Sozial-ökologisches Existenzminimum Den Weg zur Klimaneutralität sozialverträglich gestalten

Menschen mit geringen finanziellen Mitteln sind von Folgen des Klimawandels wie von Kosten des Klimaschutzes besonders stark betroffen. Ein sozial-ökologisches Existenzminimum bietet die Chance, die Klimawende sozialverträglich auszugestalten.

Diskussion ums Existenzminimum

In Deutschland – und auch darüber hinaus – werden bereits seit längerer Zeit intensive Diskussionen geführt, was für die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums notwendig ist. Das Existenzminimum ist relativ zur gesamtgesellschaftlichen Situation zu bestimmen und umfasst neben physischen Bedarfen auch die sozio-kulturelle Teilhabe – dies hat schon 2010 auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt.

Kritiker wenden ein, dass sowohl die Befriedigung von Grundbedürfnissen (z.B. gesunde Ernährung) als auch sozio-kulturelle Teilhabe schon nach dem derzeitigen Bemessungsverfahren in Deutschland nicht ausreichend möglich sind. Gleichzeitig wird immer deutlicher, dass die Überschreitung planetarer Grenzen zu weiteren Herausforderungen für die Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums führt. Denn Menschen mit geringen finanziellen Mitteln sind bzw. wären besonders stark von den Folgen des Klimawandels selbst (hohe Vulnerabilität) als auch von Kosten der Klimaschutzmaßnahmen (z.B. CO2-Bepreisung) betroffen. Maßnahmen, die dies verhindern, sind umso dringlicher, als die Auswirkungen voraussichtlich immer schwerwiegender werden, je länger entschiedenes Handeln ausbleibt.

Gefährdung für den Klimaschutz

Die Herausforderungen des Klimawandels müssen also bei der Sicherung des Existenzminimums berücksichtigt werden. Dies erscheint nicht nur geboten, weil die Lebensqualität der Betroffenen ansonsten massiv leiden würde, sondern auch, weil durch hohe Belastungen für Menschen mit geringen finanziellen Mitteln ein wirksamer und mehrheitsfähiger Klimaschutz mindestens erschwert, wenn nicht gar unmöglich wird. Denn auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln muss es z.B. ermöglicht werden, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Andernfalls drohen die Klimaziele verfehlt zu werden und/oder die Wohlstandsverluste und Gefährdungen im unteren Bereich der Wohlstandsverteilung werden zu großer Unzufriedenheit, Widerstand, möglicherweise sogar zu Unruhen führen. Dadurch wäre wiederum die Umsetzung der notwendigen Klimaschutzmaßnahmen nahezu unmöglich. Unzufriedenheit und Misstrauen in die Politik und die Demokratie würden zunehmen, womit auch die extremen Ränder weiter gestärkt würden.

Ein sozial-ökologisches Existenzminimum

Wie kann angemessen und proaktiv auf diese Herausforderungen und Veränderungen reagiert werden? Wir schlagen im Folgenden fünf Lösungsansätze vor, die im Rahmen unseres Gutachtens „Sozial-ökologisches Existenzminimum – Herausforderungen und Lösungsansätze“ im Auftrag der Diakonie Deutschland erarbeitet wurden. Das Gutachten wird im Februar 2025 veröffentlicht und kann auf der Themenwebsite „Die ökologische Transformation sozial gerecht gestalten – Teilhabe sichern“ der Diakonie Deutschland kostenfrei heruntergeladen werden (www.diakonie.de/informieren/infothek/2025/februar/diakonie-konzept-fuer-ein-sozial-oekologisches-existenzminimum).

Auch Menschen mit geringen finanziellen Mitteln muss es ermöglicht werden, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren.

Die Lösungsansätze sind im Gutachten mit konkreten Maßnahmen unterlegt. Sie verbinden sich zum Konzept eines „sozial-ökologischen Existenzminimums“. Als Baustein einer sozial-ökologischen Transformation soll dieses Konzept sicherstellen, dass das menschenwürdige Existenzminimum in und nach der notwendigen Transformation gewährleistet ist. Horizont und Instrumentarium des Konzepts gehen im Unterschied zu den meisten bisherigen Untersuchungen über die reine Mindestsicherung (u.a. Bürgergeld, Wohngeld, Kinderzuschlag) hinaus. Einbezogen werden auch die Bereitstellung von angemessener Infrastruktur/Daseinsvorsorge, die Stärkung unterer Einkommen insgesamt sowie Förder-, Subventions- und Verteilungsaspekte sowie Suffizienzfragen.

Die fünf Lösungsansätze

Die folgenden fünf Lösungsansätze können einen substanziellen Beitrag zur Sicherstellung des menschenwürdigen Existenzminimums in und nach der Transformation zur Klimaneutralität leisten und sollten deswegen bei der Verfolgung einer ambitionierten Klima- und Umweltpolitik berücksichtigt werden:

  1. Stärkung unterer Einkommen: Es ist sicherzustellen, dass bei absehbar steigenden Preisen und Investitionserfordernissen Wohlfahrtsverluste bei Haushalten mit geringen finanziellen Mitteln verhindert werden und dass Klimaschutz sowie umweltverträglicher Konsum möglich sind. Entsprechende Instrumente sind beispielsweise der Mindestlohn und das Wohngeld – beide könnten angemessen erhöht werden. Zudem könnte die Einkommensteuer- und Abgabenbelastung für untere Einkommen gesenkt werden.
  2. Reform der sozialen Mindestsicherung: Es ist sicherzustellen, dass das menschenwürdige Existenzminimum im Zuge der Bewältigung der anstehenden Herausforderungen nicht gefährdet ist (eng verbunden mit Lösungsansatz 1, um im Zusammenspiel einer ansonsten drohenden Zunahme der Ungleichheit, insbesondere der Armut und Prekarität, entgegenzuwirken). Ansatzpunkt ist insbesondere das Grundsicherungs- bzw. Bürgergeldniveau, bei dessen Bemessung absehbare Preissteigerungen und notwendige Änderungen des Konsumverhaltens – hin zu mehr Nachhaltigkeit – zu berücksichtigen sind. Nur so ist ein teilnehmendes Leben der Anspruchsberechtigten möglich.
  3. Ausbau der öffentlichen Infrastruktur/Daseinsvorsorge: Es ist sicherzustellen, dass grundlegende Dienstleistungen für alle Bürgerinnen und Bürger zur Verfügung stehen und dass deren Bereitstellung kompatibel mit der Erreichung der Klimaziele bzw. insgesamt der Einhaltung planetarer Grenzen ist. Wichtige Beispiele sind die Förderung des öffentlichen Verkehrs und von Fernwärmenetzen – wobei diese nicht nur auszubauen sind, sondern für untere Einkommen auch bezahlbar sein müssen.
  4. Soziale Ausrichtung von Förderprogrammen/Subventionen: Es ist sicherzustellen, dass angesichts knapper Haushaltsmittel diejenigen Bürgerinnen und Bürger bei der Transformation unterstützt werden, die sich andernfalls die notwendigen Investitionen nicht leisten könnten oder über Gebühr belastet würden. So gilt es beispielsweise, den sozialen Wohnungsbau zu intensivieren und dabei eine hohe energetische Qualität umzusetzen, sowie sozial ausgerichtete Förder- und Beratungsangebote wie den Stromspar-Check (stromspar-check.de) auszubauen.
  5. Verteilungs- und Suffizienzpolitik: Es ist eine Finanzierung für die die vielfältigen staatlichen Investitions- und Unterstützungserfordernisse sicherzustellen und es sind Rahmenbedingungen, Anreize und Regelungen zu setzen, damit im Sinne eines „Genugs“ ein gutes Leben für Alle möglich ist. Dementsprechend könnten beispielsweise verteilungspolitisch die Progression der Einkommensteuer verstärkt und die Erbschaftssteuer reformiert werden. Auf Seiten der Suffizienzpolitik könnte das Recht auf Reparatur ausgeweitet und mit Nachdruck umgesetzt sowie ein Tempolimit eingeführt werden.

Fokussierung auf den Klimawandel

Die hier vorgeschlagenen Lösungsansätze fokussieren auf die Herausforderungen durch den Klimawandel. Dieser ist bei weitem nicht die einzige ökologische Krise und Herausforderung, aber sicherlich eine der zentralen. Er steht zudem in Verbindungen mit anderen Problemen wie dem Biodiversitätsverlust und der Landnutzung. Daneben hat die Eingrenzung auch pragmatische Gründe, da das untersuchte Feld ansonsten zu weit würde.

Die sozialen Folgen ökologischer Schutzmaßnahmen müssen bedacht und ausgeglichen werden.

Dabei ist der „Anspruch“ der Lösungsansätze nicht, dass diese alleine geeignet wären, um Klimaneutralität zu erreichen. Dieses Ziel erfordert vielfältige andere Ansätze und Instrumente (z.B. eine wirksame CO2-Bepreisung, Ordnungsrecht, finanzielle Unterstützung, Industriepolitik, Infrastruktur). Wie ein solcher Politik-Mix aussehen könnte und welche zentralen Maßnahmen er enthält, beschreibt beispielsweise die Studie Klimaneutrales Deutschland. Von der Zielsetzung zur Umsetzung der Agora Think Tanks, 2024 (www.agora-energiewende.de/publikationen/klimaneutrales-deutschland-studie).

Zusammenschau von sozialen und ökologischen Aspekten

Soziale und ökologische Aspekte müssen zusammengedacht werden, um zu guten Lösungen zu kommen. Das bedeutet nicht, dass eine ökologisch sinnvolle Maßnahme, die negative soziale Auswirkungen hat, automatisch ausscheidet. Es bedeutet aber, dass deren sozialen Folgen untersucht werden müssen und die Ergebnisse – falls sinnvoll möglich – in eine sozialverträgliche Ausgestaltung der ökologischen Maßnahme münden. Alternativ müsste mit ergänzenden sozialpolitischen Maßnahmen auf die durch die ökologische Maßnahme verursachten besonderen Belastungen der unteren Einkommensgruppen reagiert werden. Nur so wird es möglich, dass die ökologische Transformation nicht zu einer unsozialen, sondern zu einer sozial-ökologischen Transformation wird.

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