Christian Nürnberger: Keine Bibel

Gabriel in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart, 2020, geb., 240 Seiten, 15,00 EUR

Bibeln werden immer noch verschenkt, z.B. von Pfarrer*innen an Paare, die sich von ihnen trauen lassen. Und immer noch liegen Bibeln auf den Nachttischen von Hotels. Ich vermute aber, dass die meisten Frisch-Verheirateten oder Übernachtungsgäste dieses meistverbreitete Werk der Weltliteratur kaum zur Hand nehmen und sich selten davon inspirieren lassen. Ganz im Unterschied zum Atheisten, Dramatiker und Lyriker Bertolt Brecht, der auf die Frage nach seiner Lieblingslektüre antwortete: „Sie werden lachen: die Bibel“, da sie eine „Sammlung von aufregenden Geschichten, Generationskonflikten, Mord und Totschlag, gipfelnd im Hohelied der Liebe“ sei.

Eine gut begründet Auswahl dieser „Sammlung“ bietet der Theologe und Journalist Nürnberger in seinem Band (mit Farbschnitt und Lesebändchen) mit dem expliziten Titel „Keine Bibel“, weil er eben nicht alle Texte des AT und NT enthält, sondern die nach Nürnbergers Einschätzung entscheidenden. Dabei in der Darbietung spannend nacherzählend, hie und da (aus der revidierten Lutherbibel 2017) zitierend, wenn es um besonders prägnante Sätze geht, die Lesenden von Anfang bis zum Ende an einem roten Faden entlangführend und, wo der Stoff für moderne Leser besondere intellektuelle Zumutungen enthält, diese mit knappen Erklärungen auf den aktuellen historisch-kritischen und theologischen Stand bringend; zu Fragen wie: billigt Gott Gewalt, verlangt er unbedingten Gehorsam – Abraham soll seinen Sohn Isaak opfern –, was ist das Besondere am Judentum, wie verhalten sich Glaube und Vernunft zueinander, warum ist Nächstenliebe Kern einer zukunftsfähigen Ethik?

Die entscheidenden biblischen Geschichten sind für Nürnberger die, die zeigen, dass Gottes immerwährende, fast schon verzweifelte Hoffnung darin besteht, ein Volk, eine Gemeinschaft zu finden und zu formen, die sein gutes Ziel mit Welt und Mensch umsetzt. Dafür besitzt Mensch einen freien Willen, deswegen regelt Gott die Dinge nicht in seinem Sinne top down, sondern übt sich in Geduld mit seinem „Ebenbild“.

In „sieben unmythischen Botschaften“ fasst der Autor (ein „protestantischer Agnostiker“) die Quintessenz der Bibel zusammen, da sie für ihn die Wurzeln des Humanismus und der Demokratie bilden. – Ich würde „Keine Bibel“ als Gemeindepfarrer bei so manchen Gelegenheiten verschenken. Man behält bei aller Vielfalt des Inhalts – der Personen und Handlungen – den Überblick!

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