Unsere Erde, der Duft der Blumen und der Gesang der Vögel Bibel und Bild

„Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“ (2. Korinther 12,9)

Vor einiger Zeit stand ich staunend vor ihr. Endlich hatten wir sie gefunden. Die kleine Meerjungfrau im Hafenbecken von Kopenhagen. Gerade mal 1,25 m groß. Nationalsymbol von Dänemark. „Mickrig ist sie“ – hatte mich ein Freund schon vorgewarnt. Meine Tochter und ich hätten sie tatsächlich fast übersehen. Keine breiten Boulevards führen zu ihr. Keine Imbissbuden und Souvenirstände säumen ihren Weg. Weit und breit niemand zu sehen. Alles ganz ruhig – außer dem Geschrei einiger Möwen und dem Plätschern der Wellen.

Mickrig fanden wir sie nicht. Eher zart, anmutig, versonnen, gedankenverloren. Eine große Ruhe ausstrahlend. Schön anzusehen auch, wie sie da hockte auf den großen Steinen. Ich musste daran denken, wie ich in Paris zum ersten Mal unter dem Eiffelturm stand und meinen Kopf in den Nacken warf. Was für eine Wucht, was für eine Größe. 330 m hoch ist dieses Eisen-Monument, das bekannteste Wahrzeichen von Frankreich.

Auch mein erster Blick auf das Brandenburger Tor in der damals noch geteilten Stadt Berlin kam mir in den Sinn. Ich war dreizehn, als mich mein Vater zum ersten Mal mit nach Westberlin nahm. Was für ein monumentales Tor! Der preußische König Friedrich Wilhelm II. ließ es 1789 am Ende der Prachtstraße „Unter den Linden“ errichten. Prunkvolle Paraden mit vielen Rossen und ihren Reitern…, ich konnte mir das lebhaft vorstellen.

Hier im Hafen von Kopenhagen nun eine kleine Märchenfigur. Mehr Frau als Mann, aber schlussendlich gar nicht ganz von dieser Welt. Der Dichter Hans Christian Andersen erzählt ihre tragische Geschichte: Als jüngste von sechs Meerestöchtern lebt sie unglücklich am Grunde des Meeres in einem Wasserschloss und sehnt sich nach einem Leben auf der Erde. Sie träumt von dem Duft der Blumen auf der Erde und „dass die Fische, die man dort zwischen den Bäumen sah, so laut und herrlich singen könnten, dass es eine Lust sei.“

Die Geschichte endet tragisch. Ihre Liebe zu einem irdischen Prinzen wird nicht erwidert, obwohl sie für ihn sogar Menschengestalt annimmt. Als er sich mit einer anderen Frau vermählt, stirbt die Meerjungfrau und löst sich in Schaum auf. 1913 wird sie am Rande des Hafens von Kopenhagen wiederaufgebaut, nun in Bronze gegossen und eroberte seitdem die Herzen von Menschen in aller Welt.

Nationale Symbole können Macht, Prunk und (Mannes-) Kraft ausstrahlen. Die meisten tun genau das. Aber sie müssen es nicht. Sie können auch sehr klein sein und Anmut, Ruhe und Nachdenklichkeit verkörpern. Sie können Geschichten erzählen wie diese: Von einem Wesen, das am Meeresgrund lebt, aber diese Erde über alles liebt: Den Duft der Blumen und den Gesang der Vögel.

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