Kunst im Dienst der Verkündigung Die Theologie als Taktgeber

Gemälde an kirchlichen Decken oder Bilder in Kirchenfenstern stecken oft voller theologischer Überlegungen. Entweder orientiert sich die Kunst an einem Evangelium. Oder sie folgt einer Auslegungstradition – wie exemplarisch in zwei saarländischen Kirchen zum Ausdruck kommt.

Erst am 28. Juni 1956 gefunden, verdankt die spätgotische Ausmalung in der Martinskirche in Köllerbach ihre gute Erhaltung einer frühen Übertünchung. Die Kunsthistorikerin Gudula Overmeyer fand heraus, dass die Ausmalung des Chorbogens rund 100 Jahre älter ist als die des Chors (um 1470). Der Chorbogen zeigt Szenen aus dem Leben des hl. Martin: von links die Mantelszene, im Scheitel Christus mit dem halben Mantel Martins, rechts ein Stifterbild: der Heilige überreicht dem Abt von Wadgassen den Krummstab, dem Grafen von Saarbrücken das Schwert.

Das Matthäus-Evangelium steht konzeptionell hinter dem Deckengemälde

Für das theologische Programm der Ausmalung sind die Motive im Chor mit Szenen des Jüngsten Gerichts entscheidend. Sie übersetzen biblische Traditionen in ein Bild, das diese interpretiert und selbst Verkündigung ist: In der Mitte sitzt Christus als Richter auf einem doppelten Regenbogen; aus seinem Mund gehen eine Blume und ein Schwert hervor. Der Täufer kniet links, rechts deuten Farbreste auf die Gottesmutter. Ein Spruchband kündet lateinisch nach links „Geht weg, Verdammte“. Das rechte ist leer und hieß „Kommt her, Gesegnete“. Im linken Zwickel ist dann auch das Elend der Verdammten zu sehen: ein Teufel stößt die Unseligen in den Höllenrachen.

Wir können davon ausgehen, dass der Abt das Programm für den Zyklus lieferte: Martinsvita und Matthäus-Evangelium treffen nämlich zusammen, wenn Christus sagt: „Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet.“ Vom Martinszyklus ausgehend, orientiert sich das Gemälde auffällig an Texten, die nur dieses Evangelium kennt. Der Richter sitzt „auf dem Thron der Herrlichkeit“ (Mt 25,31), auf dem Regenbogen als dem Friedenszeichen des Noah-Bundes.

„Regisseur“, „Buch“ und „Produzent“: der Abt

Der Himmel gegenüber der Höllendarstellung ist stark zerstört: Reste lassen Petrus als himmlischen Pförtner vermuten, Schwanenflügel Michael, der die Seelen wiegt. Dazwischen liegt eine Darstellung des Kosmos: Von den vier Urelementen, farbig unterlegt, neun konzentrische Kreise, die Sphärenharmonie. Die drei hinteren Felder des Chors zeigen in einem himmlischen Gottesdienst priesterlich gekleidete Engel mit den Leidenswerkzeuge (v.l.n.r.): (1) Hammer, Zange, Lanze, (2) Martersäule, (3) Stäupe und Kreuz sowie Kreuz und Geißel, (4) Leiter und Weihrauchfass sowie (5) Ysoprohr.

Die Engel mit den Leidenswerkzeugen Christi feiern seine Heilstat am Kreuz. Doch sein Gericht erweist sich durch den Regenbogen als Versöhnung und nicht als Inferno. Der Rückgriff des Künstlers auf den Noah-Bund unterstreicht dabei den Endzeitcharakter, wie das Matthäus-Evangelium formuliert: „… an den Tag, da Noah in die Arche hineinging; und sie achteten‘s nicht, bis die Sintflut kam und nahm sie alle dahin –, so wird auch sein das Kommen des Menschensohnes“ (Mt 24,38f.).

Schließlich sind in den beiden vorderen Feldern die Säulen der Kirche, Schrift und Tradition, gemalt. Im ersten Feld stehen Augustinus und der geflügelte Löwe für Markus, im anderen im Kardinalspurpur Hieronymus und der geflügelte Stier des Lukas. Beide Felder rechts des Richters sind vollkommen zerstört, man muss Gregor den Großen und Ambrosius samt Engel für Matthäus und Adler für Johannes erwarten.

Christus, der gnädige Richter, warnt vor dem apokalyptischen Grauen

Der Teufel stößt die Unseligen in den Höllenrachen.

Sechs Perikopen bei Matthäus schließt Jesus mit dem Wort über die Finsternis, „wo Heulen und Zähneklappern“ ist. Zwei dieser Worte stehen am Ende des Evangeliums. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,37ff) ist besonders erwähnenswert: „Der Menschensohn wird seine Engel senden, und sie werden sammeln […], was zum Abfall verführt […], und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“ Für den seiner Scholle verhafteten Bauern des 15. Jahrhunderts im Köllertal ist das verständlich. Erstmals wird nun auch Mt 13 der Teufel im Zusammenhang mit dem Jüngsten Gericht genannt. Er stößt die Unseligen in den Höllenrachen: Spieler, Geizige und Trinker. Sie sind die Inkarnation des „bösen Knechts“ nach Mt 24,48-51, und der Herr „wird ihm seinen Lohn geben mit den Heuchlern; da wird sein Heulen und Zähneklappern.“ (Mt 24,52). So ist das Höllenmotiv in der Martinskirche nicht aus der Tradition geboren, sondern von den Worten über das „Heulen und Zähneklappern“ inspiriert.

Die Gemeinde sieht im Deckengemälde Gottes Anspruch und Zuspruch

Kirchengemälde als Ausdruck der viva vox evangelii

Analog muss die „Himmelsszene“ auf der anderen Seite der Hölle betrachtet werden. Petrus ist zu erahnen, dem nach Mt 16,18f. die Himmelsschlüssel anvertraut sind – kirchenrechtlich der Primat des Papstes, seelsorgerlich die Löse- und Bindegewalt der Kirche. Um den richtenden Christus knien die Gottesmutter und der Täufer als Fürsprecher. Dazu gehören dann auch die „Säulen der Kirche“, nämlich Schrift und Tradition, dargestellt als Evangelistensymbole, und die Kirchenväter. Die Köllerbacher Gemälde sind also Ausdruck der viva vox evangelii, Zuspruch und Anspruch Gottes zugleich.

Typologie als Konzept der Kirchenfenstergestaltung

Ganz anders ist die theologische Konzeption in den Fenstern der Gersweiler Quersaalkirche, die in den 1930er Jahren durch den damaligen Pfarrer Hans Adam Reiß längsgerichtet wurde. Ihr Glück war damals der Einbau der sechs Fenster mit ihren biblischen Motiven. Erst seit Juli 2019 ist der Künstler ermittelt: Franz Xaver Wilfried Braunmiller (1905–1993) aus Bayern. Seine Fenster gliedern sich jeweils in zwei große Quadrate, unten ein alt-, oben ein neutestamentliches Motiv, dazwischen zwei kleine Quadrate mit je einem Symbol.

Die Idee, jeweils ein alt- und ein neutestamentliches Motiv in Dialog zu bringen, entspricht einer der mittelalterlichen Auslegungen: der Typologie. Das AT ist der Typus, das NT der Antitypus. Tatsächlich ist die Grundidee zu dieser Auslegungspraxis biblisch, denn Joh 3,14 wird ausdrücklich die Parallelität der ehernen Schlange mit dem Kreuz Christi betont.

An zwei der fünf Fenster sei das beispielhaft veranschaulicht: Im ersten Fenster links unter dem Thema „Schöpfung und Neuschöpfung“ steht unten Gottvater mit einem Nimbus in Form eines gleichseitigen Dreiecks und vor ihm Adam (Gen 2,8). Zwischen beiden ist ein Pinguin, dazu eine Hirschkuh, ein Leguan und ein goldener Vogel. Das obere Fenster zeigt Christus als neuen Adam in der Krippe (Lk 2,7), gehalten von Maria, flankiert von Josef und dem Esel (Jes 1,3). Die Symbole dazwischen sind (links) der Stern von Bethlehem und das Kreuz von Golgatha.

Das mittlere Fenster links zeigt uns zum Thema „Gesetz und Evangelium“ unten Mose vor dem Dornenbusch, als er gerade die Schuhe löst (Ex 3,5). Im Bild oben werden die Bedeutung der Gebote und des Geistes Gottes von Jesus und Nikodemus (Joh 3) diskutiert. Die Symbole sind (links) die Gebotstafeln und der Kelch des Heils für den neuen Bund.

In dem mittelalterlichen wie in dem zeitgenössischen Zyklus wird deutlich, dass Kunst im kirchlichen Raum oft eine Funktion erfüllte: Verkündigung. Und dieses Anliegen durchzieht die Jahrhunderte.

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