Wohlfühlatmosphäre in einer anderen Welt In Südtirol ist die Mehrheit zufrieden mit dem Autonomiestatut

Genau sechzig Jahre ist es her, als in Südtirol der Terror eskalierte. Heute kann sich kaum jemand vorstellen, dass Bombenattentate verübt wurden, weil der deutschsprachigen und ladinischen Bevölkerung in der Region im Norden Italiens wesentliche Rechte verwehrt wurden.

Erst Ende der 60er Jahre bahnte sich eine politische Lösung an. Mit dem 1972 in Kraft getretenen neuen Autonomiestatut setzte eine Entwicklung ein, die aus der armen Unruheprovinz eine prosperierende Region machte, die zu einem bevorzugten Ziel deutscher Urlauber geworden ist.

Eigenständigkeit und kulturelle Kluft

Sie fühlen sich nicht fremd, weil hier Deutsch gesprochen wird. Andererseits ist man in wenigen Stunden in einer anderen Welt – nicht nur wegen der imponierenden Bergwelt, sondern auch wegen des gelingenden Zusammenlebens der italienischen, deutschen und ladinischen Bevölkerung. Hier herrscht ein anderer Lebensrhythmus. Trotz immer moderner und ausgefeilter werdender Urlaubswelt sind im Alltag noch die Aufgeschlossenheit und eine gewisse Ursprünglichkeit der einheimischen Bevölkerung zu spüren.

Franz Pfeifhofer schätzt die Autonomie. Mit seiner Partnerin Irmgard Windegger bewirtschaftet er den Zollweghof, dieser liegt oberhalb von Lana am Eingang zum Ultental unweit von Meran. Pfeifhofer lobt das Autonomiestatut. Im Gegensatz zu früher, gebe es keinerlei Nachteile für die deutschsprachige Bevölkerung. Die kulturelle Kluft zu den italienischen Bewohnern bezeichnet der Weinbauer jedoch immer noch als enorm. Trotz allen Unterschieden befürwortet die Mehrheit die Autonomie wie Pfeifhofer. Es herrsche große Zufriedenheit mit dieser Form der Eigenständigkeit innerhalb Italiens. Politiker sprechen immer wieder von der Chance, im Kleinen das Muster eines zukünftigen Europas zu bauen.

Urlaub im Weinanbaugebiet

Diese gegenseitige Bereicherung der Kulturen ist in Südtirol sicherlich einer der Faktoren, der für eine Wohlfühlatmosphäre der Urlaubsgäste sorgt. Intensiv landwirtschaftlich genutzt werden Täler und Hänge von Apfel- und Weinbauern. Der 1346 urkundlich erstmals erwähnte Zollweghof ist seit 1935 in Familienbesitz und wird jetzt biodynamisch bewirtschaftet. Auf etwa zwei Hektar werden pilzresistente Sorten angebaut. Im 700 Jahre alten Weinkeller lagern die Weiß-, Rot-, Rosé- und Schaumweine, die aus ungewöhnlichen Rebsorten gekeltert wurden. Jeden Donnerstag um 16 Uhr bietet der Zollweghof Weinberg- und Kellerführungen mit Weinverkostung an, bei denen man einiges über die Unterschiede zwischen biologischem und biodynamischem Anbau lernen kann, aber auch Interessantes aus dem Alltag eines traditionsbewussten Weinbauern erfährt.

Weinbauer mit Flasche und Glas
Foto: © rh2010, Adobe Stock

Zur Weinernte im Herbst ist in Südtirol die bei Urlaubern gefragte Törggelen-Zeit im Oktober und November. Dies ist eine der bekanntesten Traditionen in der Region. Während der Erntezeit wurde nach getaner Arbeit gefeiert und der neue Wein verkostet. Längst ist die Tradition zum Touristenevent geworden. In Weinkellern und Lokalen sitzen Deutsche, Italiener und Schweizer bei deftigem Essen und Hauswein zusammen. Außerdem werden überall geröstete Kastanien angeboten. Die essbaren Edelkastanien heißen Kestn und sind eine der Südtiroler Spezialitäten.

Trotz allem Kommerz ziehen die Landschaft und die Natur die Urlauber immer wieder in ihren Bann. Denn ein Großteil der Fläche besteht aus Bergen und hochgelegenen Gipfeln. Mehr als 60 Prozent des Landes mit einer Fläche von gerade einmal 740.000 Hektar liegen über 1.600 Meter hoch. Rund 350 Berggipfel sind höher als 3.000 Meter. Der höchste ist der Ortler mit 3.905 Metern. Als Hauptattraktion gelten die Dolomiten. Das sind hoch aufragende Kalkberge mit senkrechten Wänden, eine Herausforderung für jeden Bergsteiger.

Zwischen Komfort und Bescheidenheit

Der Tourismus hat das kleine Land stark verändert. Der Trend geht zu Komfort und Wellness. Nicht nur die Hotels haben in den vergangenen Jahren aufgerüstet und Wellnesslandschaften ausgebaut, auch immer mehr Pensionen und Ferienhöfe bieten Urlaub mit Pool und Sauna an. Der Gasthof mit einfachen Zimmern wird immer seltener.

Herta Dissertori betreibt in Tramin noch nach traditioneller Art einen Ferienhof mit einer Ferienwohnung und Zimmern mit Frühstück. Sie stammt aus einer Hoteliersfamilie. Mit ihrem Mann bewirtschaftet sie ein Weingut. Der elterliche Betrieb, das Hotel Claus in Vahrn bei Brixen, ist längst zum Vier-Sterne-Hotel ausgebaut worden. Genauso wie viele andere Hotels, ein weiteres Beispiel ist das Blumenhotel in Schenna oberhalb von Meran, das sich mit seinen feinen Abendmenüs einen Namen als Genusshotel gemacht hat.

Die Kinder von Herta Dissertori wollen die einfache Frühstückspension umwandeln in moderne und komfortable Ferienwohnungen. Den Trend zu immer mehr Luxus verfolgt die Gastgeberin mit einer gewissen Skepsis. Sie weiß nicht, ob das alles mit dem Ziel zu mehr nachhaltigem Wirtschaften vereinbar ist. Sie spricht sich für mehr Bescheidenheit aus. Sie selbst gibt sich mit Wenigem zufrieden.

Für mehr Bescheidenheit und weniger Konsum plädiert auch Franz Pfeifhofer. Er hat sich bewusst für die Mitgliedschaft bei Demeter entschieden, wenn er auch nicht alle Ansichten der Anthroposophie übernimmt. Für dringend notwendig hält er ein Wirtschaften im Einklang mit der Natur und eine Abkehr vom Fetisch des Immer-Mehr. Es dürfe sich nicht alles um Geld drehen, vielmehr müsse das Menschliche im Mittelpunkt stehen.

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