Siegeszeichen und/oder Passionswerkzeug Das Kreuz in der älteren Kunst

Wer beim Kreuz in den mittelalterlichen Bildkünsten an grauenhafte Darstellungen der Passion denkt, greift zeitlich weit voraus. Erst im 14. und 15. Jahrhundert sollte das Kreuz ikonografisch variantenreich als Todeswerkzeug zur Geltung kommen.

Mit der spätmittelalterlichen Ausrichtung der Frömmigkeit auf die menschliche Natur und die Schmerzen Christi gewannen Bildmedien, die das kontemplative Erleiden der Passion, die imitatio Christi, förderten und intensivierten, zunehmend an Bedeutung. Ein Beispiel dafür sind Darstellungen der Kreuztragung, in denen das Holz schwer auf den Schultern Christi lastet, ihn zu Fall bringt und schlussendlich den heftig blutenden Gekreuzigten zur Schau stellt. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass das Kreuzsymbol, das weniger an das qualvolle Sterben, sondern vielmehr an den göttlichen Triumph über den Tod erinnerte, ausgedient hatte. Dieses Verständnis des Kreuzes steht am Beginn seiner Bild- und Objektgeschichte.

Christogramm statt Kreuz

Dieser Beginn ist erstaunlich spät auszumachen. Vor dem 4. Jahrhundert gab es verschiedene christliche Symbole, doch das Kreuz war nicht darunter. Besonders interessant ist das sogenannte Christogramm, da es mit den kulturellen Praktiken der gebildeten Oberschicht in Verbindung steht. Die Verwendung von Monogrammen, in denen sich die Buchstaben des eigenen Namens kunstvoll, nur für Kenner entzifferbar überlagerten, war in der Spätantike ein beliebtes Mittel sozialer Distinktion. Das Christogramm verschränkt die griechischen Buchstaben X (Chi) und P (Rho), mit denen das Wort Χριστός (Christós) beginnt, ineinander. Es war ein Bekenntniszeichen, das sich auf den unterschiedlichsten Gegenständen findet, etwa auf Fingerringen, Öllampen oder Brotstempeln. Verglichen mit diesem elitären, letztlich abstrakten Zeichen, das immer einer Erklärung bedarf, ist das Kreuz nicht nur äußerst simpel und schnell wiedererkennbar, sondern auch mit dem historischen Ereignis der Kreuzigung verbunden. Doch gerade die Präsenz des schmachvollen Hinrichtungswerkzeuges macht die Erfolgsgeschichte des Kreuzes als Zeichen des Sieges über den Tod so erstaunlich.

Ein militärisches Siegeszeichen

Ein Puzzleteil in dieser Geschichte sind die militärischen Triumphe, die der römische Kaiser Konstantin der Große in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts über seine Feinde errang. Der visionären Weisung Christi folgend, so wollen es uns die schriftlichen Quellen glauben machen, habe er das Kreuz als Siegesgarant mit ins Feld geführt. Anschaulich wird dies nicht zuletzt an der christlichen Umdeutung seiner Feldstandarte. Sie besaß die übliche Form aus Schaft und Querholz, in welcher aber nun ein christliches Kreuz erkannt wurde. Ganz oben auf dem Schaft war ein Siegeskranz mit einem Christogramm angebracht, sodass eigentlich nicht das Kreuz, sondern das Monogramm das auf dem Schlachtfeld weithin sichtbare Symbol des übermächtigen Herrschers war.

Die Kreuzauffindung

Zum Erfolg des Kreuzes trug in den 320er Jahren die Auffindung des wahren Kreuzes in Jerusalem durch die Kaisermutter Helena bei. Da der Jerusalemer Bischof Kyrill Mitte des 4. Jahrhunderts davon sprach, dass Partikel des wahren Kreuzes schon in der ganzen Welt verbreitet seien, kann es diesen Fund gegeben haben.

In einer Gruppe von Kreuzen aus dem 12. Jahrhundert, die in einem liturgischen Kontext zu verorten sind, wird die Legende von der Kreuzauffindung auf eine spezielle Art thematisiert. Hier geben figürliche Bilder einzelne Szenen des Geschehens wieder, das sich wie folgt zusammenfassen lässt: Als sich Helena von Konstantinopel nach Jerusalem aufmachte, um das Kreuz Christi zu finden, waren 300 Jahre seit der Kreuzigung vergangen. Es stellte sich unweigerlich die Frage, wer zu dieser Zeit noch Kenntnis über den Ort der Kreuzigung besaß. Der Hügel Golgatha lag längst innerhalb der Stadt, und ein Gedenkort war dort nie entstanden. Ganz im Gegenteil: Das Areal war von den Römern bebaut und unkenntlich gemacht worden. Helena, so heißt es in der am weitesten verbreiteten Legendenversion, drohte einem jüdischen Bewohner Jerusalems, in dessen Familie die Ortskenntnis über die Generationen hinweg weitergegeben worden war, mit der Feuerstrafe, sollte er sein Wissen nicht preisgeben. Aus christlicher Sicht konnte die Geschichte im Folgenden kein besseres Ende nehmen, denn nicht nur wurde das Kreuz gefunden, sondern auch der Jude zum christlichen Glauben bekehrt.

Die Legende enthält insgesamt einen antijüdischen Kern, den die Kreuze des 12. Jahrhunderts mit ihren figürlichen Szenen aktualisierten. Damit entsteht die Frage, ob dem Kreuz ein christliches Dominanzstreben, das mit den militärischen Siegen Konstantins des Großen einsetzte, dauerhaft innewohnt.

Kreuzreliquien

Der Legende nach soll es sich bei dem Fund um das vollständig und unversehrt enthaltene Kreuz Christi gehandelt haben, das sich als wunderwirksam und damit authentisch erwies. Durch sein Blut und seinen Schweiß galt Christus im Holz leiblich präsent; noch das kleinste Partikel war gänzlich von seiner göttlichen Wirkmacht erfüllt.

Für die Kunstgeschichte ist die Auffindung des wahren Kreuzes ein Glücksfall.

Auch für die Kunstgeschichte ist die Auffindung des wahren Kreuzes ein Glücksfall, denn nun entstand eine neue Art des Behältnisses: das Reliquiar. Es diente ganz pragmatisch zum Schutz der Reliquie, sodass schlichte Beutelchen, Schachteln oder Kettenanhänger einfach umfunktioniert werden konnten. Da der Inhalt den wahren Schatz bildete, kam es auf Äußerlichkeiten nicht an. Dennoch entstanden Reliquiare aus Gold, Silber und Edelsteinen, deren Ornamente, figürliche Bilder und Inschriften die Reliquie mit zusätzlichen Sinnschichten umfassen. Doch auch für diese Reliquiare galt, dass nicht das Material den Inhalt edelte, sondern dass die äußere Pracht die überirdische Heilskraft der Reliquien versinnlichte.

Ein Beispiel sind die sogenannten Gemmenkreuze (lat. gemma; „Edelstein“, „Juwel“, „Gemme“). Sie machen das historische Holzkreuz unkenntlich und verwandeln es in einen leuchtenden Gegenstand ohne Zeit und Ort. In dieser Umgestaltung ist der Triumph Christi über den Tod auf symbolische Weise enthalten. Nicht nur wird das Holz durch ein ungleich kostbareres Material ersetzt. Vielmehr besteht der Unterschied auch in der Ästhetik des Materials, das heißt der dumpfen, das Licht absorbierenden Oberfläche des Holzes einerseits und der glänzenden, farbenprächtigen Beschaffenheit von Gold und Edelsteinen andererseits. Ein Gemmenkreuz gibt die unbezwingbare, alles andere überblendende Siegeskraft des Kreuzes zu erkennen.

Die Verwendung von Reliquienkreuzen lässt sich nicht verallgemeinernd bestimmen. Häufig handelt es sich um Stiftungen einzelner Gläubiger für eine Kirche, was insbesondere für die prachtvollen, kostspieligen Exemplare gilt. Sie waren für die Gläubigen vermutlich nur selten zu sehen, etwa als Vortragekreuz oder bei der Präsentation von Reliquiaren, der sogenannten Heiltumsweisung.

Reformation und Gegenreformation

Die Kreuzreliquie, das wunderwirkende Holz, machte das Kreuz selbst zu einem verehrungswürdigen Gegenstand. Im 16. Jahrhundert geriet dieser Glaube ins Wanken. Mit ihrer vernichtenden Kritik am Reliquienkult sprachen die Reformatoren der Legende des wahren Kreuzes, den Kreuzbildwerken, der Kreuzgebärde und den liturgischen Kreuzfesten jegliche Sinnhaftigkeit ab.

Adam Elsheimer: Die Verherrlichung des Kreuzes
Adam Elsheimer: Die Verherrlichung des Kreuzes, 1603–1605, Städel Museum, Frankfurt am Main.

Die gegenreformatorische Verteidigung bot eine Vielzahl historiografischer Argumente auf. Alle Formen der Kreuzverehrung, das galt es zu zeigen, konnten mit der Autorität der Apostel, Kirchenväter und zahlreicher anderer Gelehrter bis in die Frühzeit des Christentums zurückverfolgt werden. Bildzyklen zur Auffindungslegende erlebten eine neue Konjunktur, und die Ikonografie des Kreuzes wurde weiterentwickelt.

Ein besonders schönes Beispiel ist das kleine Bild, das Adam Elsheimer, ein Maler aus Frankfurt am Main, zwischen 1603 und 1605 in Rom schuf. Es zeigt das schlichte Kreuz in einer leuchtenden himmlischen Sphäre, umringt von unzähligen biblischen und heiligen Gestalten. Wer in gegenreformatorischer Zeit das Kreuz verehrte, konnte sich auf diese Gemeinschaft berufen. Die am Kreuzfuß knieende Helena macht deutlich, dass hier das Kreuz auf Golgatha gemeint ist. Auch Elsheimers Bild führt eindrücklich vor Augen, dass die Kunst alle Mittel besaß, im umstrittenen Holzkreuz das Siegeszeichen erkennbar zu machen.

Zum Weiterlesen

Schreiben Sie einen Kommentar