Theologie der Auferstehung Karfreitag und Osterjubel

Die theologische Rede vom Kreuz (theologia crucis) erschließt sich nur von Ostern her. Karfreitag und Auferstehung gehören zusammen und legen sich gegenseitig aus.

„Weint nicht über mich, sondern weint über euch selbst.“ Diese Aufforderung, die an der 8. Statio eines jeden Kreuzweges zu vernehmen ist, kann für jeden und jede exemplarisch gelten. „Weint nicht über mich“, sagt der sein Kreuz tragende Nazoräer auf seinen letzten Metern. Er trägt schwer an seinem Kreuz. Eine Volksmenge säumt den Weg und begafft das Spektakel. Etliche, die so große Hoffnung in ihn gesetzt haben, stehen klagend und weinend dabei. „Weint nicht über mich“, sagt er zu diesen, „sondern über euch selbst.“

Trauer

Weinen ist Ausdruck von Trauer, von Klage, auch von Verzweiflung. In der Trauerforschung wird den Wirkungen von Weinen und Trauern nachgedacht. Dass auf dem Kreuzweg, der bitteren Via Crucis, geweint wird, kann kaum überraschen. Und wie viel ist in unseren Tagen von Verzweiflung zu hören. Viele weinen um fragmentarisch gebliebene Existenzen, Enttäuschungen, im Hier und Jetzt Unvollendetes, Unverstandenes, echten oder manchmal auch oberflächlichen Weltschmerz, menschliche Grausamkeiten, trauern um unergründliche Schicksale.

In der Klage- und Trauerliteratur gibt es ein einprägsames Bild für den Weg des Trauerns: Trauer sei wie ein großer, schwarzer Kloß, der wie eingeschweißt ein diesen umgebenden Behälter fast vollständig ausfüllt. Für den individuellen Trauerprozess ist nun kennzeichnend: Der große Trauerbrocken bleibt. Er wird keinesfalls kleiner, leichter, heller. Was aber größer wird, ist das Behältnis darum herum. Es weitet sich. Die Trauerzeit muss den Brocken weder zertrümmern, noch zum Schrumpfen bringen oder hell anstreichen. Der Brocken bleibt, aber die Welt darum herum wird anders.

Die Stationen des Kreuzwegs beginnen mit einer unschuldigen Verurteilung. Schuldlos angeklagt und schuldlos abgeurteilt macht sich der Leidende auf seinen letzten Weg. Ja: Leid kann auch ohne Schuld und ohne Ursache über jemand hereinbrechen. So voraussetzungslos und unverdient wie das Leben gegeben ist, kann es auch wieder zurückgefordert werden. Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen, sagt dazu fast stoisch die weisheitliche Spiritualität Israels (bleibt dabei aber nicht stehen). „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“, beginnt der seitdem vielzitierte Vertrauens- und Passionspsalm 22, den Jesus am Kreuz schreit.

Ist hier Gott unsichtbar? Ist er weit weg? Von einer Verborgenheit Gottes wird bis heute viel geredet. Unsere Klage- und Trauerliteratur dazu ist lang. Verborgenheit bezieht sich dabei nicht nur auf unerklärliche Zeitläufte. Auch dass Gott schweige, dass sein Reden bei den Menschen nicht ankomme, wird des Öfteren beklagt.

Diese alte paulinisch-johanneische Einsicht „Gott ist da, aber keiner beachtet es“ (Joh 1,10f; Röm 1,19-21), begegnet sinngleich in den synoptischen Evangelien, etwa wenn der Gleichnis-Erzähler Jesus feststellt (mit einem Zitat des Propheten Jesaja), dass viele sehen und doch nicht verstehen, hören, aber nichts daraus folgern (Mt 13; vgl. Ps 19,3f). Es ist also weder neu, noch ungewöhnlich, insofern auch nicht beunruhigend, sondern Bestandteil geschichtlicher Kontinuität: seit hunderten und tausenden von Jahren. Es stimmt jedoch auch: Damit ist – längst – nicht alles gesagt, was zu sagen ist oder wäre. (Es bildet nur den immerwährenden Ausgangspunkt!) Denn: Es wird ja gehört. Und: Es wird ja verstanden. – Wie geht das zu?

„Die Schädelstätte wurde zum Paradies“, sagt provozierend in Bezug zum Karfreitag die orthodoxe Liturgie. Zum Kreuz als Symbol finden sich schon früh Darstellungen als Lebensbaum. Denn zum Bericht von diesem Tod gehört auch der Bericht von Leben. Manchmal heißt es ja, Tod und Sterben seien tabuisiert und an den Rand gedrängt. Für das Christentum stimmt es jedenfalls nicht. Wie neben Kreuzwegen und Kreuzesdarstellungen z.B. die alljährliche Karwoche zeigt: Von Palmsonntag über Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag hin zu Osternacht und Ostern. Mit der Karwoche ist gleich ein Weiteres angezeigt und ausgesagt: Eines ist ohne das andere theologisch nicht zu fassen! Das Kreuz nie ohne Ostern, und umgekehrt. Beides gehört zusammen (Holger Kaffka: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Art. Kreuzestheologie. Ostkirche).

Ohne das Kreuz wäre Ostern leer.

Ohne Ostern bliebe Karfreitag ein ewiges Fragezeichen. Ohne das Kreuz wäre Ostern leer. Theologisch ist damit festgehalten, dass Gott (wie folglich unser Gottesbild und -begriff) auch Unsinn, Verzweiflung, das blanke Nichts, tiefste Trauer und den Tod aushält und integrieren kann. Hierher passt der Satz, dass Gott mit „Möglichkeiten“ zusammenhänge – der für Schriftkundige ja ebenfalls nichts Ungewöhnliches besagt (Lk 1,37; Mk 10,27: denn „bei Gott ist nichts unmöglich“; „alles ist möglich bei Gott“).

Österliche Menschen

„Christus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden!“, ertönt es im Ostergottesdienst der Orthodoxie. „Er hat den Tod durch den Tod überwunden und denen, die im Grabe sind, das Leben geschenkt.“ Österliche Menschen dürfen wir Christen sein. Es kann dabei offen bleiben, wie genau man sich die Auferstehungszukunft vorzustellen habe. Es ist eine leibliche Auferstehung, ja.  Wie genau, dazu machen bewusst Paulus und alle biblischen Osteraussagen nur ungefähre Angaben (1. Kor 15,35ff). Auferstehung sprengt nicht nur die Todeswelt. Sie sprengt auch unsere Vorstellungen. Das kann kaum anders sein. Bedeutet sie doch den Übergang in einen anderen Äon.

Das feierliche Nicaenum sagt: Gott schuf den Himmel und die Erde, „die sichtbare und die unsichtbare Welt.“ Sogar dort, wo der Mensch nichts sieht, kann Gott sehr wohl am Werk sein. Selbst dort, wo wir keinen Sinn erkennen, kann Gott in seinen Möglichkeiten neu ans Werk gehen. Sogar im Unsinn (setze hier testweise als Chiffre: „Kreuz“), kann Gott sehr wohl Sinn stiften. Tatsächlich ist der Kreuzigungspsalm 22 ein Vertrauenspsalm (Vers 5f, 20, 22b, 32). Wenn immer wieder von Imitatio Christi zu hören ist, von Nachahmung oder Nachfolge (auch in den evangelischen aspekten), dann mag das auch für das Sprechen von Psalm 22 gelten.

In österlicher Nachfolge werden wir mit dem „Weint!“ zu einer besonderen Art von Selbsterkenntnis angeleitet. Der Aufforderung ist noch eine Begründung mitgegeben: Denn „wenn man das tut am grünen Holz, was wird am dürren werden?“ (Lk 23,31) Jeder Mensch mit seinen dürren Nachfolgeversuchen wird kaum an Kreuz- und Trauererfahrungen vorbeikommen, wenn schon das so hoffnungsgrüne Leben Jesu von Nazareth dem nicht entgeht.

Auch österliche Menschen kennen Trauer. Ein Theologe der Auferstehung muss Leiden weder aktiv suchen noch künstlich überspielen. Sie können aber wissen, dass Weinen die Weinenden verändert. Als Jesus die Aufforderung zum Weinen an seine sporadisch, fast wegelagerisch versammelte Trauergemeinschaft spricht, hat er sein Kreuz bereits ein Stück weit abgelegt, weitergegeben: Der am Wegesrand der Via Crucis stehende Simon von Kyrene tritt für ihn ein und schleppt den Kreuzesbalken für ihn weiter.

Theologie der Auferstehung

„Weint – weint nicht“, jede und jeder trauert anders, aber das Betrauern unter Osterlicht bewirkt auch Ablösung von falschen Fixierungen. Noch einmal: Löscht Ostern die Kreuzeserfahrung und das Kreuzesgeschehen aus? Nein. Erst recht nicht das so wichtige Trauern. Trauern bleibt wichtig, weil der Verlust real ist. Aber das Bestimmende darf die Osterfreude werden. Das Behältnis um den Trauergegenstand herum kann sich weiten und noch viele weitere Welt- und Gotteserfahrungen in sich fassen.

Hören wir also nur für heute ein letztes Mal die Forderung: „Weint und trauert über euch“. Denn Trauer, sofern sie nicht in self-pity, in Selbstmitleid verharrt, ermöglicht einen „erwachsenen“ Abschied von um sich selbst kreisenden Subjekten. Theologie der Auferstehung ist Wahrnehmungserweiterung. Das Kreuz nie ohne Ostern denken und Ostern nie ohne Kreuz, heißt: Auch der Satz vom dürren Holz ist mit Osteraugen zu lesen und ändert sich dabei. Denn mit Blick auf die Auferstehung gilt auch umgekehrt: „Was am grünen Holz geschieht, kann auch am dürren Holz geschehen.“

Dass viele sehen und (zuerst) doch nichts erkennen, muss nicht das letzte Wort sein. Der Theologe der Auferstehung weiß immer mehr, als aktuell zu sehen ist. Ausgerechnet die Zeit der Glaubensunterdrückung hat dazu geführt, so das apokryphe biblische Buch Tobit, dass man in aller Welt, über sämtliche Länder verstreut, Bekenner zum Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs findet. Gerade in Zeiten von Infragestellung kann Glaubenstrost seine Kraft beweisen. Und sei es nur in einem wackeligen Schrei oder Gebet wie Mk 9,24 „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“

Das Hauptgewicht liegt auf dem Osterjubel.

Theologie der Auferstehung denkt von Ostern, von einer Umkehrung der Todeslogik her. Golgatha ist (nur) dann und insoweit „paradiesisch“, denn die ursprüngliche, gute Schöpfung ist dann wiederhergestellt. Österliche Menschen leben so im „Vorgarten“ der Ewigkeit, in welcher Gottes doxa leuchtet, Gottes Licht und Herrlichkeit. Schon Hier und Jetzt scheint Österliches Licht, gibt Trauerzeiten einen Vorschein und macht sie heller. „Sie zählten dich unter die Missetäter / sie beschlossen deinen Tod / sie gruben dich ein“, schrieb Lothar Zenetti. „… Sie wollten dich unter die Erde bringen / aber / sie brachten dich [gerade damit] unter die Leute“.

Drei Anwendungsbeispiele

  1. Schon lange hat nach schönem Brauch fast jedes Kirchengebäude einen integrierten Kreuzweg, mit meist 14 Stationen. Wenn stimmt, dass Ostern beim Kreuz stets mitzudenken ist, wäre das von jeder Einzelstation aufzuweisen… (Los geht’s!)
  2. Das bisher Gesagte lässt sich ausnahmslos und auf hohem theologischen Niveau reflektiert in Luthers Beschreibungen der theologia crucis Man muss nicht, kann aber aus dieser reich gefüllten Vorratskammer schöpfen. Man findet dort ebenso die Aussage, dass Gott, wie es seiner Art entspricht, nie darauf angewiesen ist, etwas vorzufinden. Sondern letztlich immer erst erschafft, was bleibend gut und liebenswert ist (deus non invenit, sed creat, Heidelberger Disputation). Was auch der Formel Röm 4,17 entspricht, wo Gottes Schöpferhandeln aus dem Nichts und die Auferstehung parallelisiert werden. Klassisch die Bestimmung des deus absconditus (verborgener Gott – der für uns immer unzugänglich ist und bleibt). Eine zeitüberlegen schöne und allgemeinverständliche Zusammenfassung bietet die Erläuterung zu Luthers Wappensiegel, die Lutherrose (Summe und „Merkzeichen meiner Theologie“), mit dem güldenen Ring, der das schwarze Kreuz und die blühende Rose umgibt und himmlisch überwölbt. Übrigens gibt es ausdrucksstarke Osterlieder von Luther, aber kein Passionslied. Was untermauern könnte, dass – sofern denn stärker auf einer der beiden Seiten – das theologische Hauptgewicht, wenn schon, auf dem Osterjubel liegt.
  3. Weil und wenn es stimmt, dass die biblischen Schriften die „Grammatik des Heiligen Geistes“ darbieten, bieten Kreuz und Auferstehung die zugehörigen Konjugations- und Deklinationstabellen für Nomina und Verben. Von hier erhalten so gut wie alle theologischen Begriffe ihre typische im Alten und Neuen Testament geprägte und gesättigte Bedeutung und ihre richtige Verwendung!

Was heißt Hingabe (z.B. Lebenshingabe). Was stellvertretendes Handeln. Was Gerechtigkeit und Treue (jeweils von Ostern her gedacht!). Stellvertretung ist dann etwas, in dem auch stellvertretendes Leiden mit inbegriffen sein kann (aber nicht muss). So wie sich etwa Eltern stellvertretend für ihre Kinder für eine gute Schulbildung und Berufsaussichten auch gegen Widerstände einsetzen, sich manches vom Munde absparen oder anderweitig auf eigene Wünsche verzichten.

Sinn und göttliche Weisheit erschließen sich im von Ostern her gedeuteten  Karfreitag als Wort vom Kreuz, das eine Kraft Gottes ist, deren man sich nicht schämen muss: sondern das österliches Menschsein in allen seinen Dimensionen schon im Hier und Jetzt möglich macht.

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