Stichwort: Digitale Heimat Reichtum und Risiken liegen im Netz nah beieinander

Kann das Internet eine Heimat sein? Der Begriff „Heimat“ ist für die meisten mit Nationalität, Regionalität oder Landesgrenzen verbunden, die digitale Heimat ist das Gegenteil davon: sie verbindet die Menschen auf der ganzen Welt miteinander und bildet einen Kontrapunkt zur Ausgrenzung, weil sie einer Vielzahl von Minderheiten eine Stimme verleiht.

Für viele, die oft zuhause bleiben müssen, z.B. aufgrund von Alter, Behinderung oder Krankheit, ist der Kontakt zur Außenwelt via Internet eine gute Alternative. Statt in den Laden um die Ecke geht man online shoppen und auf sozialen Plattformen können neue Kontakte geknüpft werden, ohne die Wohnung zu verlassen. So ersetzt die digitale Heimat manchmal die fehlende vor Ort.

Wie in der regional begründeten Heimat gibt es auch hier eine eigene Kultur, z.B. Memes, das sind Bilder, Texte oder Videos, die sich in immer neuen Abwandlungen übers Internet fortsetzen. Es gibt eigene Dialekte, Sprachen und Zeichen: Das @ ist das bekannteste, unter einem „Hashtag“ (#) finde ich alles zu einem bestimmten Thema, das Wort „Flausch“ steht für eine Art digitale Streicheleinheit und im sogenannten Leetspeak, werden Buchstaben durch ähnlich aussehende Zahlen ersetzt – „Leet“ wird z.B. als „1337“ dargestellt. Wem diese Phänomene nicht bekannt sind, der ist ein „digital immigrant“, also ein Einwanderer unter „digital natives“.

„Heimat ist, wo sich das WLAN automatisch verbindet“, heißt es und damit ist nicht unbedingt das räumliche Zuhause gemeint, sondern jeglicher Ort, an dem eine gute, unkompliziert herzustellende Internetverbindung das bietet, was man von zuhause kennt: die bekannte Infrastruktur des Internets, die überall auf der Welt von Millionen Menschen genutzt wird. Das Internet als ortloser Ort, als völkerverbindende Erfindung.

Wie die „reale Welt“ Gefahren birgt, so auch die digitale: Wo im echten Leben durch zu wenig Pausen ein Burnout droht, dräuen im digitalen Handysucht oder durch „second screening“ (damit ist der Gebrauch von mobilen Endgeräten während des Fernsehens gemeint) verursachte Depression. Wie ich mir in meiner lokalen Heimat genau überlegen muss, ob ich Firmen via Payback- und anderer Kundenkarten Zugang zu meinen persönlichen Daten und Informationen über mein Konsumverhalten zukommen lasse, so gilt dies in Digitalien umso mehr. Aber wer sich im Netz heimisch fühlt, weiß um dessen Gefahren, ist bestenfalls vorsichtig und sparsam mit seinen Daten und nutzt auch mit höherer Wahrscheinlichkeit alternative, als sicher geltende Messenger wie „Threema“ oder „Signal“ statt „WhatsApp“.

Und auch in der digitalen Heimat gibt es, was in funktionierenden Dorfstrukturen noch zu finden ist: Nachbarschaftshilfe. Privat organisiert wird z.B. Familien, die finanziell in Not geraten sind, bei #eineMieteweniger ein wenig der Druck genommen, indem eine Monatsmiete übernommen wird – eines von vielen selbst organisierten Hilfsprojekten.  Freundschaften entstehen online und werden ins reale Leben überführt, es wird geliebt, geheiratet, mitgelitten und -gelacht.

Die digitale Heimat der Kirche heißt „digitale Kirche“. Sie bietet digitale Gebete (z.B. das #twomplet auf Twitter), Übertragungen und zum Teil sogar interaktive Mitgestaltung von Gottesdiensten, Apps, Seelsorge usw. Kirchliche Heimat ist eben überall, wo Menschen sich treffen, um ihren Glauben zu teilen.

Die digitale Heimat ist reich. Und dass es ein Stück Heimat ist, das wir da in der Tasche rumtragen, merkt man spätestens, wenn das Smartphone fehlt: ein Gefühl der Entwurzelung macht sich breit…

 

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