Wir sind dran! Der Club of Rome meldet sich zurück

1972 verkündete der Club of Rome die „Grenzen des Wachstums“. Fünfundvierzig Jahre später legt er einen neuen Bericht vor. Mitautor Ernst Ulrich von Weizsäcker erläutert dessen Kernthesen.

Der Kern des neuen Club of Rome-Berichts lautet: Für die heutige Volle Welt brauchen wir eine Neue Aufklärung. Die alte Aufklärung von Descartes bis Kant war großartig, befreiend, notwendig. Sie war die Basis für die Industrielle Revolution, die so unglaublich viel Wohlstand ermöglicht hat. Aber sie wurde entwickelt und formuliert in der Zeit der „Leeren Welt“. Da lebten weniger als eine Milliarde Menschen auf der Erde. Es gab noch riesige „weiße Flecken“ auf der Welt-Landkarte, riesige unzerstörte Wälder, immensen Fischreichtum, beliebig viele Bodenschätze, die meisten noch nicht einmal entdeckt. Und Europa schickte sich an, die ganze Welt zu kolonisieren, mit meistenteils grausamen Eroberungsfeldzügen gegen die jeweiligen Bewohner in den „fremden Ländern“.

Eine neue Philosophie für die „Volle Welt“

Es war Herman Daly, der frühere Weltbank-Ökonom und Begründer der „Ökologischen Ökonomie“, der die Unterscheidung zwischen der Leeren Welt und der Vollen Welt geprägt hat (Herman Daly: Economics for a Full World. Essay for the Great Transition Initiative. Boston, 2015). Vor 1950 wäre diese Unterscheidung noch in keiner Weise plausibel gewesen. Erst das rasante Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg hat uns ins „Anthropozän“ katapultiert (siehe Grafiken).

In der Leeren Welt war der Raubbau an der Natur lokal und relativ harmlos. In der heutigen Vollen Welt wird er zur Bedrohung für unsere Lebensgrundlagen. Für das Anthropozän brauchen wir eine neue Philosophie, die geeignet ist, das Überleben der Menschheit zu sichern und hierfür das Überleben der Natur zu garantieren, die uns das Leben überhaupt erst möglich macht. Noch radikaler gesagt: Wir brauchen nichts weniger als eine Neue Aufklärung.

Ansatzpunkte des neuen Berichts

In dem neuen programmatischen Club of Rome-Bericht unter dem Titel „Wir sind dran“, englisch „Come On!“, leiten wir die diesbezügliche Diskussion mit der großartigen Enzyklika Laudato Si von Papst Franziskus ein (Laudato si: die Umwelt-Enzyklika des Papstes. Freiburg, 2015). Auch er fordert ein neues Denken für „unser gemeinsames Haus“, für die Erde. Er geißelt einen auf Geiz und Expansion aufbauenden Kapitalismus als Gefahr für das Gemeinsame Haus.

Wir setzen nach und untersuchen die Kernaussagen von drei Ikonen der Ökonomie: Adam Smith, David Ricardo und Charles Darwin. Alle drei, scheint uns, haben zu ihrer Zeit das Richtige gesagt, das Richtige für die leere Welt und unter allerlei Bedingungen, die heute gar nicht mehr gegeben sind.

Die „unsichtbare Hand des Marktes“ – Adam Smith

Adam Smith hatte die Eingebung, dass der Eigennutz der Bauern, Handwerker und Händler zum Wohle der Gemeinschaft gereicht. Die „unsichtbare Hand“ sorgte dafür, dass Eigennutz dem Gemeinwohl dient. Aber Smith konnte noch fraglos davon ausgehen, dass die geographische Reichweite des so entstandenen Handels, des „Marktes“ noch identisch war mit der Reichweite des Staates und des von ihm gesetzten Rechtes. Diese Bedingung ist heute überhaupt nicht mehr gegeben. Der Markt, vor allem der Finanzmarkt, ist heute global, während das Recht in der Hauptsache national ist. Und so hat der Kapitalmarkt angefangen, die Staaten zu beeinflussen, um nicht zu sagen, zu erpressen, ihre Regeln so zu ändern, dass die Kapitalrendite steigt.

Ortsgebundenheit des Kapitals – David Ricardo

David Ricardo hat noch angenommen, dass das Kapital (damals hauptsächlich das produktive Kapital, d.h. die Fabriken oder Äcker) ortsfest blieb. Nur die Waren und die Händler wanderten über die Grenzen. Und der so beschaffene Außenhandel erzeugte „komparative Vorteile“ und nützte allen Beteiligten. Heute dagegen ist es fast ausschließlich das (Finanz-)Kapital, das – praktisch mit Lichtgeschwindigkeit – um den Globus saust und die Realwirtschaft lenkt und erpresst und sich zugleich vor den Steuerbehörden möglichst unsichtbar macht.

Barrieren schützen Vielfalt  – Charles Darwin

Charles Darwins Denken über den Wettbewerb der Arten wird frivol in Anspruch genommen für das Niederreißen aller Handelshemmnisse, auf dass ein weltweiter Wettbewerb aller gegen alle die Evolution zum Besseren beschleunige. Nein, würde Darwin da sagen: Barrieren sind geradezu eine Voraussetzung für die Entwicklung der beeindruckenden Artenfülle gewesen. Klimatische Unterschiede und Barrieren, Gebirge und Gewässer ließen Vegetationszonen und lokale Spezialisierungen entstehen, die ihrerseits die Basis für die vielen Millionen von Tier- und Pflanzenarten waren. Das Niederreißen von Barrieren bedeutet Vernichtung von Vielfalt, während Darwins Evolutionslehre die laufende Vermehrung von Vielfalt erklären konnte.

Den primitiven Kampf der Starken gegen die Schwachen hatten die Ikonen der Ökonomie nie im Sinn.

Zusammengefasst: die drei aufklärerischen Ikonen im 18. und 19. Jahrhundert werden für eine primitive Sorte von Kampf der Starken gegen die Schwachen in Anspruch genommen, welche die genialen Verfasser der aufklärenden Schriften nie im Sinn gehabt hatten.

Die Tugend der Balance

Eine neue Aufklärung muss insbesondere einer uralten Tugend wieder zur Geltung verhelfen, der Tugend der Balance. Bei Adam Smith ist es die Balance zwischen Staat und Markt; bei David Ricardo die Balance zwischen handelstreibenden Staaten; und bei Charles Darwin zwischen dem heutigen Erfolg mit dem Reichtum von zukünftigen Optionen.

Die Autoren von „Wir sind dran“ gehen aber viel weiter. Sie fordern die Balance zwischen Mensch und Natur, zwischen Kurzfrist und Langfrist, zwischen Leistungsanreiz und Gerechtigkeit, zwischen Staat und Religion, oder zwischen der linken und der rechten Gehirnhälfte. Unsere Zivilisation braucht weniger Rechthaberei und mehr Balance! Das ist auch eine Lehre für das „westliche“ Denken, wo die Rechthaberei gedeiht gegenüber dem östlichen Denken, wo das Yin- und Yang-Symbol die Balance widerspiegelt.

Wie soll eine Balance zwischen Staat und Religion aussehen? Nun, das Gegenteil von einem „Islamischen Staat“ oder manchen christlichen Staaten vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Und auch das Gegenteil des anderen Extrems, einem total utilitaristischen Staat, der die Religion unterdrückt und ihre über den Utilitarismus weit hinausgehenden Tugenden verachtet oder ignoriert. Die Gestaltung im Einzelnen kann in der Verfassung festgelegt werden, wie das im Grundgesetz im Prinzip erreicht wurde.

Den Fortschritt in die richtige Richtung lenken

Der Club of Rome bleibt aber nicht in der Philosophie stehen und wird politisch konkret, in Sachen Klima, Kreislaufwirtschaft, Finanzmarktregulierung und vielen anderen Baustellen. Will man Wohlstand ohne Zerstörung der Natur, muss die Vermehrung der Menschen aufhören und die Ressourcenproduktivität dramatisch gesteigert werden. Sonst bräuchten wir fünf oder mehr Erdbälle für den „Wohlstand für alle“. Jedoch bei einer Ideologie, dass Energie, Wasser und Land für alle „bezahlbar“, d.h. billig verfügbar sein müssten, zerstört man den unerlässlichen Anreiz, der zur drastischen Erhöhung der Ressourcenproduktivität führen würde. Die Staaten sind aufgefordert, durch geeignete Preissignale den Fortschritt in die richtige Richtung zu lenken.

Die Staaten alleine können das nicht schaffen. Sie sind angewiesen auf das Mitmachen der Zivilgesellschaft, der Investoren, der Bildungsinstitutionen. Überall muss das Bewusstsein gepflegt werden, dass wir in einer verdammt Vollen Welt leben und dass das von uns eine Abkehr von bequemen Denkmustern aus der Leeren Welt erfordert.

Die Nationen als Partner statt Rivalen

Die Nationen wiederum müssen lernen, sich als Partner statt bloß als Rivalen zu benehmen. Ein Kapitel in „Wir sind dran“ sieht vor, dass in jedem Staat ein „Kohabitationsministerium“ geschaffen wird, dessen Aufgabe es ist, Felder zu bezeichnen und zu entwickeln, deren Pflege dem eigenen Land und einer größeren Zahl von anderen Ländern Nutzen bringt. In der EU haben wir so etwas ja schon im Ansatz: die für europäische Angelegenheiten zuständigen Ministerien sollen ja gerade die Synergien, nicht die Rivalitäten zwischen den EU-Staaten suchen und ausbauen. Hier tut sich ein großer Abstand zwischen dem jungen Europa und den verkalkten Doktrinen des auf ewige Rivalität fixierten gegenwärtigen US-Präsidenten auf. Seien wir froh in Europa, dass wir hier schon weiter sind, übrigens auch in einem balancierteren Verständnis von Charles Darwin!

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