Wach bleiben, digitale Kirche! Kolumne

6:15 Uhr. Unbarmherzig klingelt mein Wecker. Ich drücke auf die Snooze-Taste. Nochmal fünf Minuten Ruhe, bevor der Alltag losgeht. Nochmal kurz zurück ins Land der Träume. Doch man kann es auch übertreiben mit der Snooze-Taste. Dann ist es plötzlich viel zu spät, alles wird hektisch: kein guter Start in den Tag.

Wenn ich an die digitale Kirche denke, dann fällt mir die Snooze-Taste ein. Die digitale Kirche war mal wach, aufgeweckt durch die Covid-Pandemie. Äußere Zwänge haben die Kirche dazu genötigt, endlich digitaler zu werden. Gestreamte Gottesdienste, digitale Seelsorge, Vorträge und Gemeindeveranstaltungen per Zoom. Viele Haupt- und Ehrenamtliche haben Zeit und Energie investiert, technisches Equipment wurde angeschafft. So viel war plötzlich möglich, was lange undenkbar war.

Doch die digitale Kirche droht einzuschlafen. Wieder und wieder wird die Snooze-Taste gedrückt. Gehen Sie mal auf YouTube und suchen Sie nach aktuellen Gottesdiensten! Es gibt kaum noch Gemeinden, die ihre Gottesdienste regelmäßig streamen und digital verfügbar machen. Diese Lücke wird von anderen gefüllt: Unter den ersten zehn Suchergebnissen finde ich allein viermal den unsäglichen Hassprediger aus Bremen, Olaf Latzel.

Natürlich kann ich es nachvollziehen, dass durch die Gemeinden ein buchstäbliches Aufatmen ging, als man die Masken endlich abziehen konnte, wieder gemeinsam feiern, singen und sich treffen konnte. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass die reale, ›analoge‹ Begegnung nicht durch digitale Formate ersetzt werden kann.

Doch diese Erleichterung darf nicht übergehen in ein „Alles wieder so wie früher“. Denn im Verharren im Analogen liegt m.E. einer der Gründe, warum es Kirche heute so schwer hat, Menschen zu erreichen. Hat sich doch durch die fortschreitende Digitalisierung ein erheblicher Teil gesellschaftlichen Lebens in den Raum des Digitalen verlagert. Durch die digitalen Angebote ist es den Gemeinden während der Pandemie gelungen, Menschen anzusprechen, die im analogen Gemeindeleben nicht oder nicht mehr vorkamen. Ich denke hier an die Senioren mit eingeschränkter Mobilität, die sehr dankbar waren, durch digitale Angebote wieder an ihrem vertrauten Gemeindegottesdienst teilnehmen zu können. Ich denke aber auch an die jüngere Generation, die mit digitalen Medien und in sozialen Netzwerken aufgewachsen ist. Kurzum: Ich denke an an all jene Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen gerne die digitalen Formate ihrer Gemeinden genutzt haben und dies nun nicht mehr können. Die digitale Kirche hat Barrieren abgebaut und für mehr Inklusion gesorgt.

Es wäre fatal, würde Kirche sich wieder aus dem digitalen Raum zurückziehen. Ich habe meine Zweifel, ob es der richtige Weg ist, nun einige Sonderstellen für digitale Kirche zu schaffen, zumindest wenn man meint, damit die Gemeinden aus ihrer Verantwortung zu entlassen, selbst digitaler zu werden. Zukunftsfähige Gemeindearbeit sollte heute hybrid sein, d.h. analoge und digitale Formate anbieten: Wir sind als Kirche dazu aufgerufen, den Menschen dort zu begegnen und mit ihnen in eine religiöse Kommunikation zu treten, wo sie sich aufhalten – und das ist heute nun mal verstärkt der digitale Raum.

Also, digitale Kirche: Wach bleiben! Und Finger weg von der Snooze-Taste!

 

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