, gemeinsam mit einer kleinen Gruppe Freiwilliger, arbeitslose Handwerker und Theologiestudenten. Die zugehörige Abteikirche war bereits im 19. Jahrhundert mit finanzieller Hilfe des Duke of Agryll instand gesetzt worden. Diese Abtei geht auf das Jahr 563 zurück, als Columban, ein irischer Priester und Mönch, der sein Land infolge eines Rechtsstreites verlassen musste, sie gründete. Von hier aus missionierte er Schottland, der politische Einfluss seines Klosters war groß. Häufig wurden die schottischen Könige hier gekrönt. Viele von ihnen, auch manche von Irland und Norwegen, fanden auf dem Friedhof der Abtei ihre letzte Ruhe. Iona, die „heilige Insel“, Ziel vieler Pilgerreisen im Mittelalter.
Der Aufbau der Klostergebäude gelang, ausreichend Spendengelder flossen. Die Baustoffe erreichten die Insel trotz Abseitslage zuverlässig. Bereits 1938 wurde die Iona Community von Mac Leod und seinen Freiwilligen gegründet.
Andacht und Gebet durchziehen die tägliche Arbeit, in der Gott wirkt und erkennbar wird. Gottesdienste am Morgen und am Abend umfassen das Tagesgeschehen damals 1938 und auch heute. Die Morgenliturgie, von allen im Wechsel gesprochen, schließt folgendermaßen:
Ist es wirklich wahr, dass Gott die Welt liebt? …Amen. Das ist wahr!
Ist es wirklich wahr, dass Gott alle Menschen liebt? Amen. Das ist wahr!
Ist es wirklich wahr, dass Jesus kam, um alles neu zu machen? Amen. Das ist wahr!
Dann geht los, als Beauftragte Gottes und seid Zeugen für die Liebe und die Gerechtigkeit des Himmels.
Dann geht los, als Leuchtfeuer und Lichtzeichen der Veränderung.
Denn solchen Menschen gehört das Himmelreich.
Die Liturgie endet ohne „Amen“ und im Stehen, damit beginnt die Arbeit. Das „Amen“ in der Abendliturgie beschließt den Tag.
Die Strukturen der Iona Community
Von März bis Dezember finden durchgehend in der Abtei von Iona bzw. im Mac Leod Gemeinschaftszentrum ökumenische Seminarwochen statt mit dem Ziel, die Gemeinschaft kennenzulernen bzw. sie vertieft zu leben. Diese Seminarwochen sind offen für alle, für Jung und Alt, für Mitglieder der Iona Community oder einfach für Interessierte. Es wird Gottesdienst gefeiert, gearbeitet, miteinander diskutiert und Gemeinschaft gelebt, über die Insel gewandert („pilgrimage“), egal von wo auf der Welt man angereist ist und zu welcher christlichen Gemeinde man gehört. In der Buchhandlung findet sich ein breites Angebot an christlicher Literatur, auch vom eigenen Verlag „Wild Goose“ der Iona Community.
Heute umfasst die Iona Community etwa 280 Mitglieder. Sie verpflichten sich freiwillig den vier „rules“:
- Tägliche Gebete und Bibelstudien
- Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und für die Bewahrung der Schöpfung
- Verantwortlicher Umgang mit Zeit und Finanzen. 10% des verfügbaren Einkommens geht an die Gemeinschaft, 6% davon in die Arbeit für Frieden und Gerechtigkeit.
- regelmäßige Treffen
Ca. 1800 Assoziierte verpflichten sich der Regel (1), können aber auch an der ökonomischen Regel (3) teilhaben. Ca. 1700 Freunde der Iona Community unterstützen ideell und finanziell. Die Gemeinschaft trägt sich selbst, ihre Leitung wird auf sieben Jahre von den Mitgliedern gewählt. Seit dem 1. Juni 2020 ist Reverend Ruth Harvey von der Church of Scotland im Amt. Mitglieder, Assoziierte und Freunde der Iona Community leben überall auf der Welt. Assoziierte und Mitglieder der deutschsprachigen Region haben sich am 22. Januar 2022 zur D-A-CH Region zusammengeschlossen, um bei der Organisation von Jahrestreffen und bei digitalen Angeboten besser kooperieren zu können.
Die christlichen Wurzeln der Iona Community
Die Iona Community bindet alle Konfessionen ein, geprägt vom keltisch-gälischen Kulturraum und durch die Vorstellungen Columbans. Sie lebt die keltische-christliche Tradition in ihrer Liturgie, in ihren Liedern, Texten und Gebeten. Keimzelle des keltischen Christentums waren die Klöster in Irland. Durch den aus machtpolitischen Gründen erzwungenen Anschluss dieser irischen und schottischen Abteien an die römische Kirche im Jahr 622 (Synode von Whitby), geriet dieses Gedankengut in den Hintergrund. Welche Vorstellungen waren damals wichtig?
Fern der angelsächsischen Völkerwanderung und der Einflüsse Roms erfolgte die Christianisierung in Irland im 4. Jahrhundert friedlich. Druiden sahen häufig im Christentum eine Weiterentwicklung des Glaubens an die „Alten Götter“. So vermischten sich keltische und christliche Vorstellungen, sichtbar z.B. an den irischen Steinkreuzen: biblische Aussagen einerseits, keltische Knotenornamente andererseits. Die irischen und schottischen Klöster, im 5. bis 7. Jahrhundert hochrangige Bildungseinrichtungen, waren zentral organisiert ohne hierarchische Strukturen. Die Lehre von der Erbsünde, die zu einer starken Sünden- und Schuldorientierung der Christen im Mittelalter führte, wurde dort abgelehnt. Pelagius, ein Kirchenmann aus Wales, und seine Anhänger gingen andere Wege, ohne sich in Rom gegen Augustin durchsetzen zu können. Die menschliche Natur – von Gott geschaffen – ist gut, somit ist der menschliche Wille auch in der Lage zwischen Gut und Böse zu entscheiden (Pelagianismus). Beispiele aus der Bibel: Adam entschied sich für das Böse, Jesus Christus für das Gute. Dieses Gedankengut führt zu einer positiven Lebenseinstellung, zu aktiver Lebensfreude und tätiger Nächstenliebe. Heutige Parallelen zum Leben der Gemeinschaft auf Iona Community werden deutlich.
Die ganze Welt ist durchdrungen von Gott, angefangen von der Natur, die in ihrem Rhythmus, z.B. den Gezeiten, Sinnbild des menschlichen Lebens ist. Das prägte die Gebete der Menschen auf den Hebrideninseln. Alexander Carmichael hat sie gesammelt, vom Gälischen ins Englische übersetzt und im Jahr 1900 herausgegeben.
As it was, as it is, as it shall be evermore, O Thou Triune of Grace!
With the ebb, with the flow, O Thou Triune od Grace! With the ebb, with the flow!
Der Beter sieht im Bild der Gezeiten das Werden und Vergehen. Für sein Leben, ein Geschenk des dreieinigen Gottes, sagt er Dank und fühlt dessen Segen auf sich ruhen. Der Segen hat im keltischen Christentum einen hohen Stellenwert, die wöchentlich sich im Thema wiederholenden Abendgottesdienste auf Iona spiegeln das wider.
Samstag: Willkommen
Sonntag: Meditation
Montag : Friede und Gerechtigkeit
Dienstag: Heilung und Segnung
Mittwoch: Bekenntnis und Verpflichtung
Donnerstag: Abendmahl
Freitag: Abendliturgie
Die ganze Welt ist durchdrungen von Gott, der Alltag mit seinem täglichen Einerlei, kleine und große Arbeitsfelder sowie das menschliche Miteinander, das nur durch die Bereitschaft, zu teilen und gerecht zu handeln, gelingt. Auch zwischenmenschliche Beziehungen sind wichtig, sei es in der Form von Gastfreundschaft oder der heute kaum bekannten Form der Seelenfreundschaft, einer tiefen Beziehung zwischen zwei Menschen, die sich in geistlichen Anliegen austauschten, begleiteten und bestärkten.
Die Iona Community versucht dieses Erbe zu leben und weiterzugeben. Das Vorwort aus dem Liturgiebuch der Iona Community fordert sowohl im Glauben als auch im Handeln dazu auf:
Wir glauben, dass unser ganzes Leben eine Suche nach Ganzheit ist.
Wir wollen ganz Mensch sein ohne Aufteilung in das Heilige und das Weltliche.
Wir wollen ganz gegenwärtig für Gott sein, wie er es für uns ist,
ob in unserem nächsten oder im politischen oder sozialen Engagement unserer Umwelt,
ob in kultureller oder wirtschaftlicher Arbeit
oder im gemeinschaftlichen Gebet und Lob
oder im Innersten und der Seele unseres Seins.
Teilnahme an den Gottesdiensten auf Iona ist über die Homepage der Iona Community möglich: iona.org.uk