Im Jahr 2025 sind die Grenzstädte Gorizia in Italien und Nova Gorica in Slowenien gemeinsam Kulturhauptstädte Europas. Das EPIC-Projekt arbeitet die Geschichte der beiden Städte aus unterschiedlichen Perspektiven auf.
Gorizia in Italien und Nova Gorica in Slowenien sind Grenzstädte. Nach dem 2. Weltkrieg wurde die Grenze von den Besatzungsmächten 1947 mitten durch die Stadt gezogen. Sie wurden damit zu einem Symbol für die Grenze zwischen der westlich-kapitalistischen und der sozialistischen Welt. Die Stadt Nova Gorica wurde auf der slowenischen Seite neu gegründet als ein urbanes Bauprojekt des ehemaligen Jugoslawiens.
Im Jahr 2025 sind die beiden Nachbarstädte gemeinsam Kulturhauptstädte Europas. Ein zentrales Projekt der Kulturhauptstädte ist die Aufarbeitung der Geschichte der beiden Städte, die einst zusammengehörten. In einer ehemaligen Lagerhalle entsteht eine gemeinsame Ausstellung über das 20. Jahrhundert. Sie heißt EPIC-Projekt. Ziel der Ausstellung ist es, die einseitigen Sichtweisen auf den 1. und 2. Weltkrieg und die Zeit danach zu überwinden und eine gemeinsame vielschichtige Geschichtserzählung zu schaffen. Bisher waren die Geschichtsmuseen stets nur an den nationalen Narrativen des jeweiligen Landes orientiert. Das soll sich nun ändern. Gemeinsam soll an alle Opfer des Faschismus unter Mussolini, an alle Toten der Partisanenkämpfe und an die Verluste durch die Städteteilung gedacht werden. Das Leid, der Verlust und der Schmerz beider Seiten wird durch die Erinnerung Überlebender, durch Biografie-Darstellungen und ganz unterschiedliche Dokumente vielschichtig aufgearbeitet. Und die Besucher*innen werden eingeladen, sich den verschiedenen Interpretationen der Zeitgeschichte und den Leiderfahrungen der anderen zu öffnen und sie zu verstehen.
Es geht aber um mehr. Mit dem EPIC-Projekt wird ein offener Raum geschaffen für die lokale Bevölkerung und für Besucher*innen weltweit, um ganz verschiedene Sichtweisen und Deutungen nicht nur von Geschichte, sondern auch von aktuellen Entwicklungen und Ereignisse wahrzunehmen und sich darüber auszutauschen. Dafür sind Videoinstallationen, gemeinsame Konzerte, interkulturelle Veranstaltungen und interaktive Events geplant.
Für mich ist das EPIC-Projekt ein ermutigendes Beispiel dafür, Mehrdeutigkeiten und komplexe Zusammenhänge darzustellen und Vielschichtigkeit auszuhalten, statt sie durch einfache Schwarz-Weiß-Narrative zu verkürzen. In einem konkreten Grenzgebiet werden damit Zwischenräume und Zwischentöne erlebbar, die in zunehmend extremistisch und fundamentalistisch aufgeladenen politischen Debatten immer mehr verloren gehen. Diese Zwischenräume gilt es nicht nur in Gorizia-Nova Gorica herauszuarbeiten und zu stärken. Sie müssen überall gesucht und gestaltet werden. Fachleute nennen diese Fähigkeit Ambiguitätstoleranz. Es ist die hohe Kunst zu akzeptieren, dass es mehr gibt unter der Sonne als richtig oder falsch, gut oder böse, schuldig oder unschuldig, schwarz oder weiß. Es geht dabei aber nicht um Beliebigkeit. Im Gegenteil: Verschiedene Perspektiven respektieren heißt, die eigene Perspektive zu schärfen und ins Gespräch zu bringen, ohne den anderen ihre Positionen abzusprechen. Kontextuell und konkret verortete theologische Beiträge können genau dazu beitragen.