Mensch und Tier im Ökosystem Warum der Schutz von Arten auch die Bekämpfung von Tieren bedeuten kann

Tiere tragen wesentlich zu den zahlreichen Ökosystem-Dienstleistungen bei, ohne die menschliches Leben auf der Erde nicht möglich ist. Wenn das Gleichgewicht eines Ökosystems durch menschliches Eingreifen gestört wird, hat dies oft auch gravierende Folgen für die Tiere.

Die Vielfalt der Organismen (Viren, Bakterien, Pflanzen, Pilze, Tiere) auf unserer Erde ist ein Produkt vorangegangener und noch andauernder Evolutionsprozesse. Die verschiedenen Arten sind als Bestandteile von Ökosystemen entstanden und leben in oft engen, netzartigen Beziehungen mit anderen Arten. Dabei repräsentiert ein Ökosystem einen einheitlichen Lebensraum (z.B. einen Teich, Auenwald oder Stadtpark). In der Nahrungspyramide eines Ökosystems ernähren sich viele Tierarten von Pflanzen (Herbivoren; z.B. Heuschrecken, Schmetterlingsraupen, Mäuse, Rehe). Diese Tiere werden von anderen Tieren geräubert (Fleischfresser/Karnivoren wie Wiesel, Uhu, Fuchs). Diese werden möglicherweise von einem größeren Tier (Prädator) gefressen (z.B. Spitzenprädatoren wie Bär, Wolf).

Alle Glieder der Nahrungspyramide können von verschiedenartigen Parasiten befallen sein, welche ihrerseits zur Regulation der Bestandesgrößen der befallenen Arten beitragen. Wiederum andere Tiere haben neben den Bakterien und Pilzen eine essenzielle Rolle beim Abbau des toten tierischen und pflanzlichen Materials (Aasfresser und Zersetzer; z.B. Asseln, Schnecken, Geier). Die verschiedenen Arten unterscheiden sich in ihren funktionellen Eigenschaften und tragen oft auf gegenseitig ergänzende Weise zu den verschiedenen Ökosystemprozessen bei.

Wertvolle Ökosystemleistungen

Tiere erfüllen wichtige Funktionen in den verschiedenen Ökosystemen. Aus anthropozentrischer Sicht werden diese Funktionen als Dienstleistungen betrachtet. So sind Wildbienen und Tag- und Nachtfalter wesentliche Bestäuber der Blütenpflanzen, zu denen auch viele Kulturpflanzen gehören. Spinnen und zahlreiche Insekten sind bedeutend bei der Schädlingskontrolle. Wirbellose Kleintiere in Bächen, Flüssen und Seen tragen zur Wasserreinigung bei, Regenwürmer und Ameisen zur Bodenbelüftung. Aus einigen Tierarten lassen sich auch Wirkstoffe für Medikamente gewinnen. Diese Beispiele zeigen, dass Tiere selbst oder aufgrund von Wechselbeziehungen mit anderen Tieren oder Pflanzen Leistungen erbringen, ohne die menschliches Leben auf der Erde nicht denkbar wäre. Der finanzielle Wert aller dieser Dienstleistungen wird jedoch kaum wahrgenommen und ist in keinem staatlichen Budget aufgeführt.

Neue Biodiversitäts-Studien zeigen, dass die Qualität der Ökosystem-Dienstleistungen mit der Artenvielfalt korreliert ist (vgl. Bruno Baur: Naturschutzbiologie. Haupt Verlag, 2021). Nimmt die Artenvielfalt in einem Ökosystem ab, so verringert sich die Qualität seiner Dienstleistungen, und es ist möglich, dass gewisse Dienstleistungen ganz wegfallen. So fehlen beispielsweise aufgrund der abnehmenden Insektenvielfalt den Pflanzen Bestäuber, was zu messbaren Produktionseinbußen bei Kulturpflanzen führt. Durch wegfallende Arten wird auch die Stabilität der Ökosysteme reduziert.

Menschen beeinträchtigen Ökosysteme

Ökosysteme verlieren oft schleichend und kaum wahrnehmbar an Artenvielfalt.

Seit einigen Jahrzehnten werden die meisten Ökosysteme zunehmend durch verschiedene menschliche Aktivitäten beeinflusst, stark verändert oder sogar ganz zerstört. Die Zerstörung und Veränderung von natürlichen und naturnahen Lebensräumen im Zusammenhang mit der steigenden Bevölkerungszahl und dem erhöhten Pro-Kopf-Verbrauch an natürlichen Ressourcen gelten weltweit als Hauptursachen für das gegenwärtige Artensterben. In Westeuropa sind große Artenverluste auf die Intensivierung (mit Dünger und Pestiziden) und Mechanisierung der Landwirtschaft und die damit verbundene Vergrößerung und Homogenisierung der Anbauflächen sowie auf die Ausdehnung von Siedlungs- und Industriegebieten zurückzuführen. Durch derartige naturfremde Flächen und lineare Verkehrsstrukturen (Autobahnen, weitere Straßen und Eisenbahnlinien) werden ehemals zusammenhängende Lebensräume nicht nur flächenmäßig reduziert, sondern auch voneinander abgetrennt. Die Zerstückelung der Landschaft reduziert die Populationsgrößen und erhöht dadurch das Aussterbe-Risiko von Arten. Die oft naturfremde Umgebung der Restflächen vermindert oder verunmöglicht den Austausch von Individuen zwischen Tierpopulationen und die Wiederbesiedlung von geeigneten Lebensräumen. Ökosysteme verlieren dadurch schleichend und oft kaum wahrnehmbar Arten, wodurch die Qualität ihrer Leistungen abnimmt.

Nicht-einheimische Arten können invasiv werden

Ökosysteme werden aber auch durch neu eingeführte, nicht-einheimische Arten beeinträchtigt. Arten, die evolutionär nicht im betrachteten Ökosystem entstanden sind, sondern durch den Menschen über biogeografische Barrieren, meist aus einem anderen Kontinent, verschleppt oder ins Ökosystem eingebracht wurden, werden als nicht-einheimische Arten betrachtet. Ein Teil dieser Arten kann sich an den neuen Standorten stark vermehren und negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Bei nicht-einheimischen Tieren spricht man von Neozoen, bei Pflanzen von Neophyten. Weltweit gelten nicht-einheimische Arten, die invasiv werden, als zweitwichtigste Ursache für das Artensterben.

Die in den letzten Jahrzehnten weltweit gestiegene Mobilität und der globalisierte Handel führen immer häufiger zu einem gezielten Einführen oder zufälligen Einschleppen nicht-einheimischer Arten. Einige davon vermehren sich sehr rasch, werden in Ökosystemen dominant und verursachen als invasive Arten ökonomische und ökologische Schäden. Wirtschaftliche Schäden können im Bereich der Land- und Forstwirtschaft sowie in Gärten und Parkanlagen auftreten (als Pflanzenschädlinge wie die Essigfliege oder der Buchsbaumzünsler), sie können die Tierhaltung betreffen (z.B. Parasiten, Krankheiten), sie können unsere Infrastruktur beeinträchtigen (etwa das Verstopfen von wassertechnischen Anlagen durch die Quagga-Muschel) oder die menschliche Gesundheit beeinträchtigen (z.B. durch die Tigermücke übertragene Krankheitserreger).

Ökologische Schäden betreffen die Gefährdung und Verdrängung von einheimischen Arten durch Konkurrenz oder Prädation bzw. durch die Übertragung von Krankheiten oder Parasiten. Die durch invasive Arten reduzierte einheimische Artenvielfalt wirkt sich schließlich direkt oder indirekt auf den Zustand und die Funktion der Ökosysteme aus. Als Beispiel kann der große Bestand des ursprünglich aus Nordamerika stammenden Waschbärs aufgeführt werden, der in den 1930er-Jahren in Deutschland gezielt als Jagdwild freigelassen und später durch Tiere, die aus Pelzfarmen und privater Haltung entwichen, gestützt wurde. Der Waschbär frisst häufig einheimische Amphibien, Reptilien und Vogeleier. Unsere Amphibien tragen zur Regulation der Stechmücken(larven) bei, was für die Menschen eine wichtige Ökosystemdienstleistung darstellt. Durch den invasiven Waschbären wird diese Dienstleistung aber reduziert, was dazu beiträgt, dass es mehr Stechmücken gibt.

Menschen-verursachte Fehler rückgängig machen

Die Bekämpfung invasiver Arten dient der Wiederherstellung von beeinträchtigten Ökosystemen.

Die Diskussion um (unerwünschte) nicht-einheimische invasive und (erwünschte) einheimische Arten entgleitet manchmal leicht auf eine emotionale Ebene, die auch von rassistischen Untertönen geprägt sein kann. Es gibt aber überhaupt keinen Zusammenhang zwischen Maßnahmen gegen nicht-einheimische Arten und Ausländerfeindlichkeit beim Menschen. Bei Maßnahmen gegen invasive Arten geht es ausschließlich darum, einen durch Menschen gemachten Fehler (Arten wurden bewusst oder unbewusst in andere biogeografische Regionen verschleppt), der negative Auswirkungen auf die Wirtschaft, Gesundheit der Menschen oder auf die Ökologie hat, so weit als möglich wieder zu beheben. In diesem Sinne sind Bekämpfungsmaßnahmen gegen invasive Arten eine Form der Wiederherstellung (restoration) von beeinträchtigten Ökosystemen. Dies ist vergleichbar mit Maßnahmen zur Reinigung von mit giftigen Chemikalien kontaminierten Böden.

Ersatz für weggefallene Ökosystemfunktionen

Spezielle Maßnahmen können teilweise die negativen Folgen menschlicher Aktivitäten auf Ökosysteme reduzieren. Fehlen beispielsweise Spitzenprädatoren, müssen Reh- und Hirschbestände bejagt werden, um Jungbäume im Wald zu schützen. In anderen Regionen nimmt der Wolfsbestand zu, vor allem wegen des Überangebotes von Beutetieren, zu denen neben Wildtieren auch Nutztiere (Schafe, Ziegen, Rinder) zählen. In ungestörten, großräumigen Ökosystemen würden die Wolfspopulationen durch die Dichte der potenziellen Beutetiere reguliert. Nimmt die Zahl der natürlichen Beutetiere ab, nimmt auch die Zahl der Wölfe ab. Ist aber zusätzliches Futter in Form von Nutztieren vorhanden, funktioniert die natürliche Regulierung nicht mehr. In solchen Fällen kann eine durchdachte Bejagung sinnvoll sein. Derartige Entscheidungen sollten aber ausschließlich anhand von wissenschaftlichen Grundlagen erfolgen und nicht aufgrund von Gefühlen getroffen werden.

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