Erbschaftsstreit Was von der „Bekennenden Kirche“ bis heute blieb

„Bekennende Kirche“ oder „Kirchenkampf“ – je weiter man sich von der Zeit des Nationalsozialismus entfernt, umso unschärfer werden diese Bezeichnungen. Welche Bedeutung hatte die kirchliche Opposition im „Dritten Reich“ wirklich? Und was blieb nach 1945 vom Erbe dieser Bewegung? Unter Historikern und Theologen herrscht bis heute ein Streit um Interpretation und Bewertung.

Es ist das Verdienst zweier Tagungen 2012 und 2013, Geschichte und Deutungsverschiebungen der „Bekennenden Kirche“ (BK) aufgearbeitet zu haben. Veranstaltet wurden sie vom Bonhoeffer-Verein, von der Martin-Niemöller-Stiftung und von der Stiftung Adam von Trott. Was Historiker und Theologen hier referierten, liegt jetzt in zwei höchst lesenswerten Bänden des Radius-Verlags vor. Sie bieten Einblick in eine spannende fachwissenschaftliche Debatte. Der erste Band beleuchtet die Entwicklung im Westen, der zweite die im Osten Deutschlands:

  • Reinhard Höppner; Joachim Perels (Hrsg.): Das verdrängte Erbe der Bekennenden Kirche. Stuttgart 2012. 184 S., 16 Euro.
  • Reinhard Höppner; Michael Karg (Hrsg.): Das Erbe der Bekennenden Kirche in der DDR. Stuttgart 2014. 168 S., 16 Euro.

1. Das verdrängte Erbe der Bekennenden Kirche in Westdeutschland

Für Günter van Norden, der den ersten Band eröffnet, beginnt die Erosion der „Bekennenden Kirche“ bereits auf der Barmer Synode 1934. Abgesehen von einer Minderheit in der Altpreußischen Union und in der Württembergischen Sozietät, die – wenn auch oft verklausuliert – politisches Unrecht beim Namen nannten, war für van Norden eine wirklich bekennende Kirche in der Folgezeit nicht existent. Nicht in der bischöflichen „Bekenntniskirche“ wie in Bayern oder Hannover, die kompromisslerisch und anpasserisch zur „volkskirchlichen Mitte“ rückte, vom „Lebenskampf gegen den Bolschewismus“ oder von der „Reinhaltung der Rasse“ redete. Und auch nicht im so genannten „Einigungswerk“ des Bischofs Wurm während des Krieges, in dem die „Bekennende Kirche“ ihren Leitungsanspruch aufgab, was sich dann 1945 beim Neuanfang fortsetzte. Doch räumt van Norden ein, außer der Freikirche habe es eine realistische Alternative für sie nicht gegeben.

Deutungsverschiebungen nach 1945

Angeführt von Wilhelm Niemöller habe die bruderrätliche BK ihre Rolle nach dem Krieg dann allerdings heroisiert, und seit den 70er Jahren hätten Kirchenhistoriker eine erneute Deutungsverschiebung vorgenommen: Gerade die erhalten gebliebene Volkskirche sei für den Nationalsozialismus, so die Behauptung, ein gravierender Störfaktor gewesen. Immerhin, so van Norden, sei die wachsende Friedensbewegung als ein Erbe der konsequenten „Bekennenden Kirche“ anzusehen.

Ende und Erbe der Bekennenden Kirche in der Nachkriegszeit

Der Berliner Zeitgeschichtler Hartmut Ludwig zeigt in seinem Beitrag „Deutung und Umdeutung des Kirchenkampfes“ ein ganzes Kaleidoskop gravierender Umdeutungen nach dem Krieg auf: der „falsche Tritt“ (H. J. Iwand) einer „Rechristianisierung der Gesellschaft“; das dämonische Verständnis des Nationalsozialismus, das eine eindeutige Schulderklärung im Oktober 1945 behinderte; die konfessionelle Aufspaltung der EKD; der Verzicht auf bruderrätliche Strukturen.

Der Aufstand, den die Gruppe um Hans Joachim Iwand im „Darmstädter Wort“ 1947 versuchte, gegen einen neuen Nationalismus und ein „Bündnis mit den konservativen Mächten“, stieß auf heftige Ablehnung in Deutschland, während für die Ökumene hier die Stimme der BK wieder hörbar wurde. Mit der Gründung der EKD hatte die BK ihren Weg zwar für beendet erklärt, aber die Wiederaufrüstungsdebatte ab 1950 aktivierte junge Theologen, in den „Kirchlichen Bruderschaften“ das Erbe der BK am Leben zu erhalten.

Protagonisten des Kirchenkampfes verlieren ihre EKD-Ämter

Je nach Herkunft der Interpreten – Lutheraner wie Bischof Meiser oder Wilhelm Niemöller im Sinne des Bruderrats – wird die Geschichte des Kirchenkampfes aber immer in der verengten Sichtweise des eigenen Blickfeldes traktiert, was die einen jeweils den anderen vorwerfen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung verlieren auch Protagonisten bruderrätlicher Provenienz wie Gustav W. Heinemann oder Martin Niemöller ihre EKD-Ämter.

Neue Sicht auf die Bekennende Kirche ab den 70er Jahren

Eine neue Phase der Betrachtung setzt ein, als in den 70er Jahren Eberhard Bethge sich bemüht, das theologische Erbe der BK für ein neues Verhältnis zu den Juden oder im Kampf um das Antirassismus-Programm des ÖRK fruchtbar zu machen. Er weist die Behauptung etlicher alter BK-Kämpfer zurück, Antirassismus-Programm und Befreiungstheologie seien nur eine Neuauflage alter Häresien der „Deutschen Christen“. Bethge ist es auch, der heftig protestiert, als eine damals viel beachtete Ausstellung „Kirche zwischen Kreuz und Hakenkreuz“ die Unterscheidung von dem „gemäßigten“ und dem „radikalen“ Flügel der BK in die Welt setzt. Ein verräterisches Sprachmuster: die unentschiedene Mehrheit ist „gemäßigt“, sprich: vernünftig, die Entscheidungstreuen „radikal“, sprich: Störenfriede.

Für die erste und bisher letzte große Gesamtdarstellung des Kampfes der BK (1976–1984), von Kurt Meier, hat Ludwig nur ein Verdikt: „Die in sich vielfach gespaltene Mitte wurde detailliert beschrieben, während das Bild der BK bis zur Unkenntlichkeit relativiert wurde … ein Werk, in dem die Amtsträger wichtiger sind, als die Widerstehenden und Leidenden.“

Zwei Protagonisten des Kirchenkampfs im Portrait

Mit den Beiträgen von van Norden und Ludwig ist man bestens gerüstet für zwei Einzelportraits im ersten Band: die beiden Lebensgänge von so unterschiedlichen Personen wie Heinz Brunotte (1896–1984), zeitweise Präsident der EKD-Kanzlei, und Martin Niemöller (1892–1984) durch Jens Gundlach und Martin Stöhr. Man wundert sich nicht mehr so sehr über diesen komplizierten frontenreichen Kirchenkampf, wenn man liest, wie facettenreich und widersprüchlich ein einziges Leben der unmittelbar Beteiligten verlaufen konnte.

Das weltkritische Erbe der Bekennenden Kirche

Den Juristen, Politologen und Theologen Joachim Perels beschäftigt die Tatsache, dass die Verfolgung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften im „Dritten Reich“ nie in den Blick der meist deutsch­national fundierten Bekenntnis-Theologen gekommen ist. Erst mit dem „Darmstädter Wort“ 1947 kommt die weltkritische Richtung der BK zum Tragen. Dies macht gewichtigen Erben der BK in der frühen Bundesrepublik auch eine Kritik am Kapitalismus möglich. Eben dies, so Perels, ist aber auf Initiative des EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber (Impulspapier „Kirche der Freiheit“) wieder eliminiert worden.

Das vergessene Erbe der Bekennenden Kirche in der EKD

Detlef Bald stellt im letzten Beitrag des ersten Bandes fest, dass im Geflecht Staat und Gesellschaft die Kirche in weitgehender Kontinuität zum Modell der Weimarer Verfassung in der Bundesrepublik angekommen ist. Nicht ohne Beschweigen einer belasteten Vergangenheit und „verwaltet, verteidigt und bewahrt“ von einer EKD. „Vergessen scheint die alte Erfahrung: semper reformanda.“

Auch die Diskussion auf dieser ersten Tagung wird am Schluss gerafft dokumentiert.

2. Das Erbe der Bekennenden Kirche in der DDR

Im zweiten Band, der sich mit der Nachkriegsentwicklung im Osten Deutschlands befasst, setzt vor allem Heino Falcke, der langjährige Propst von Erfurt, den Akzent. Zwischenhinein muss man einmal sagen: publizierte Tagungsreferate zu einem Generalthema, selbst wenn die Autoren verschiedenen Fachrichtungen angehören, neigen immer zu inhaltlichen Überschneidungen. Daran leiden auch die hier rezensierten Bände. Eins aber ist in Mitteldeutschland grundsätzlich anders als in der Bundesrepublik: hier musste das Erbe der BK sofort wieder gegen eine neue Diktatur durchgehalten werden. Jugendweihe und Zerschlagen kirchlicher Konfirmationspraxis, bloßgestellte Christenlehre-Kinder in der Schule, Verweigerung des Studiums von Pastorenkindern, schließlich Protestaktionen für Umwelt, Frieden und Menschenrechte.

Thüringen oder Weißensee – wie geht man mit einer Diktatur um?

Das sind hier die Stichworte, und Falcke zeigt, wie unterschiedlich die Kirche im SED-Staat darauf reagierte. Vom so genannten „Thüringer Weg“ des Bischofs Mitzenheim, einer politischen Anpassung im Interesse der Volkskirche, bis zum „Weißenseer Arbeitskreis“, der kein „Wächteramt“ gegenüber Staat und Gesellschaft zulassen wollte. Die Kirche musste aufpassen, im ideologischen Ost-West-Konflikt nicht als fünfte Kolonne des Kapitalismus gegen die Kommunisten eingereiht zu werden. Deshalb bekam das „Darmstädter Wort“ in der DDR eine viel größere Resonanz als im Westen.

Wie konnte der Staat als „gnädige Anordnung Gottes“ (Barmen V) auf einen Staatssozialismus bezogen werden? Konnte es einen „Deal“ geben zwischen dem „real existierenden Sozialismus“ und der Kirche? Jeder redet dem anderen nicht drein? „Befreit aus den gottlosen Bindungen dieser Welt“ (Barmen II) – waren das die Kirchen in der DDR? Wer im Westen aufgewachsen ist, findet in diesen und weiteren Erörterungen von Falcke über das Erbe der BK im Osten eine wichtige Erweiterung seines Horizontes.

Gemeindebild und Kirchenverständnis

Axel Noack, langjähriger Bischof der Kirchenprovinz Sachsen, will erörtern, welches Gemeindebild und welches Verständnis von Kirche und ihrer Leitung sich zwischen Elbe und Oder herausgebildet haben. Doch sein Beitrag gerät zu anekdotenhaft. Er verliert sich in Einzelheiten der provinzsächsischen Kirche und in langen Zitaten seiner Gewährsleute. Er streift von der Jugendweihe über das Gesangbuch, die Pfarrbesoldung und die Minderheitenkirche zahllose Themen, ohne zu einer systematischen Einordnung zu verhelfen. Aber er entlässt doch mit einer entscheidenden Frage: „Die Masse der ‚Konfessionslosen‘ im Osten ist nie aus der Kirche ausgetreten, weil sie nie drin war. Wie kann man also mit … dem klaren Wissen der ‚Bekennenden Kirche‘ auf diese ‚unberührten‘ Menschen blicken?“

Bekennen in der Friedensfrage

Ausschließlich konzentriert auf das gelebte Friedenszeugnis der Kirche und in ständiger Rückfrage an das Verhalten Dietrich Bonhoeffers, beschäftigt sich Marie Anne Subklev mit diesen Aktivitäten in der DDR. Sie erinnert an wichtige Texte und daran, wie häufig gerade das Thema Frieden und Atomwaffen die Einheit der EKD auf die Probe gestellt hat. Während im Westen die Kirche Wehrdienst und Verweigerung gewissensmäßig gleichsetzt, beharrt man im Osten darauf, dass die Verweigerung das „deutlichere Friedenszeugnis“ ist. „Die Friedensfrage ist kein Randthema der Theologie, sie ist eine Bekenntnisfrage.“

Fazit: Die „Bekennende Kirche“ ist keine feste Größe

Eine ausführliche Erörterung über „das Darmstädter Wort im Sozialismus“ (ein Autorenkollektiv), ein Blick in den Osten aus westdeutscher Perspektive (Martin Stöhr) und über die „politische Relevanz religiöser Überzeugungen“ (Ellen Ueberschär) komplettieren den zweiten Band. Wer meinte, dass eine „Bekennende Kirche“ mit dem Ende des Nationalsozialismus Vergangenheit war, wird in den beiden Bänden eines Besseren belehrt. Und wer sie bisher als eine feste Größe verstand, kommt angesichts der Deutungen unterschiedlicher Kirchenhistoriker aus dem Staunen nicht heraus.

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