Leben mit Tieren Wieviel Tier steckt im Menschen?

Das Verhältnis zwischen Mensch und Tier wird oft hierarchisch gedacht: Der Mensch „stehe“ (metaphorisch) über den Tieren. Angesichts biologischer Erkenntnisse ist die Heraushebung des Menschen aus der Natur zu hinterfragen. Wie lässt sich die Beziehung zwischen Mensch und Tier im Spannungsfeld aus theologischen und biologischen Erkenntnissen beschreiben?

Ich finde, hier auf der Welt steht der Mensch an der Spitze. Es gibt noch Gott, aber der ist nicht direkt auf der Erde. Der Mensch kann über alles bestimmen und er hat sich weiterentwickelt und ich glaube, das stellt ihn über die Tiere. Der Mensch hält sich Tiere, um sie zu essen, und ist sozusagen der Herr über die Tiere. (Eva, 15 Jahre, zit. n. Tramowsky 2019)

1. Tierethik behandelt die menschliche Verantwortung für Tiere

Evas Aussage spiegelt eine gängige Ansicht zur Einteilung von Tieren in Heim-, Nutz- und Wildtiere wider, was zu bestimmten Wertvorstellungen und Handlungsweisen führt. Diese Kategorisierung ignoriert den Eigenwert der Tiere. Tierethik befasst sich mit diesen Aspekten und den Konflikten, die aus der Nutzung von Tieren entstehen, indem sie biologische und ethische Perspektiven integriert.

2. Theologie bedenkt den richtigen Umgang mit der Schöpfung

Das Buch Genesis liefert tiefe Einblicke in das Selbstverständnis des Menschen und seine Beziehungen zu anderen Lebewesen. In der ersten Schöpfungserzählung der Bibel, entstanden um 500 v. Chr. im babylonischen Exil, wird der Mensch als Bild Gottes geschaffen, was ihn als Zeichen von Gottes Herrschaft auf der Erde markiert (Gen 1,26-28). Diese Gottesebenbildlichkeit und der damit verbundene Herrschaftsauftrag führten dazu, dass der Mensch lange Zeit als hierarchisch überlegen gegenüber anderen Geschöpfen gesehen wurde. Diese Sonderstellung wurde oft als Rechtfertigung dafür genutzt, dass Menschen Kontrolle und Macht über Tiere ausüben, willkürlich mit ihnen umgehen durften und Tiere und Pflanzen als Mittel zur Erfüllung eigener Bedürfnisse nutzten. Die zweite, ältere Schöpfungserzählung (Gen 2), stammt wahrscheinlich aus dem Erfahrungsbereich der Beduinen und bietet eine andere Perspektive. Der Mensch wird aus kultivierter Erde erschaffen und in den Garten Eden gesetzt. Die Beziehung zwischen Mensch und Tier wird sowohl materiell als auch geistig dargestellt: Mensch und Tiere werden aus derselben Erde erschaffen, wobei die Tiere anschließend zum Menschen gebracht und von ihm benannt werden. Dieses Benennen symbolisiert eine tiefe Verbindung, die bis hin zum Konzept des Eigentums reicht, ähnlich der Beziehung zwischen Gott und Mensch.

Wie beeinflusst unser Verständnis von Tieren als Teil der Schöpfung unser tägliches Handeln?

Heutzutage hat sich das Verständnis des biblischen Herrschaftsauftrags in der christlichen Tierethik grundlegend verändert (vgl. den Beitrag von Cornelia Mügge auf S. 18–20). Wir stehen vor neuen Herausforderungen wie Umweltverschmutzung, Artensterben und Klimawandel. In diesem Kontext wird die Herrschaft des Menschen heute oft als behütender, pflegender, fürsorglicher und verantwortungsbewusster Umgang mit der schutzbedürftigen Schöpfung verstanden. Diese Perspektive betont, dass der Mensch die Fähigkeit und die Pflicht hat, verantwortungsvoll für die Schöpfung zu sorgen. Im Gegensatz zu Tieren, die als Teil dieser Schöpfung angesehen werden, liegt es in der menschlichen Verantwortung, für das Wohl der gesamten Schöpfung, einschließlich der Tiere, zu sorgen.

3. Der Mensch ist eine Tierart in der Familie der Menschenaffen

Vor rund 160 Jahren revolutionierte der Naturforscher Charles Darwin (1809–1882) mit seinen Studien zur Entstehung von Arten unser Verständnis der Evolution. Er erkannte, dass alle Lebewesen einen gemeinsamen Ursprung haben. Diese Erkenntnisse führten zu einer neuen Sichtweise auf den Menschen, der biologisch als Teil der Primaten eingeordnet wird – eine Klassifikation, die bereits Carl von Linné (1707–1778) etwa 100 Jahre zuvor vorgenommen hatte. Der Mensch, zoologisch den Trockennasenaffen zugehörig, teilt viele Gemeinsamkeiten mit den Menschenaffen, insbesondere den Schimpansen, deren DNA zu 98,5 Prozent mit unserer übereinstimmt. Die Unterschiede zwischen Menschen und Menschenaffen, wie der aufrechte Gang, sind Ergebnisse spezifischer evolutionärer Entwicklungen. Darwin postulierte, dass Menschen und Menschenaffen von einem gemeinsamen, heute ausgestorbenen afrikanischen Vorfahren abstammen. Dieser evolutionäre Prozess, der zu verschiedenen Anpassungen führte, verlief für beide Gruppen gleich lang.

Viele Menschen sind bis heute von Darwins Erkenntnissen betroffen, die ihre angenommene, biblisch begründete Sonderstellung infrage stellen. Darwin erkannte, dass es unzureichend ist, den Menschen losgelöst von seiner evolutionären Abstammung zu sehen und ihn über Tiere zu erheben. Diese Perspektive unterstreicht, dass Menschen, evolutionär betrachtet, selbst Teil des Tierreichs sind, was traditionelle Auffassungen über die menschliche Sonderstellung herausfordert. Aus evolutionärer Perspektive sind alle rezenten Arten, einschließlich des Menschen, auf einer Stufe und gleichwertig, da sie eine gemeinsame Geschichte haben. Menschen sind nicht ›höher entwickelt‹ als andere Tiere; sie unterscheiden sich lediglich in einigen Merkmalen. Der Vergleich zwischen Menschen und Tieren ist biologisch nicht sinnvoll, da der Mensch selbst Teil des Tierreichs ist. Es ist unangebracht, den Menschen als eine Art mit allen anderen Tieren zu vergleichen, da in der Biologie hier kein kategorialer Unterschied besteht. Biolog*innen vergleichen daher eher spezifische Individuen oder Arten miteinander. Diese biologische Einordnung des Menschen führt uns zu wichtigen Konsequenzen für unseren Umgang mit Tieren.

4. Konsequenzen im Umgang mit Tieren

Biologische Erkenntnisse verändern die Interpretation des biblischen Herrschaftsauftrags, indem sie den Fokus von einer physischen Überlegenheit des Menschen auf eine verantwortungsbewusste Stewardship verlagern, die auf die Sorge für die Schöpfung abzielt. Dies erfordert ein kritisches Hinterfragen von hierarchischen Denkweisen, wie sie im Eingangszitat sichtbar sind, und betont die Notwendigkeit, Tiere aufgrund ihres Eigenwertes zu schätzen. Die theologische Betrachtung betont, dass die Sonderstellung des Menschen sich eher auf seine Beziehung zu Gott als auf seine physischen Eigenschaften bezieht. Es ist wichtig, zwischen verschiedenen Tierarten zu differenzieren und jedes Tier als Individuum zu betrachten, anstatt sie zu verallgemeinern oder mit Menschen gleichzusetzen. Der Perspektivenwechsel erkennt Tiere als lebendige Individuen an und hat zu gesetzlichen Änderungen geführt, in denen Tiere nicht mehr als Sachen, sondern als schützenswerte Lebewesen betrachtet werden (vgl. den Beitrag von Reinhold Münster auf S. 12–14).

5. Das Menschenbild bestimmt das Tierbild

Die Erde beherbergt viele Arten, jede mit spezifischen Eigenschaften. Der Mensch, als Primat, hat artspezifische Merkmale wie aufrechten Gang, Sprachentwicklung, ein großes Gehirn und Kultur. Diese Eigenschaften sind aber nicht exklusiv menschlich. Zum Beispiel lernen Menschenaffen Gebärdensprache, und Orcas kommunizieren mit komplexen Lauten. Solche Erkenntnisse verdeutlichen die Schwierigkeit, klare Grenzen zwischen menschlichen und tierlichen Eigenschaften zu ziehen. Würden wir uns durch Sprache oder den aufrechten Gang definieren, dann würden wir gleichzeitig diejenigen Menschen, die diese Merkmale nicht erfüllen ausgrenzen oder gar herabsetzen. Stattdessen sollten Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur menschlichen Gemeinschaft als solche betrachtet werden. Karl Barth hebt in seiner Kirchlichen Dogmatik die Bedeutung der sozialen und relationalen Natur des Menschen hervor. Er sieht den Menschen als durch Beziehungen und die Einbindung in die Gemeinschaft definiert, anstatt durch biologische oder individuelle Eigenschaften. Die Art, wie wir uns selbst definieren und abgrenzen, beeinflusst auch unser Verhältnis zum Umgang mit Tieren. Unsere Vorstellung vom Menschen und seiner Rolle in der Welt leitet uns zu einem zentralen Aspekt der christlichen Tierethik: unserer Verantwortung für Tiere, die aus der Liebe zur Schöpfung erwachsen kann.

6. Verantwortung für Tiere aus Liebe zur Schöpfung

Die christliche Tierethik sieht eine besondere Verantwortung des Menschen gegenüber Tieren und stützt sich dabei auf zwei zentrale Argumente: Erstens sollen Tiere geschützt werden, da es die Aufgabe des Menschen ist, für Gottes Schöpfung zu sorgen. Zweitens sind Christ*innen dazu berufen, sich für die Schwächsten in der Gesellschaft einzusetzen. Dies schließt, wie in der Bibel dargelegt, einen mitfühlenden und verständnisvollen Umgang mit Tieren entsprechend ihren Bedürfnissen ein (z. B. Ex 23,5; Dt. 25,4; Ex 23,12; Dt 5,14; Ex 20,10; Röm 8, 19-22). Das Gebot „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“, das in der christlichen Lehre besonders für die Schwachen und Rechtlosen in der Gesellschaft gilt, lässt sich demnach auf Tiere ausweiten. Wir sind aufgerufen, Tieren mit Nächstenliebe zu begegnen und uns für ihr Wohlergehen einzusetzen.

Die Beziehung zu Tieren prägt unsere Identität und erfordert ein Umdenken unserer Verantwortung in einer sich wandelnden Welt.

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