Heulen und Zähneklappern Erfahrungen und Kritik zum Ersten Theologischen Examen

Studium und Examen haben im Fach „Evangelische Theologie“ sehr wenig miteinander zu tun. Einer der Missstände, die dringend geändert werden müssen. Sarah Hilmer und Jonas Hauschildt, die dieses Jahr beide in Göttingen gute Examina abgelegt haben, machen einige Vorschläge.

Prüflinge neigen dazu, Prüfungen unfair und zu schwer zu finden. Und an der Vermutung, dass es in ihrer Situation nicht ganz leichtfällt, „das große Ganze“ im Blick zu behalten – da ist bestimmt auch etwas Wahres dran. Gleichzeitig sollte das nicht dazu führen, dass ihre Kritikpunkte von vornherein abgetan werden. Genau das ist aber in den vergangenen anderthalb Jahren, die wir mit dem „Ersten Theologischen Examen“ verbracht haben, häufig unser Eindruck gewesen.

Dabei gilt die Regel, dass die eigene Position den Blick auf die Dinge prägt, sicher ebenso für Pastor*innen, Prüfer*innen oder Verantwortliche, denn: Wer Prüfungen (schon lange Zeit) überstanden hat, empfindet sie sicher nicht mehr als „unschaffbar“ – schließlich war man selber ja gut genug, um es „geschafft“ zu haben. Prüfer*innen dürften ihre eigenen Prüfungen in der Regel für gerecht halten – sie erwarten ja schließlich nur, was „man“ ohnehin können und wissen muss. Für diejenigen, die ein Prüfungsverfahren organisieren, ist wiederum jede Änderung im Ablauf zusätzlicher Aufwand, eine Störung des normalen Betriebs. Auch diese Perspektiven sind verständlich und haben ihr Recht. Und dennoch muss sich etwas ändern.

Wie funktioniert Theologiestudium und -examen?

Doch zunächst: Wie funktioniert das Theologiestudium und -examen eigentlich? Vorweg sei erwähnt, dass wir unsere Ausführungen auf die Verhältnisse an unserer Alma Mater, der Universität Göttingen, beziehen. Das Theologiestudium wird hier als modularisierter Magisterstudiengang mit zwölf Semestern Regelstudienzeit angeboten. In der Mitte liegt eine Zwischenprüfung, die jedoch nicht als Abschluss gilt. Studiert werden fünf Disziplinen – Altes und Neues Testament, Kirchengeschichte, Praktische und Systematische Theologie – zu denen jeweils Vorlesung, Seminar und Übung besucht werden. Ein „Modul“ wird in der Regel mit einer Hausarbeit zum Seminar abgeschlossen, deren Inhalt durchweg ein spezialisiertes Thema ist – Überblickskenntnisse aus den Vorlesungen sind allenfalls Hintergrundwissen.

Am Ende des Studiums – also nach etwa zwölf Semestern – hat eine Studentin zwölf Hausarbeiten zu Papier gebracht. Nun beginnt sie mit der Examensvorbereitung: Ein Jahr lang erarbeitet sie sich nun Überblickswissen, um sich so auf die Examensprüfungen vorzubereiten. Im Idealfall wird die Vorbereitung durch Repetitorien begleitet, die anders als bei Jurist*innen üblich immerhin kostenlos an der Uni angeboten werden. Die Aufgabe des „Reps“ ist es, gute Literaturlisten und Ansporn für die Eigenarbeit zu bieten (und den Austausch mit Leidensgenoss*innen zu befördern). Hauptaufgabe in der Examensvorbereitung ist jedoch das disziplinierte Lesen und Exzerpieren, Übersetzen und Vokabel-Pauken – in Alleinarbeit.

Für das Erarbeiten des Überblickswissens gibt es eine unüberschaubare Menge an Literatur. Die Kunst ist es, so geschickt auszuwählen, dass der einjährige Zeitrahmen eingehalten bleibt, der mögliche Prüfungsstoff sich umfassend und zugleich griffig zusammenfassen lässt – und hoffentlich der Erwartung der Prüfenden entsprochen wird. Am Ende steht ein Batzen an Exzerpten, die für die Klausuren schlichtweg auswendig gelernt werden.

Erster Teil der Examensprüfung ist die Klausurwoche mit vier Klausuren, in denen nun das Überblickswissen abgeprüft werden soll. Nach etwa eineinhalb Monaten folgen die mündlichen Prüfungen, in denen abgesprochene Spezialthemen im Zentrum stehen. Die fünf mündlichen Prüfungen werden im kirchlichen Examen an einem Tag, im äquivalenten Fakultätsexamen über zwei Wochen verteilt abgelegt. Im Anschluss folgt eine 12-wöchige Examensarbeit, die mit ca. 60 Seiten in etwa den Umfang einer Masterarbeit hat. Der Zeitraum von Klausuren bis Abgabe der Arbeit beträgt knapp ein halbes Jahr, rechnet man die einjährige Vorbereitungszeit dazu, „hängt“ man 1,5 Jahre im Examen.

Problembeschreibung und Kritik

Gewissermaßen ein „Evergreen“ in den Diskussionen um das Examen ist die Frage: Warum spielen die über das Studium hinweg absolvierten Prüfungen gar keine Rolle bei der Examensnote? Das trägt zu dem immensen Druck bei, der auf den Examenskandidat*innen lastet: Sie fangen nach ungefähr sechs Jahren Studium bei null an, auf dem Zeugnis stehen nur die zehn Teilprüfungen, die in kurzer Folge hintereinander abgelegt werden. Man könnte also im Studium alles mit 1,0 bestanden haben und am Ende trotzdem nur knapp mit einer 4,0 bestehen. Oder natürlich ganz durchfallen und nach höchstens zwei Versuchen außer dem Abitur gar nichts in der Hand haben.

Hinzu tritt – und das ist das viel größere Problem –, dass besonders mit Blick auf die Klausuren das Studium praktisch keine Vorbereitung auf die Prüfungen liefert, auf die es am Schluss ankommt. Insofern ist schon der Name „Repetitorium“ an Ironie kaum zu überbieten: „Wiederholt“ wird dort wenig. Das, was als „Überblickswissen“ erwartet wird, wurde in der geforderten Breite höchstens mal in einer Einführungsvorlesung erwähnt – etwa ein halbes Jahrzehnt zuvor. Zudem sind die einzelnen theologischen Disziplinen – wie in jeder Wissenschaft – von einer fortschreitenden inneren Ausdifferenzierung betroffen. In der Folge ist für die Kandidat*innen immer unklarer, was eigentlich zum „Wissenskanon“ gehören soll. Gerade auf die Klausuren bezogen stellt sich auch die Frage, ob das überhaupt eine geeignete Form ist, geisteswissenschaftliche Arbeitsweise abzuprüfen. Die im Studium eingeübte Vertiefung in eine Sachfrage, indem Literatur herangezogen und diskutiert wird, unterscheidet sich jedenfalls deutlich von der flächigen Darstellungsweise eines aus dem Gedächtnis verfassten Essays, für den aus einem uferlosen Reservoir drei Themen zur Auswahl vorgesetzt werden.

Dass die Examensprüfungen nicht wirklich dazu geeignet sind, abschließend das im Studium Gelernte zu prüfen, gilt jedoch nicht nur inhaltlich, sondern auch hinsichtlich der Prüfungsformen. Hausarbeiten sind, wie gesehen, der absolut dominierende Typus während des Studiums. Hinzu treten einige mündliche Prüfungen (die sich jedoch von denjenigen im Examen meist deutlich unterscheiden) sowie eine (!) Klausur mit Essayaufgabe. Dabei gehört es zu den Grundregeln der Prüfungsdidaktik, dass auch Prüfungsformen eingeübt werden müssen – und zwar als Prüfungen und nicht nur als „Trockenübungen“ in der Vorbereitung.

Insgesamt ergibt sich daraus eine Gemengelage, die nach unserem Eindruck praktisch alle Kandidat*innen massiv belastet – eine Gemengelage aus mangelnder Vorbereitung durch das Studium, unklaren inhaltlichen Ansprüchen, unbekannten Prüfungsformen, viel zu sporadischer Betreuung und last but not least natürlich der Angst, in der akuten Drucksituation, auf die man mindestens ein Jahr lang ohne Zwischenstopp zuarbeitet, zu versagen. Uns hat sich dabei immer wieder die Frage aufgedrängt: Muss das so sein? Gibt es nicht Wege, die für die Kandidat*innen eine geringere Belastung sind und zugleich sogar besser den theologischen Lernerfolg abprüfen können?

Verbesserungsvorschläge

Auch in der EKD wird zurzeit darüber nachgedacht, wie das Examen weiterentwickelt werden könnte. Jenseits der Grundsatzfrage, ob auch eine Umstellung auf das Bachelor-/Master-System sinnvoll sein könnte, finden wir es wichtig, dass bei diesen Diskussionen auch die folgenden drei Gesichtspunkte mitbedacht werden:

  1. Examen entzerren

Dies funktioniert auf zwei Arten: Zum einen, indem man Prüfungsleistungen aus dem Studium anrechnet; zum anderen, indem nicht vier Klausuren in einer Woche geschrieben werden. Denkbar wäre es, schon über das Jahr hinweg Klausuren „abzuschichten“. Letzteres geschieht an manchen Prüfungsorten bereits und würde somit zu einer Vergleichbarkeit der Examensprüfungen im Raum der EKD beitragen. Beides ist leicht umzusetzen, trägt zur psychologischen Entlastung der Prüflinge bei und würde die Chance einer intensiveren Vorbereitung für die einzelnen Fächer bieten.

  1. Höhere Korrelation zwischen Studium und Examen herstellen

Das gilt sowohl für Prüfungsformen wie auch für Prüfungsinhalte – und kann auch eine Umstrukturierung des Studiums implizieren. Denkbar wäre z.B., mithilfe von Klausuren im Grundstudium Prüfungsform und -inhalte des Examens stärker einzubinden.

  1. Mehr Bewusstsein für die Ausnahmesituation

Es ist sicher völlig falsch, Prüfenden und Prüfungsämtern bösen Willen zu unterstellen. Gleichzeitig würde es den Prüflingen sehr helfen, wenn bei allen Beteiligten ein größeres Bewusstsein für die Ausnahmesituation der Examenskandidat*innen erkennbar wäre, die dem Examen als Gelenkstelle für ihre Zukunft ausgeliefert sind. Letztlich können wir nicht beanspruchen hier ein Bild vom „großen Ganzen“ des Examens zu zeichnen, aber genau deshalb würden wir uns wünschen, dass unsere Perspektive als Prüflinge mehr Gehör findet. Dass dies alles keine Einzelprobleme sind, zeigt die aktuelle Online-Petition „Umstrukturierung des Studiengangs ev. Theologie mit Examen“ auf www.change.org, die bereits fast 2000 Mal unterschrieben wurde.

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