Politische Tierrechte Vom Schutzrecht zum universellen Recht?

Es ist die menschliche Perspektive, die festlegt, was als Natur, als Tier oder als Pflanze zu gelten hat. Diese hat sich im Lauf der Geschichte des Denkens stark verändert – mit großen Folgen für die Tieren zugestandenen Rechte.

Die mechanische Ente

Der französische Philosoph René Descartes unterschied im 17. Jahrhundert: Der Mensch bestehe gleichzeitig aus einem Geistwesen (ohne Körper) und einem ausgedehnten Körper. Die Natur dagegen betrachtete er als eine rein materielle Angelegenheit. So konnten Tiere als seelenlose Sachen definiert werden. (Heute gilt in Deutschland für Tiere in weiten Teilen das Sachrecht, aber sie selbst gelten nicht als Sachen; sondern stehen nach § 90 BGB, GG Art. 20a unter einem besonderen gesetzlichen Schutz.) Die Ideen von Descartes jedoch waren entscheidend für das frühmoderne Verständnis des Lebens: Lebensabläufe wurden als Prozesse der Mechanisierung angesehen. Das lustigste Beispiel in der Frühen Neuzeit war eine mechanische Ente, die essen, trinken und das Verdaute ausscheiden konnte.

Arbeits-, Nutz- und Jagdtiere

In Europa gab es bis weit ins 19. Jahrhundert eine enge Verbindung des Menschen zu Arbeits-, Nutz- und Jagdtieren. Tiere wurden für solch spezielle Zwecke gezüchtet und eingesetzt. Doch schnell änderte sich das lang eingespielte Verhältnis, als die Industrialisierung (besonders mit den Motoren als Antriebe) die Gesellschaft revolutionierte. Das leistungsarme Zugtier (Ochs, Esel und Pferd), das nicht nur viel Schmutz und Gestank produzierte, sondern auch einen teuren Stall oder eine Wiese zum Weiden, aber auch Ruhezeiten benötigte, wurde durch effektive Maschinen (mit vielen Pferdestärken) ersetzt. Das Pferd erhielt eine neue gesellschaftliche Funktion; es wurde zu einem Statussymbol für Reiche und Adlige, die hoch zu Ross ihren gesellschaftlichen Rang repräsentierten.

Im Prozess der Modernisierung europäischer Gesellschaften veränderte das Tier seine Funktionen auch im öffentlichen Bewusstsein. Die Tatsache, dass Tiere in Schlachthöfen für die Produktion von Nahrungsmitteln gemetzgert wurden, dass sie in medizinischen Laboren für die Forschung verbraucht wurden, dass sie auf Schlachtfeldern in Massen verreckten, dass sie weiterhin als eine “Sache” angesehen wurden, führte auch zur Kritik an diesen Zuständen.

Das Rehlein im Walde

Die stärkste Bewegung, die sich gegen die Industrialisierung und die Umwertung von traditionellen Werten wandte, berief sich auf Jean-Jacques Rousseau, der verkündet hatte, dass es einen Weg zurück zu einer reinen, unschuldigen Natur geben könne. Die Bewegung der Romantik betrachtete einen rationalen und wenig gefühlsgeladenen Umgang mit Pflanze, Tier und Mutter Erde als abscheulich und bevorzugte als weit verbreitetes Motiv das harmlose Mädchen im Wald mit einem Rehlein zur Seite. Bis heute ist die romantische Weltanschauung eine starke Unterströmung auch in der deutschen Gegenwart. Die postulierte allgemeine Rückkehr zur Natur, heute häufig als „Wildnis“ (Rewildering) verstanden, führte zur Verdrängung der Frage, warum die Menschheit im Laufe der Geschichte dazu übergegangen war, die Natur, ohne Zweifel auch mit negativen Seiten für das eigene Überleben, weltweit zu nutzen.

Tierschutzbewegung

Schon 1822 wurde in England ein spezielles Gesetz zum Schutz von Pferden verabschiedet. Früh engagierten sich auf der Insel Gruppen für Tierschutz und gegen Vivisektionen. Pfarrer Albert Knapp gründete 1837 in Stuttgart den ersten Tierschutzverein. In Deutschland gewannen die Vereine schnell Zulauf; sie schlossen sich ab den 1880er Jahren zum Tierschutzbund zusammen. Heute organisieren sich ca. 800.000 Mitglieder in ungefähr 750 Vereinen; sie verfügen derzeit über einen jährlichen Umsatz von ca. 20 Mio. Euro.

Gegen die partielle Blindheit der europäischen Gesellschaften in Fragen des Tierschutzes protestierte um 1900 besonders die Bewegung der Lebensreform. Sie wurde zur Subkultur in den großen Städten und verband sich mit Naturheilkunde, dem Vegetarismus oder dem Heimatschutz. Dieser propagierte, dass der Mensch eine unberührte, heimische Natur für seine Erholung benötige, aber auch nur heimische Tiere und Pflanzen des Schutzes bedürften. Der deutsche Faschismus widmete sich intensiv und mystifizierend dem Tierschutz: Im April 1933 wurde das Schächten gesetzlich verboten.

Vegetarismus und Naturheilkunde

Seit 2002 sind Tierrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert.

Der lebensreformerische Vegetarismus und die entsprechende Naturheilkunde erklärten, dass das Tier ein “Blutsverwandter” des Menschen sei und deshalb des besonderen Schutzes bedürfe. Tiere und auch Pflanzen verfügten über Gefühle und Empathie, über Denken und Logik. Hier zeigte sich ein radikaler Paradigmenwechsel gegenüber dem Darwinismus (Instinkte und Selektionsdruck). Der damals beliebte Maler Fidus hatte einen enormen Erfolg mit dem Bild Du sollst nicht töten (1892), in dem ein nacktes Mädchen sich an einen ihm liebevoll zugewandten Hirsch schmiegte. Im Jahr 1900 entstand der Weltbund zum Schutz der Tiere. Schon 1871 wurde ein Paragraf zum Tierschutz in das Reichsstrafgesetzbuch aufgenommen. Seit 2002 sind Tierrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik verankert. Aber bis heute gibt es kein Recht auf Leben für Tiere.

Verniedlichung und Vermenschlichung von Tieren

Der weitere Wandel lässt sich anhand der Geschichte der modernen Medien beeindruckend darstellen. Ältere Leser der evangelischen aspekte werden die Figuren noch kennen: Mickey Mouse von Walt Disney, Judy, die Schimpansin aus der TV-Serie Daktari, den Collie Lassie, das Pferd Fury, den Delphin Flipper, das Reh Bambi und die Biene Maya. Die mediale Präsentation der Leinwandhelden bevorzugte das Denkmodell des Anthropozentrismus, die Verniedlichung und Vermenschlichung der Tiere. Tiere erhielten die Funktion eines Liebesobjekts, das bis heute eng mit den Menschen zusammenlebt. Verbreitet wurde diese Ansicht auch in Sendungen in den 1960er Jahren von Bernhard Grzimek oder Heinz Sielmann wie Ein Platz für Tiere, Expeditionen ins Tierreich oder Filme wie Serengeti darf nicht sterben.

Personale Eigenschaften von Tieren

Alle beschriebenen Entwicklungen, die heute geltenden utilitaristischen und deontologischen (auf Pflichten beruhenden) Theorien einbezogen, behaupten, Tiere würden über die Eigenschaften von Personen verfügen, hätten eine nachweisbare Subjektivität. Sie fühlten nicht nur Schmerz, sondern hätten die Fähigkeit komplexer Wahrnehmung, auch ein Wissen um die Zukunft, ein Selbstbewusstsein, ein Gedächtnis sowie die Möglichkeit eines komplexen Denkens. Sie seien daher den Menschen vergleichbar und verfügten deshalb über das Recht auf Autonomie. Auffallend an der Argumentation ist, dass in ihr in der Regel die Lieblinge der Bürger (vom Hund bis zum Orang-Utan) bevorzugt gemeint sind, nicht aber hässliche Insekten wie Kakerlaken oder Silberfischchen.

Schwindende Grenze zwischen Mensch und Tier

In der heutigen Zeit erleben die europäischen Gesellschaften einen heftigen Paradigmenwechsel für die Zukunft. Besonders der an keinem Punkt romantische Trans- und Posthumanismus zielt auf die Überwindung der menschlichen Natur und fordert, mit Hilfe technischer Mittel auch die biologische Natur zu verändern. Der Einsatz von Genetik oder des Klonens produziert nicht nur genetisch gleiche Tiere, sondern auch Chimären, Tier-Mensch-Kombinationen. Die Grenze zwischen Menschen und Tier/Pflanze soll aufgehoben werden, die Evolution der Natur in die Hand des Menschen oder noch besser einer Künstlichen Intelligenz übergehen. Unterschieden wird in diesen Debatten auch in Animals (biologische Tiere) und Animats (technisch erzeugte Tiere).

Animal Turn und Animal Studies

Wie nicht anders zu erwarten, etablierte sich hierzu eine vielfältige Gegenbewegung, die sich unter den Begriffen des Animal Turn und der Animal Studies anschauen lässt. Die Erde, laut einiger Theoretiker wie James Lovelock, der diese Ansichten weit verbreitet hatte, ist in dieser Vorstellung mit der antiken Göttin Gaia vergleichbar, ist ein organisches Wesen, ist selbst in ihrer Geologie lebendig. Damit müssen der Erde Rechte der Autonomie zugestanden werden.

Wie fühlt sich eine Fledermaus?

Sollte diese Annahme zutreffen, stellen sich gegenwärtig zwei wichtige Fragen. Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel untersuchte, ob herauszufinden sei, wie sich eine Fledermaus (subjektiv) fühle. Die Wissenschaft kann zwar eine objektive Bestimmung der Emotionen einer Fledermaus vornehmen, doch hat sie bisher keine Ahnung, wie sich ein solches Tier, das die Welt mit einem Sonar wahrnimmt, selbst fühlt. Das wäre für die Begründung von Tierrechten sehr wichtig. Der zweite Punkt betrifft eine noch heiklere Problematik: Wer spricht für wen? In unserer Gesellschaft ist es nicht leicht, für jemand anderes zu sprechen, da dies von einigen Milieus als übergriffig definiert wird. Eine solche Praxis setzt eine gültige Anthropologie voraus, wenn darüber entschieden wird, wer sprechen darf und wer schweigen muss. Zudem gilt: Jeder, der spricht, spricht von seiner privaten Position aus.

Können Tiere ihre Sache vor Gericht bringen?

Der Fluss Whanganui wurde zu einer juristischen Person erklärt.

Im Kontext solcher neuen Ideen, und dies ist ein Schritt weit über die bisherige Debatte zu den Tierrechten hinaus, wurde in Neuseeland der Fluss Whanganui im Frühjahr 2017 zu einer juristischen Person erklärt. Er kann vor Gericht Klage einreichen im Fall der Missachtung seiner Rechte, verfügt über Eigentumsrechte und gehört nur sich selbst. Die Maori, die dort wohnen, vertreten die Ansicht, dass der Fluss die Wohnung ihrer Ahnen sei. Er ist somit eine göttliche Person, nicht eine Sache. Doch letztlich: Wer entscheidet mit welchem Recht über die Fische im Fluss oder wer am Ufer siedeln darf? Oder gar, welcher Exot in das Fluss-System zuwandern darf?

Fragen, die in der derzeitigen Diskussion unbeantwortet blieben, lauten: Wird die Natur durch solche rechtlichen Einordnungen besser und effektiver geschützt? Können Tiere juristische Personen sein, können sie vor Gericht ihre Sache durchsetzen? Bis heute werden Tierrechte von den meisten Theoretikern als Schutzrechte oder Fürsorgerechte (Tierwohl, tiergerechte Haltung) verstanden. Mit einem kritischen Blick auf die Entwicklung meinten Sue Donaldson und Will Kymlicka in Zoopolis. Eine politische Theorie der Tierrechte (2023): „Die Tierschutzbewegung steckt in einer Sackgasse.“ Neue Ideen sind also gefragt.

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