Von einer Rückkehr des Religiösen sprechen derzeit viele, wie etwa Hans Joas – und ein Hinweis auf die USA, Russland oder Israel mag diese Analyse stützen. Wie sieht ein routinierter Medienprofi den Umgang mit Religion und kirchlichen Themen im Journalismus?
Nach E. Shannon und W. Weaver besteht Kommunikation zuerst aus nichts als undeutlichem Rauschen. Dass von A zu B qualifizierter Inhalt übermittelt wird, ist nicht einfach zu erwarten. Es ist stets das Ungewöhnliche, etwas Besonderes. Viele Schriftsteller würden dem in Hinblick auf Literaturkritiker wohl unumwunden zustimmen; ebenso Eltern mit Teenagern im Haus. Und selbst Journalisten könnten geneigt sein, diesem Interaktionsmodell zu folgen.

Ein Journalist und Mediendozent, der den garstigen Graben zwischen Aussender und Rezipient überbrücken helfen möchte, ist Peter Linden. Der Münchner Autor hat zahlreiche Fachbücher, Journalistik-Werkstätten und Ratgeber zu Textanalyse und Sprachwirkung, zu verschiedensten Medienformaten veröffentlicht, so das viel beachtete Stilhandbuch im Dudenverlag. Linden ist außerdem Erfinder des Tisch-Eis-Hockey: Eine Sportart – Weltmeisterschaften fanden schon in Graz, Edinburgh und weiteren internationalen Austragungsorten statt –, die leicht zu erlernen ist (aber schwierig zu gewinnen).
In seinen Büchern beschreibt Linden, dass Sekundärimpulse wie epochale Umbrüche oder Seuchen bei Lesern viel Interesse finden; ebenso, dass mit Primärimpulsen wie Familie, Tod, Religion und Spiritualität, auch Vermögen und Berühmtheiten, viele Zeitschriften ein Millionenpublikum erreichten. Was läge also näher, als für die evangelischen aspekte einmal in München anzuklopfen und nachzufragen, ob die Christenheit mit ihrer lebensweisen und gelösten Zuversicht nicht ein Publikumsmagnet sein könnte?
Journalismus in der Kritik
Nun stehen Medien nicht erst seit gestern in der Kritik, einzelne Fragen oder Themen auszublenden. Spätestens seit den wütenden Leserkonferenzen von ZEIT und SPIEGEL (im Jahr 2018), dürfte auch in Journalisten-Kreisen Bewusstsein dafür da sein, dass teils erhebliches Misstrauen vorhanden ist. Es steht nicht weniger im Raum als die Frage nach der Vertrauenswürdigkeit der Medien.
Auch Journalisten haben doch ihre Lieblingsthemen (teils auch eingeschliffene Vorurteile?) sowie bevorzugte Methoden, um Meinungstrends zu befeuern. Dass etliche Redaktionen quasi festgelegt sind, wie sie einzelne Themen bewerten und behandeln, ist kein Geheimnis. Mit der Wahl eines „konservativen“ Mediums oder eines „progressiven“ legen sich Abonnenten hierin manchmal ja durchaus selbst ganz bewusst fest.
Gern genutzte Methoden medialer Aufbereitung sind laut Kommunikationswissenschaftlern 1. das Weglassen von Informationen, z.B. zu Kontext und Entstehung („Verschweigen“), 2. das Aufbauschen einzelner Ereignisse und Inhalte durch Übertreibung oder Verallgemeinern („Dramatisieren“), sowie 3. „Framing“, also das gezielte Abstecken des Rahmens, innerhalb dessen die Behandlung der Thematik bitteschön abzulaufen hat.
Und die Kirchen? Sicher gilt, dass Kanzelrede nicht die erste journalistische Aufgabe abgeben muss. Die allgemeinen Medien sind kein Kirchenfunk. Aber Medien sind doch unbedingt mitverantwortlich für die gesellschaftliche Entwicklung. Warum sollten sie also nicht daran interessiert sein – beinahe dazu verpflichtet –, an einer verlässlichen, vertrauenswürdigen Bildung religiöser Kompetenzen mitzuwirken, respektive dieser Raum zu lassen?! Daran, dass Kirchen in einem gesunden Klima vertrauensbildend ihrer Aufgabe nachgehen? Ja, wer wäre mehr und besser dazu prädestiniert als Zeitungen und Verlage, die das Handwerk können und etablierte Kanäle dafür besitzen.
1. Herr Linden, ist es wirklich schwer, Theologisches in Zeitungen und Medien zu thematisieren?
Dem Wort „wirklich“ entnehme ich, dass andere dies behaupten. Da würde ich gerne zurückfragen, wer dies unbedingt möchte und wer dies angeblich verhindert. Meine Erfahrung als Coach zahlreicher Redaktionen sagt mir, dass es keine prinzipielle Ablehnung kirchlicher Themen gibt. Ich würde sagen, dass alles thematisiert wird, was von den Redaktionen als ausreichend relevant und aktuell wahrgenommen wird. Aber hier liegt vielleicht das Problem: Sobald kirchliche Kreise rein theologische Inhalte platzieren möchten, sind bestimmte Zeitungen und Medien sicherlich besser geeignet als andere.
1.1. Wann sind Tod und Geburt, Spiritualität, Grundvertrauen ins Leben als Primärimpulse relevant und aktuell?
Ich denke immer dann, wenn sie den Raum des Privaten verlassen. Wenn es etwa um das Recht auf begleiteten Freitod geht oder um ungewöhnliche Formen der Bestattung. Beim Thema Grundvertrauen gibt es Schnittmengen. Denn heute mangelt es ja nicht nur an Gottvertrauen, das die Kirchen einfordern, sondern auch an Vertrauen in die Mitmenschlichkeit und gewisse Institutionen wie die Wissenschaften. Unfassbar, mit welcher Nonchalance etwa ein Donald Trump seine kruden, persönlichen Ansichten über gesichertes Datenmaterial stellt.
1.2. Welchen Rat geben Sie Redaktionen am häufigsten?
Den, dass sauberes Handwerk in Recherche und Sprache am ehesten hilft, dem unerträglichen, weil pauschalen und fast immer falschen Vorwurf der Lügenpresse zu begegnen. Und dass Empathie der beste Storyteller überhaupt ist.
2. In der Kirche wie im Journalismus gibt es eine Aufmerksamkeit für die Worte und das Wort – bestehen weitere Gemeinsamkeiten, z.B.: die „Suche nach Wahrheit“ oder die Zugewandtheit und Fokussierung auf (einzelne) Menschen und ihr Ergehen?
Im ersten Punkt stimme ich Ihnen vollkommen zu, wenngleich es bei uns Journalisten wohl eher um die Worte und bei der Kirche das Wort geht. Auch die Wahrheitssuche findet wohl an verschiedenen Orten statt, die Presse sucht im irdischen, die Kirche eher im spirituellen Raum. Was das dritte Stichwort betrifft, ist die Kirche eindeutig besser unterwegs. „Zugewandtheit“, ein ehrliches Fokussieren auf den Einzelnen, vermisse ich bei vielen Medienschaffenden. Zuweilen steht Eitelkeit im Wege, zuweilen der Stress oder schieres Desinteresse. Ihre Frage erreicht mich übrigens an einem besonderen Tag: Heute, wir unterhalten uns Ende Februar, habe ich das Manuskript für eine Medium Magazin-Werkstatt mit dem Titel „Sensible Sprache“ ins Layout gegeben. Im Herbst werde ich im Engadin erstmals einen Texter-Workshop mit dem Schwerpunkt „Sensibilität“ geben.
2.1. (Wie) hängen Wort und Wahrheit zusammen?
Aus sprachwissenschaftlicher Sicht würde ich sagen, dass Worte „Wahrheit“ konstituieren oder zumindest modellieren können. Wer etwa „Grüß Gott“ sagt, hat ja nicht nur jemanden gegrüßt, sondern beinahe beiläufig die Existenz Gottes betont. Aber auch auf viel profanerer Ebene geschieht es, dass Worte ganz spezielle Wahrheiten kreieren. Nehmen Sie den Begriff „Steuersünder“, den wirtschaftsliberale Kreise gerne verwenden. Er verlagert ein Delikt, das häufig mit Betrug einhergeht, ins Private, ausschließlich Moralische. Da werden die mildernden Umstände sozusagen über das Wort mitgeliefert. Das wäre bei „Steuerkriminelle“ schon ganz anders.
2.2. Wie groß ist die Macht der Chefredaktionen? Von manchen Medien ist eine Art Transatlantik-Klausel bekannt.
Sie spielen vermutlich auf den Axel-Springer-Verlag an. Grundsätzlich haben Chefredakteure und Chefredakteurinnen natürlich die Macht, eine Art Richtung vorzugeben. Das ist ihr Job, und sie müssen dafür immer wieder in den Redaktionen den Kopf hinhalten. Viel bedenklicher finde ich, wenn, wie vor wenigen Tagen geschehen, Verlagsbesitzer wie Jeff Bezos einer an sich liberalen Zeitung wie der Washington Post verbieten, sich kritisch über die freie Marktwirtschaft zu äußern. Wenn es also nicht mehr nur um eine Richtung geht, sondern um eine ideologische Festlegung. Das ist dann das Ende der Pressefreiheit. Der Wahrheit ist es am Ende egal, ob ein Staat oder ein reicher Privatmensch sie unterdrücken lässt.
2.3. Wenn dieses Interview erscheint, ist gerade der Kirchentag 2025 vorbei, traditionell ein diskussionsfreundliches Forum. Woran liegt es, dass in Medien oft nur oberflächliche Highlight-Debatten davon wahrgenommen werden?
Vermutlich liegt es auch an der Fülle der Themen und am beschränkten Platz an jedem einzelnen Tag. Dasselbe Problem haben Industriemessen, aber auch das Weltwirtschaftsforum oder andere Kongresse. Es gibt an jedem beliebigen Tag nur eine bestimmte Kapazität x für ein Thema y – egal wie wichtig dieses sein mag.
3. Es waren ja durchaus prominente Medienschaffende und Aktivposten des journalistischen Geschäfts, die sich gegen die Schließung der Evangelischen Journalistenschule EJS engagiert haben.
Dazu zählte auch ich. Denn das war immer ein großer Vorzug der dort Studierenden: Sie hatten einen moralischen Kompass, keine politische Agenda, sie waren zugewandt, nicht zynisch. Bitte nicht falsch verstehen, solche Menschen sind auch an den anderen Journalistenschulen selten. Aber an der EJS habe ich niemanden unterrichtet, der nicht ein wirkliches Interesse mitbrachte, dazu beizutragen, dass diese Welt ein besserer Ort wird.
3.1. Welche Inhalte konnten Sie an der EJS unterrichten und vermitteln?
Rezeptionsforschung und Storytelling in Porträt und Reportage. Gerade bei Letzterem haben wir viel gerungen um einen respektvollen und adäquaten Umgang mit Menschen und Themen.
3.2. Von der ZEIT, taz, Tagesspiegel über Focus bis zum SPIEGEL gibt es viele Redakteure, die aus einer gewissen Kirchenaffinität oder kirchlichen Herkunft keinen Hehl machen. Warum verstecken sie diese?
Vielleicht steckt die Scheu dahinter, sich als „parteiisch“ zu outen – es ist ja vielerorts auch unerwünscht, dass sich Presseleute als Parteimitglieder oder Klimaaktivisten betätigen. Allenfalls im Sport habe ich eine gewisse Toleranz gegenüber Fans festgestellt, da gehört es sogar zum guten Ton, einen Verein oder zumindest die eigenen Nationalmannschaften zu präferieren. Vielleicht sollten wir im Journalismus da eine grundsätzliche Debatte führen. Nicht die Mitgliedschaft ist ja das Problem (eine versteckte Mitgliedschaft ist ja auch eine), sondern der heuchlerische Umgang damit. Warum soll unter einem Text nicht stehen: Autorin x ist Mitglied der Evangelischen Kirche oder Autor y ist Mitglied der SPD? Umso authentischer käme doch eine kritische Auseinandersetzung zur Geltung.
Das Interview führte Manfred Schütz Ende Februar 2025 auf schriftlichem Weg.