Gemeinschaftstreue Bibel und Bild

Durch einen jeden offenbart sich Gottes Geist zum Nutzen aller. (1. Korinther 12,7)

Ein Wattestäbchen brachte es ans Licht. „Irgendwann fing ich an, mit dem Q-Tip die Schlüssellöcher zu reinigen“, erzählt mir eine Frau. „Erst im Wohnzimmer, dann im Bad. Als ich in der Küche ankam, wurde mir klar: Ich drehe bald durch, wenn das so weiter geht. Meister Propper tut mir nicht gut. Ich brauch´ was Sinnvolles!“

Wenn in diesen Tagen die Helden der Corona-Krise gewürdigt werden, gehört diese Frau nicht dazu. Ihr Talent, Schlüssellöcher zu putzen, ist nun wirklich nicht systemrelevant.

Systemrelevant: Das sind die Anderen. Die Ärztin, die mit Hingabe ihre Patienten behandelt. Sogar ohne sichere Schutzkleidung. Der Kassierer, der gereizte Kommentare weglächelt. Oder die Pflegerin, die dem alten Herrn immer wieder geduldig erklärt, warum die Tochter nicht mehr kommt.

Systemrelevant – dieses Wort hat gute Chancen, zum „Wort des Jahres“ gewählt zu werden. In meinen Augen greift es jedoch zu kurz. Denn es bewertet ein Verhalten nur danach, ob es zum Funktionieren der Gesellschaft beiträgt. Die Motivation der Einzelnen, sich so oder anders zu verhalten, berücksichtigt es nicht.

Systemrelevant: Das kann auch jemand sein, der vor anderen glänzen will. Vom Arbeitgeber gezwungen wird. Aus preußischem Pflichtbewusstsein handelt. Oder weil ein Kommunalwahlkampf ansteht.

Die Mehrheit setzt sich wohl aus Solidarität füreinander ein. Die Bibel nennt das „gemeinschaftstreu“. Ein schönes Wort. Bindet es doch den Einsatz für die Gesellschaft an eine persönliche Tugend, die Treue gegenüber meinen Mitmenschen. Die offenbart im Nahbereich gerade viele Begabungen. Da schlichtet einer den Streit am Gartenzaun. Da schenkt eine Lebensmut mit heimlichen Kreidegrüßen vor der Tür. Da glättet einer Sorgenfalten, indem er die Miete stundet. Da hilft eine, Behördendeutsch zu verstehen und komplizierte Anträge auszufüllen.

Das Schöne: Die Bibel unterscheidet nicht. Sondern stellt alle Begabungen gleichwertig nebeneinander. Sie traut jedem und jeder zu, gemeinschaftstreu zu sein, denn sie betrachtet eine Begabung nicht als Besitz. Unsere Talente und Fähigkeiten sind Gottesgeschenke und Ausdruck, wie Gottes Geist unter uns wirkt: „Durch einen jeden offenbart sich Gottes Geist zum Nutzen aller“ sagt der Apostel Paulus.

Durch einen jeden, durch eine jede. Durch Sie und mich. Und die vielen unsichtbaren Frauen, Männer und Kinder, die weder Applaus vom Balkon noch eine Würdigung in der Rede des Präsidenten bekommen.

Gottes Geist offenbart sich sogar in der Frau mit den Wattestäbchen. Als sie ihre überspannte Akribie gewendet hat. Statt für sich selbst Schlüssellöcher zu reinigen, näht sie jetzt Masken. Für ihre Apothekerin, die Pflegerinnen in der Sozialstation und die Bestatter ihres Viertels. Dreilagig. Mit kleinstem Stich und größter Sorgfalt. Zum Nutzen aller.

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