„Was ist der Mensch?“ Kolumne

Eine Geschichte, die uns von dem jüdischen Theologen und Philosophen Martin Buber überliefert ist, erzählt:

„Rabbi Bunam nämlich sagte zu seinen Schülern: Jeder von euch muss zwei Taschen in seiner Jacke haben, um bei Bedarf in die eine oder in die andere greifen zu können. In der einen Tasche liegt ein Zettel, auf dem steht:
›Das Universum ist um deinetwillen geschaffen.
Auf dem Zettel in der anderen Tasche steht:
›Du bist Staub und Asche.‹“

Mir scheint, unsere Welt leidet daran, dass viele Menschen heute nur eine Jackentasche haben und so eine der beiden Zettel-Botschaften verabsolutieren. Denn unsere Welt leidet, wenn Menschen sich zum Maß aller Dinge machen – zum „master of the universe“. Wenn Demut, Selbstkritik, Mitmenschlichkeit und solidarisches Teilen für sie nur leere Worthülsen sind.

Aber unsere Welt leidet auch, wenn Menschen ihre Bedeutungslosigkeit und ihre Ohnmacht kultivieren. Wenn sie kein Zutrauen haben zu sich selbst und zu anderen Menschen. Wenn sie sich stumm und tatenlos der Ausbeutung und dem Unrecht auf dieser Welt ausliefern.

Die Bibel mutet uns beide Zettel-Botschaften zu: Der erhebenden Zusage der Gott-Ebenbildlichkeit des Menschen stellt sie die realistische „Erdung“ des Menschen an die Seite. Damit Menschen sich nicht vergötzen. Aber sich auch nicht gering-schätzen oder sogar selbst ver-achten und in Depression versinken. Denn die Zusagen bleiben ja neben einander bestehen. Dialektisch ist also die biblische Aussage über den Menschen: fast wie Gott (vgl. Psalm 8) – und vergänglich wie Staub (1. Mose 3,19). Und beides ist wahr!

„Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde“ (1. Mose 1,27). Mit dieser Zusage begründet die Bibel eine qualitative Unterscheidung von Menschen, Tieren und Pflanzen. Anders als Pflanzen und Tiere sind Menschen von Gott befähigt und berufen, Gegebenes nicht fraglos zu akzeptieren, sondern Vorfindliches zu transzendieren. Trotz und inmitten leidvoller Erfahrungen können Menschen an Recht und Gerechtigkeit auf unserer Welt festhalten und beides erfahrbar machen! Menschen können glauben, hoffen und lieben – trotz alledem.

Die biblischen Schöpfungsberichte schärfen uns ein: Gott hat dem Menschen seine Schöpfung anvertraut, damit Menschen sie treuhänderisch und nachhaltig gestalten. Mit biblischen Worten: „Bebauen und bewahren“. Ich ergänze: So bebauen, dass wir bewahren. Und bewahren, indem wir bebauen. Darum ist das Universum „um unseretwillen“ geschaffen.

Zum anderen aber gilt: Menschen sind Teil der Natur und haben mit ihrer Natur Anteil an der Vergänglichkeit alles Geschaffenen. Der Mensch „adam“ ist genommen und geformt vom Ackerboden, von der „adama“. Gottes Atem ist es, der „adam“ zum Leben erweckt. Ohne den lebendigen Atem Gottes ist der Mensch nur ein lebloser Klumpen Erde.

Diese biblische Einsicht holt Menschen auf den Boden der Realitäten zurück, „erdet“ sie und bewahrt vor Selbstverherrlichung und Selbstvergötzung! Auch in ihrer Berufung zur Übernahme von Verantwortung für Gottes Schöpfung bleiben Menschen immer begrenzt und fehlbar.

Entscheidend  ist nun für mich: Die vielfältigen, oft mehrdeutigen und manchmal widersprüchlichen biblischen Antworten auf die Frage „Was ist der Mensch?“ eint eine Grundüberzeugung: Der Mensch ist nicht das Zwischen- und Zufallsprodukt einer kalten und stummen, Schöpfer-losen Evolution. Menschen sind von Gott gewollt. Menschen sind ›schöpferische Geschöpfe‹, von Gott mit besonderen Gaben befähigt und zu verantwortlichem Leben berufen.

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