Die neue Revision der Lutherbibel Brauchen wir das denn wirklich?

Seit 2010 hat ein Team von 70 Theologinnen und Theologen die Lutherbibel durchgesehen und die Übersetzung an Tausenden von Stellen überarbeitet. Der revidierte Text erscheint am 19. Oktober. Dr. Johannes Friedrich, Mitglied des Lenkungsausschuss des Projekts, berichtet über Grundsätze, Verlauf und Ergebnis der Revisionsarbeit.

„Wer im Schweiße seines Angesichts sein Brot isst“, wer deshalb meint: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, und wer „seine Perlen nicht vor die Säue wirft“, doch „die Spreu vom Weizen sondert“ und seine Kinder mahnt: „Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht!“, wer zugleich darauf besteht: „Ein Arbeiter ist seines Lohnes wert“, der weiß vielleicht auch noch, dass „man dem Ochsen, der da drischt, das Maul nicht verbindet.“ Es sind dies alles Aussagen, die sich in der Bibel finden und zwar alle in der Übersetzung von Martin Luther.

Unverkennbar: die Bibel im Luther-Deutsch

Martin Luther hat unsere Kenntnis der Bibel stark beeinflusst, er hat unsere Sprache geprägt. Worte wie Blutgeld, Bluthund, Menschenfischer, gastfrei, plappern, wetterwendisch, Schafskleid hat alle Luther geschaffen in seiner Bibelübersetzung!

Die Luther-Übersetzung war Jahrhunderte lang die kirchlich anerkannte Übersetzung der Bibel in den evangelischen Kirchen. So hat bis heute der Rat der EKD alle Rechte für die Luther-Übersetzung in seinen Händen. Im Herbst 2006 hat er den Grundsatzbeschluss gefällt, den Text auf Anpassungs- und Korrekturbedarf  durchzusehen, vor allem im Hinblick auf Übersetzungsschwierigkeiten, die sich aufgrund neuer exegetischer und textkritischer Einsichten ergeben haben. Das Ergebnis dieser Revisionsarbeit ist die Lutherbibel 2017, die ab 19. Oktober dieses Jahres erhältlich sein wird.

Vom Original der Lutherbibel…

Die Lutherbibel 2017 ist keineswegs die erste Überarbeitung, die die Lutherbibel in ihrer Geschichte erfahren hat. Sie schließt vielmehr an eine Reihe von Revisionen an, mit der die Luther-Übersetzung immer wieder an neuere exegetische Erkenntnisse und den modernen Sprachgebrauch angepasst wurde. Die Kernfrage, die auch im Zentrum der neuesten Revision stand, war dabei immer, wie stark man an Luther festhalten müsse oder in den Text seiner Übersetzung eingreifen dürfe:

Luther übersetzte das Neue Testament im September 1522 auf der Wartburg in nur elf Wochen, 1534 erschien die Gesamtausgabe der Bibel in deutscher Sprache, die ebenfalls große Verbreitung fand. Die letzte Ausgabe, an der Martin Luther noch ganz beteiligt war, erschien 1545. Und von 1534 bis zu seinem Tod 1546 gab es einen zwei Jahrzehnte überspannenden Prozess ständiger Überprüfung der eigenen Übersetzungsversuche in der Wittenberger Arbeitsgemeinschaft. Dieser gehörten wechselnd verschiedene Kenner des Griechischen oder Hebräischen sowie der Bibel an, dessen bekanntester Phillip Melanchthon war. So war jede neue Ausgabe der Bibel schon wieder korrigiert, eine Überarbeitung fand also schon damals laufend statt.

Jahrhundertelang wurde dann die Bibel von den Druckern und Bibelgesellschaften nach eigenem Gutdünken modernisiert, so dass es Ende des 19. Jahrhunderts notwendig wurde, in Zukunft einen einheitlichen, revidierten Text zu verbreiten.

… zu Revisionen und Rück-Revisionen

1892 gab es darum die erste, 1912 die zweite kirchenamtliche Revision. Durch den Zweiten Weltkrieg und durch das Naziregime verzögerte sich die Arbeit an der dritten Revision aber, bis man sie nach dem Krieg in mehreren Teilen fertigstellte: 1956 wurde die Revision des Neuen Testaments, 1964 die des Alten Testaments und 1970 die der Apokryphen abgeschlossen.

Es gab allerdings einige Kritik an diesen Revisionen, und so gab es ein viertes Teilergebnis dieser dritten kirchenamtlichen Revision, nämlich eine Nachrevision des NT. Dieser Revision von 1975 ging es vor allem um eine Annäherung der Luther-Übersetzung an den modernen Sprachgebrauch; z.B. wurde die sprichwörtliche Wendung „sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“ (Matthäus 5,15) getilgt, da der Scheffel als Getreidemaß heute nicht mehr bekannt sei. Stattdessen hieß es nun „Eimer“, was der 1975er Übersetzung den Namen „Eimertestament“ eintrug. Walter Jens kritisierte die 1975er Übersetzung so: „Wo Luther die Zitzen raushängen ließ, ist 1975 Flaschenmilch daraus geworden.“

Schon 1977 beschloss der Rat der EKD darum die Rücknahme radikaler Textveränderungen und 1981 eine neuerliche Revision. „Treue gegenüber Luthers Sprache“  soll eben soviel Gewicht haben wie „Verständlichkeit“. 1984 kam es zum Abschluss der dritten kirchenamtlichen Revision, sodass wir heute in der Lutherbibel die Fassung des NT von 1984, die des AT von 1964 und die der Apokryphen von 1970 haben.

Ausgangspunkt und Grundsätze der neuen Revision

Heute sind wir also bei der vierten kirchenamtlichen Lutherrevision, an der sieben Jahre lang gearbeitet wurde. Ich fasse den dafür gegebenen Auftrag zusammen: Primär war die Frage, wie treu die Lutherbibel mit dem Ausgangstext umgeht und wie sie in fraglichen Fällen umformuliert werden müsste, um dem Ausgangstext gerecht zu werden. Die beiden anderen Prinzipien dienen gewissermaßen als Sicherungen: Treue gegenüber Luthers Text. Es sollte keine moderne Übersetzung herauskommen, sondern der bekannte und vertraute Klang erhalten bleiben. Klar war auch, dass die liturgische Brauchbarkeit gewährleistet sein muss: Der Text muss lesbar, memorierbar und hörbar bleiben. Diese drei Aspekte sollten miteinander so weit wie möglich im Einklang stehen. Ausdrücklich nicht vorgesehen war die Anpassung an modernes Deutsch.

Behutsamer Umgang mit bekannten Schlüsseltexten

Wichtig war uns der Grundsatz: Je tiefer ein Text im Gedächtnis der Gemeinden verankert ist, desto weniger darf am Text selbst geändert werden. Das beste Beispiel ist dafür ist Psalm 23. Christoph Kähler, der Leiter der gesamten Revision, selbst früher Professor für Neues Testament und später Landesbischof, sagte ziemlich am Anfang bei einer Konferenz der beteiligten Exegeten: Solange eine Gemeinde diesen Text am Grabe auswendig mitsprechen kann, darf an diesem Text kein Jota geändert werden.

So haben wir auch am liturgischen Text des Vaterunsers nichts geändert, wohl aber in den Anmerkungen auf die wörtliche Übersetzung hingewiesen. Wir konnten nicht das im Urtext stehende „TA OPHEILÄMATA“ als wörtlich „Schulden“ im Plural stehen lassen: „und erlass uns unsere Schulden“, das wäre nach unserer Überzeugung aber heute völlig missverstanden worden, da „Schuldenerlass“ heute immer finanzielle Schulden meint.

In der Weihnachtsgeschichte haben wir geändert, aber in die Richtung des Textes, den die meisten noch im Gedächtnis haben.

Änderungen in allen 2–3 Versen

Wie sind wir vorgegangen? Es gab 70 Exegeten, die sich jeweils ein biblisches Buch angesehen haben. Dies wurde dann in Gruppen von Exegeten diskutiert, dort musste eine Änderung des Textes von 1984 eine 2/3 Mehrheit haben. Dann kam es in den Lenkungsausschuss mit acht Personen, dem ich auch angehörte, unter Leitung von Christoph Kähler mit den Professoren Christoph Levin, Koordinator AT, Martin Karrer, Koordinator NT, Martin Rösel, Koordinator Apokryphen und anderen. Auch im Lenkungsausschuss musste eine Änderung eine 2/3 Mehrheit finden. Wir haben insgesamt 44 Sitzungen à 4–5 Tage daran gesessen.

Das Ergebnis: Im AT wurde jeder dritte Vers, im NT jeder zweite Vers verändert! Im Wortbestand heißt das, dass trotz der hohen Zahl veränderter Verse insgesamt im Durchschnitt nur rund zehn Prozent der Wörter abgeändert wurden.

Exegetisch korrekt und nah bei Luther

Was wurde geändert? V.a. dort, wo Exegeten sagten, dass die heutige Wissenschaft aus textkritischen oder anderen Gründen meint, dass geändert werden müsse. Häufig haben wir aber gemerkt: Die heutigen Exegeten und Luther 1545 kamen zu demselben Ergebnis. Dann konnten also beide Kriterien erfüllt werden.

An einigen Stellen haben wir auch selbst eingegriffen: So haben wir etwa das „auf dass“ wieder eingefügt. Jeder kennt den Satz über Josef aus der Weihnachtsgeschichte: „Auf dass er sich schätzen ließe mit Maria…“. 1984 wurden aber sämtliche „auf dass“ aus der Lutherbibel getilgt, weil man meinte, so spreche heute niemand mehr. Das stimmt auch – aber jeder versteht es. Und so haben wir das „auf dass“ dort wieder eingefügt, wo es sinnvollerweise hingehört, nämlich dort, wo nicht ein rein finales „damit“ hingehört. Denn „auf dass“ hat neben dem finalen auch einen temporalen Klang. Ähnliches gilt für die Adverbien „dort“ und „daselbst“, für „einige“ und „etliche“ (was nicht dasselbe ist!).

Oder eben für den Konjunktiv: Heute steht in der 84er Fassung in Joh 11,25: „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.“ Bei Luther hieß es ursprünglich: „Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe.“ Und so wird es in Luther 2017 auch wieder heißen.

Verständlich und authentisch

Wir haben aber auch wegen des heutigen Sprachgebrauchs geändert, wenn etwas heute wirklich nicht mehr verständlich oder missverständlich ist und keine Redensart (Scheffel!) vorliegt. So etwa das Wort „Erbgut“, unter dem heute nur noch genetisches Erbgut verstanden wird. Wo bisher „Erbgut“ stand, haben wir „Erbteil“ oder „Erbe“ eingesetzt und für „Wehmütter“ das gute deutsche Wort „Hebamme“.

An manchen Stellen sind wir bei Luther geblieben, obwohl das nicht die exakte Übersetzung ist. Beispiel: Röm 3,28. Da steht im Griechischen: „der Mensch wird aus Glauben gerechtfertigt“. Luther übersetzt: „So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ Wir lassen im revidierten Text die Luther-Fassung (wegen der bekannten 4 sola) und schreiben in der Anmerkung: „3,28 wörtlich: »dass der Mensch aus Glauben gerechtfertigt wird, ohne Werke des Gesetzes«.

Die Lutherbibel ist es wert, gepflegt zu werden!

War es nun notwendig, die Lutherbibel erneut einer Revision zu unterziehen? Denn es gibt ja andere gute, wissenschaftlich fundierte Übersetzungen heutzutage, wie etwa die für Einsteiger wesentlich passendere Basisbibel.

Ich meine, die Lutherbibel ist dadurch nicht überflüssig geworden, denn sie ist ein ganz wichtiges Kulturerbe. So urteilte schon Friedrich Nitzsche, wahrlich kein Kirchenanhänger: „Das Meisterwerk der deutschen Prosa ist (…) das Meisterwerk ihres größten Predigers: das beste deutsche Buch. Gegen Luthers Bibel gehalten ist fast alles übrige nur ›Literatur‹“.

Martin Luther war damit ein Sprachschöpfer der deutschen Sprache. Er schuf eine poetische Übersetzung. Diese ist das Werk des wichtigsten deutschen Reformators und sie ist Ausdruck der Theologie Luthers. Um Luthers Theologie besser zu verstehen, ist es wichtig, seine Übersetzung zu kennen. Martin Luther ist damit Schöpfer liturgischer und musikalisch häufig verwendeter Texte und er ist ein Präger evangelischer Frömmigkeit. Das evangelische Liedgut, die protestantische Gebetsliteratur, die Kirchenmusik, die Kantaten, Oratorien, Passionen basieren auf der Lutherbibel und ihrer Sprache.

All diese Gründe waren und sind für uns entscheidend, dass wir die Bibel in der Übersetzung Martin Luthers weiterhin in unserem Gebrauch haben wollen. Und dies war die erste Revision, in der alle drei Teile der Bibel nach denselben Kriterien von denselben Personen überprüft wurden!

Wir dürfen uns darauf freuen!

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