C.H. Beck, München 2024, 215 S., 26,00 EUR
Die biblischen Psalmen erfreuen sich in Judentum und Christentum großer Beliebtheit und haben so auch die Kulturgeschichte des Westens mitgeprägt. Doch obwohl sie noch heute Menschen zum Nachbeten anregen, liegen ihre Wurzeln in einer längst vergangenen Lebens- und Denkwelt.
Auf diese fremdartigen religiösen Hintergründe der Psalmen wollen die beiden Autoren neugierig machen. Anhand von 36 biblischen Psalmen rekonstruieren sie deren ursprüngliche Textfassungen, erläutern sie in ihren geschichtlichen und religiösen Kontexten, zeigen Parallelen zu Texten und bildlichen Zeugnissen aus den Nachbarkulturen des alten Israel auf und zeichnen die Entwicklung bis zu ihrer jeweiligen Endgestalt nach. Damit graben sie die altorientalischen Fundamente der altisraelitischen Religion aus und beschreiben gleichzeitig, wie sich religiöse Vorstellungen im Laufe der Entstehungsgeschichte der Psalmen gewandelt haben.
Die vorangestellte Einführung hebt vorab entscheidende Punkte hervor, die in den anschließenden Textauslegungen immer wieder zur Sprache kommen: Die Vorstellung vom Gott Jahwe ist ursprünglich die eines Wettergottes. Dem entsprechend werden Naturphänomene wie Regen, Gewitter oder Erdbeben als göttliche Erscheinungen gedeutet. Die Verehrung Jahwes im Tempelkult bildet den Hintergrund für die Aufführung der ältesten Psalmen. Sie hat zudem eine erhebliche politische Bedeutung: Religion dient nicht zuletzt auch der Stabilisierung königlicher Macht. Daher identifizieren die beiden Autoren in vielen Psalmen hinter dem sprechenden „Ich“ (wie etwa in Psalm 23) ursprünglich einen anonymen König. Doch weil die einstigen Staaten Israel und Juda ihr Königtum verloren haben, veränderten sich infolgedessen auch die religiösen Vorstellungen, Hoffnungen und Praktiken, was sich in der Geschichte der Psalmen widerspiegelt.
Über viele der Rekonstruktionen und Einordnungen, die Levin und Müller vornehmen, lässt sich trefflich streiten. Dennoch wird anschaulich vor Augen geführt, dass die Psalmen in ihrer Endfassung lebendige Zeugnisse einer langen und sich wandelnden Religionsgeschichte sind.