Generationswechsel in der EKD Ein Plenumsprotokoll

In 2021 steht an mehreren Stellen ein Wechsel im Personaltableau der evangelischen Kirchen an.

Ein medialer Traumstart der neuen EKD-Präses. „Mein Handy explodiert gleich!“, schrieb Anna-Nicole Heinrich auf Twitter wegen nicht enden wollender Glückwünsche. Da hatte die 25-Jährige gerade überraschend die Wahl ins nominell höchste Ehren-Amt der evangelischen Kirchen in Deutschland gewonnen. „Als Präses der Synode stehe ich für eine hoffnungsvolle, integrierende und pragmatische Kirche, die sich immer wieder neu entdeckt.“ Gleich mit den ersten Statements gab sie somit eine Richtung vor, wie sie ihre Aufgabe auszufüllen vorhat.

Seitdem fügt sich Termin an Termin, die Interviewanfragen stapeln sich. „Da ist den Protestanten wirklich etwas gelungen“ befand eine überregionale Tageszeitung. „Jung, unbekannt, Glücksfall“ titelte das Magazin CICERO in der Artikelüberschrift. Es sei „eine Wahl, die viele inspiriert und Hoffnungen weckt.“ Als „Wachmacherin“ wird sie von einer großen Wochenzeitung begrüßt.

Jung, unbekannt, ein Glücksfall

Die Sorge, sie könne mangels längerer Kirchenamtserfahrung im mühsamen Gremienalltag untergehen, weiß die gebürtige Oberpfälzerin mit dem Hinweis zu zerstreuen, dass eine ihrer Hauptaufgaben ja sei, die verschiedenen Kräfte, die Hauptamtlichen und Synodalen in ein gutes Zusammenspiel zu bringen. Und dass sie ihre eigenen Stärken besonders im Team zur Geltung bringen könne. Eloquent ist sie allemal, die neue Präses. Nicht die schlechteste Voraussetzung für ein Amt, das, wie etwa das des Bundespräsidenten, vor allem „durch das Wort“ funktioniert und wirken soll. Rund 500.000 Mitglieder haben in Deutschland die langjährigen Regierungsparteien CDU/CSU, rund 45 Millionen die christlichen Kirchen und Gemeinschaften. Da muss man sich nicht verstecken.

„Glaube kann Halt und Trost geben“ gibt sie den SPD-Genossen zu Protokoll, als sie auf deren Einladung zu Gast ist. Ihre Lieblingsstelle der Bibel? Das Vaterunser aus dem Matthäusevangelium. Das sei schon von klein auf so. Die ungekünstelte authentische Art, unbefangen von Glauben und Spiritualität zu sprechen, kommt offenbar an. Gleichzeitig parliert sie im Pressegespräch wie ein alter Hase über Hannah Arendt, früh ein Vorbild – wobei, die habe ja viel von Karl Jaspers übernommen… Die neue EKD-Präses ist Philosophiestudentin. In der vorigen Synode hat sie im Z-Team mitgearbeitet (Z wie Zukunft), das ein Grundlagenszenario der Kirche ausgearbeitet hat. Im Zeitungsgespräch gibt Anna Heinrich offen zu, dass die allgemeinen Wissens-Pegel niedrig seien. Was auch eine Chance darstellt.

Glaube kann Halt und Trost geben

Es ist insofern auch eine Art theologische Werkstatt, in die die wissenschaftliche Mitarbeiterin an einer bayerischen Uni die Synode der EKD in Zukunft führen wird. Und wer wollte in Abrede stellen, dass das den Vertreterinnen und Vertretern der 20 Landeskirchen im einmal jährlich tagenden „Kirchenparlament“ nicht wenigstens zeitweise, immer wieder einmal, ganz gut tun könnte? Heinrich hat Erfahrung beim Stemmen und Organisieren von nicht vorhersehbaren Prozessen. Zweimal hat sie einen innerkirchlichen Hackathon begleitet. Dabei treffen sich im vorab definierten Zeitrahmen verschiedenste Leute, um sich an der Programmierung konkreter Projekte zu beteiligen. Ob die dann auch umgesetzt werden, bleibt bei einem solchen Hackathon offen.

Das Vaterunser als Lieblingstext

So steht es vielleicht auch mit manchem Satz aus den jüngst vorgestellten „Leitsätzen“. Darin wird etwa festgehalten, dass die Evangelischen sich weiterhin als Kirche des Wortes verstehen. Gleich zweimal wird auf die stramme Barmer Theologische Erklärung von 1934 verwiesen, mit der man sich gegen die üble NS-Ideologie stellte. Wie viel von den Sätzen in kleine Münze umgesetzt werden wird? Von den einigermaßen breit beworbenen EKD-„Leuchttürmen“ aus den Zehner-Jahren ist an der Basis recht wenig angekommen. Warum es mit den jetzigen zwölf Leitsätzen anders werden könnte, wer weiß? „Von unten“ kam der Vorwurf und ist manchenorts der Eindruck entstanden, ob hier nicht wieder eine leicht abgehobene, verkopfte „Funktionärskirche“ recht deutlich gegen die kleinen, lokalen Gemeinden vor Ort arbeite? Aus dem Plenum der virtuell versammelten Kirchengemeinden, Bezirke, regionalen Verbände und Werke, das parallel zu den offiziellen Zusammenkünften der Synode ja immer auch irgendwie „tagt“, wird insoweit auch weiterhin mit Zwischenrufen und guten Verbesserungsvorschlägen zu rechnen sein. Hier an der Basis findet gefühlt ständig eine große Plenardebatte statt. („Die Protestanten denken ja immer so viel.“)

Des vielen Bücher und Papiere Machens ist nunmal kein Ende, lässt sich der Prediger Kohelet hören, in einer Mischung aus Klage und gleichmütiger Gelassenheit, denn Papier ist eben auch geduldig, wird manchesmal vergessen, in Schubladen geschoben, gelagert, vom Winde verweht… (Kohelet 12,12)

Wechsel im EKD-Ratsvorsitz

Der vollzogene Wechsel an der Synodenspitze ist das Eine, eine andere Wachablösung steht im November mit der Wahl der oder des neuen EKD-Ratsvorsitzenden an. Der bisherige Amtsinhaber Heinrich Bedford-Strohm kann dabei auf eine ereignisreiche, wenn auch nicht immer von so zuneigungsvoller Berichterstattung geprägte Amtszeit zurückblicken. Das war bei Amtsantritt auch nicht anders zu erwarten. Im politischen Blätterwald pfeift ggf. ein scharfer Wind. (So ist zunächst mit einer gewissen Erleichterung zu konstatieren, dass der bayerische Landesbischof die raue Berliner und Hannoveraner Zeit doch einigermaßen „heil“ überstanden hat, insbesondere das allem Vernehmen nach äußerst rigide Sitzungsregiment der bisherigen Synoden-Präses Irmgard Schwaetzer…)

In seine Zeit des Ratsvorsitzes fällt die Etablierung einer „Willkommenskultur“ angesichts geöffneter Schranken der EU-Außengrenzen. Man erinnert sich an TV-Bilder vom Münchner Bahnhof, der evangelische Ratsvorsitzende Bedford-Strohm gemeinsam mit dem Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz Reinhard Marx zur Begrüßung der ankommenden Menschen. Der Unterstützung durch aktive Kirchengemeinden, Asylbüros, Asylpfarrämter und -cafés (bis hin zu gemeindlichen Unterstützern institutioneller Kirchenasyle) konnte sich der Ratsvorsitzende hier in seinem Kurs gewiss sein. Hinsichtlich der Medienlandschaft stellte sich die Sache etwas diffiziler dar. Zeigte sich doch alsbald, dass dort zwar einerseits eine liberal-offene Gesinnung oft propagiert wird, sobald sich jedoch auch „die Kirche“ einschlägig positioniert, es für sie dann trotzdem nicht einmal einen Blumentopf an medialer (positiver) Resonanz „dafür“ zu gewinnen gibt. (Ein Muster, von dem nachher noch wiederholt die Rede sein wird). Aber in diesen Fragen geht es ja nicht um Gefallsucht.

Innerkirchlich wie innergesellschaftlich stellte sich aber je länger je mehr auch lautstark die bekannte Frage, ob es „Belastungs-“ und „Aufnahmegrenzen“ gebe, und wo diese möglicherweise liegen. Auch bei der konkreten Durchführung von Einreisen über „grüne“ Grenzen „ohne Rechte“ bis zur faktischen Kriminalisierung durch obligatorische erkennungsdienstliche Behandlung aller Ankommenden blieben offene Probleme, zunehmend überlagert durch die weitergehende Entwicklung.

Wahrscheinlich als eines der nachhaltigsten Verdienste Bedford-Strohms dürfte die gelungene Durchführung des Reformationsjubiläums 2017 in ökumenischer Geschwisterlichkeit im kirchlichen und gesellschaftlichen Gedächtnis bleiben. Hier wirkte sich der eben bereits „angeklungene“ kurze Draht zwischen dem katholischen und dem evangelischen Bischofssitz in der bayerischen Landeshauptstadt (kaum 400 Meter Luftlinie), aber ebenso eine in Jahrzehnten gehegte und gepflegte Gesprächs-Kultur „im Plenum“ aus.

Einen wichtigen Markstein zum Diskurs um die Digitalisierung setzte Heinrich Bedford-Strohm mit seiner Weltethos-Rede 2018. Dass auch Programmierer so etwas wie ein Berufsethos dringend brauchen und der Menschlichkeit verpflichtet sind! Sicher wurden seit Amtsantritt 2014 noch ein, zwei weitere Vorträge gehalten – das Pensum war definitiv enorm –, doch hat jeder Rückblick notwendig etwas Streiflichtartiges, Eklektisches, so auch dieser. Es wird noch weitere geben.

Vielleicht eine der medial umstrittensten Entscheidungen war 2019 der Entschluss, einen angenommenen Plenumsantrag des Dortmunder Kirchentages umzusetzen und eine Rettungsinitiative im Mittelmeer zu finanzieren („Wir schicken ein Schiff!“). Von den einen als Hier-tut-die-Kirche-etwas gefeiert, von anderen als zumindest respektabler symbolischer Akt mit konkreten Auswirkungen gewürdigt, von wieder anderen als Grund zum Kirchenaustritt angeführt, zeigte sich in der presseöffentlichen Debatte auch hier das oben erwähnte Muster (Forderung nach humanitärer Haltung – Abstinenz der Unterstützung wenn es zum Spruche kommt). In Talkshows rund um den sogenannten ersten „Shutdown“ 2020 erinnerte der Ratsvorsitzende daran, dass die Auseinandersetzung mit dem Tod zum Menschsein unabdinglich dazugehört. Für die evangelischen aspekte trug er 2015 einen fundierten Beitrag zum Thema Sterbehilfe bei. Den auf der größeren Weltbühne signifikantesten Moment hatte er wohl indes, als er mit dem früheren US-Präsidenten Barack Obama auf dem Kirchentag in Berlin über das Gleichnis vom Weltgericht (Mt 25) diskutierte.

Schließlich bis in aktuelle Zeit andauernd ist die anfangs schnelle Entscheidung der EKD-Spitze, die Corona-Maßnahmen der Regierung weitestgehend zu unterstützen. So zeigte sich, dass Kirche sehr effizient sich als systemerhaltend erweisen kann. (Dass auch dies von Medien im Weiteren kaum einer Würdigung wert geachtet wurde, entspricht besagtem Muster.) Doch gibt es darauf kein verpflichtendes Abonnement. Kirche kennt auch das Bild, im Zweifel Gesellschaft im Gegenentwurf zu sein. Es lautet denn das Wort vom „Salz der Erde“, nicht: „Ihr seid die Suppe.“

Vakanz als Option

Die nicht vollständige, rhapsodische Auswahl belegt, dass der Ratsvorsitzende geistliche Schwerpunkte setzte, in toto aber mehr auf politische Gestaltungsfragen Wert legte. Das hatte auch gute Gründe und sein Recht. Doch manchmal wirkte das wie ein einsamer Rufer, beinahe, das wird man sagen dürfen, ein wenig wie im Regen stehen gelassen, weil aus manchen Landeskirchen nur verhalten Unterstützung kam. Und so wünschen sich manche in der Tat für eine nächste Ratsperiode statt einem politischen viel eher einen seelsorgerlich-theologischen Kopf. „Diesmal ein Geistlicher, eine Geistliche” lautet dazu das insgeheime Motto.

Diesmal ein Geistlicher / eine Geistliche?

Von Mitte Juli 2021 aus betrachtet, wo dieser Plenumsbericht entstand – gerade wenn man beachtet, wie das aktuelle Glaubensseminar à la Heinrich goutiert und nachgefragt wird bei vergleichsweise (s.o.) geringem Aufwand – wäre daher eine Option, den Ratsvorsitz auf absehbare Zeit vakant und unbesetzt zu lassen. Die EKD-Präses könnte bis auf weiteres die Repräsentationsaufgabe kommissarisch übernehmen. Und auf Zuruf aus dem (Kirchen-)Plenum die entsprechenden Stichworte in den Diskurs und die Interviews einfließen lassen. Dass das Interesse an Glaubensinhalten groß ist, erfuhr man im Präses-Interview mit dem Onlinedienst watson: dass gerade auch „bei jungen Menschen ein hohes Bedürfnis nach Spiritualität und Glaube vorhanden ist“ (Shell-Studie).

Ein weiterer Wechsel im EKD-Kirchenamt

Noch von einem dritten Wachwechsel, der vielleicht gar nicht (so) unbedeutend ist, gilt es zu berichten. Denn Ende des Jahres tritt auch Thies Gundlach ab, der bisherige „Cheftheologe“ des EKD-Kirchenamtes, das oft eher im Hintergrund agiert. An der Kirchenbasis, als der niedersten Plenumsebene, wird er wohl noch am ehesten in Erinnerung bleiben durch seine scharfe Kritik an TheologieprofessorInnen und der akademischen Theologie insgesamt vom Jahr 2017: sie sei untätig (ein Vorwurf, der teilweise Zustimmung, teilweise Widerspruch hervorrief). An seine Stelle wird künftig Johannes Wischmeyer treten, von dem bekannt ist, dass er Theologie u.a. in Tübingen und Oxford studierte – so dass von hier u.a. ein Schub an Internationalisierung für die „theologische Werkstatt“ der EKD zu erwarten sein könnte. Und vielleicht neben dem auch hier stattfindenden Generationswechsel eine EKD-Kirchen-Politik, die wieder ein wenig mehr an die einzelnen Kirchengemeinden denkt?

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