Wir sind nicht nur Gäste Bibel und Bild zur Losung des 1. September 2018

Einen Fremden sollst du nicht quälen. Denn ihr wisst, wie dem Fremden zumute ist, seid ihr doch selbst Fremde gewesen im Land Ägypten (2. Mose 23,9).

Wir sind in Italien mit dem Auto unterwegs, nur noch 100 km bis zum Urlaubsort. Vor einer Stunde haben wir noch Pizza und Pasta bei einer Pause genossen und uns fröhlich mit „Arrivederci“ verabschiedet. Wir schauen uns während der Fahrt um, genießen die unbekannte Landschaft, freuen uns auf sorgenfreie Tage – und dann passiert es: Ich nehme jemandem die Vorfahrt, es kracht und so endet zunächst mit Blechschaden unser Urlaub, bevor er richtig angefangen hat. Eilig kommen Passanten hinzu, es wird wild gestikuliert… und wir verstehen kein Wort. Schlagartig haben Unsicherheit und Verzweiflung die Urlaubsstimmung verdrängt.

Es macht einen Unterschied, ob ich im Ausland lebe oder nur als Tourist unterwegs bin. Im Urlaub mache ich fast ausschließlich positive Erfahrungen in der Fremde und bewundere oft die Herzlichkeit und Gastfreundschaft, die mir – auch über sprachliche und kulturelle Grenzen hinweg – begegnet. Erst in Ausnahmesituationen komme ich an meine eigenen Grenzen.

Aber was geschieht, wenn ich in der Fremde leben muss, da ich die Heimat, meine Arbeit und gar meine Familie verloren habe und angewiesen bin auf das Entgegenkommen fremder Mitmenschen? In Deutschland wird seit der Flüchtlingskrise 2015 die Diskussion laut und intensiv geführt. Fremdenfeindlichkeit und Willkommenskultur treffen hart aufeinander. Es geht um die eigene Identität und um die Werte unserer Gesellschaft.

Die Tageslosung aus dem Buch Exodus ist formuliert wie eines der Zehn Gebote und war damals so aktuell wie es auch oder gerade heute ist. Gegen die Fremdenfeindlichkeit von einst wird hier auf die Rechte eines sozial benachteiligten Fremden hingewiesen. Begründet wird der Schutz des Schwachen mit der Empathiefähigkeit, die das Volk Israel geprägt von der einstigen Gefangenschaft in Ägypten aufbringen kann. Zur kollektiven Erinnerung des jüdischen Volkes gehören die Josephsgeschichte, der Exodus aus Ägypten, das babylonische Exil und bis heute der Kampf um ein Existenzrecht.

Wissen wir, „wie dem Fremden zumute ist“? An einer italienischen Kreuzung gestrandet, bekomme ich vielleicht für ein, zwei Stunden eine Ahnung davon, was unverständliche Behördengänge und Sprachbarrieren bedeuten mögen und welche Sorgen bei der Suche und Wahrung meiner eigenen Rechte bestehen. Doch ist es kaum vorstellbar, in einem fremden Land keine Bürgerrechte mehr zu haben und meiner Hoffnungen beraubt zu sein.

Auch wenn es schwierig ist, möchte ich den Fremden menschlich begegnen, für ihre Rechte einstehen und so gemeinsam mit den Schwachen meine Stimme erheben. Die christlich gebotene Nächstenliebe gilt ausdrücklich auch dem Fremden. Im politischen Diskurs wie im Handeln vor Ort, im Gespräch unter Freunden oder spontan im Falle eines Unfalls – ich bin gefragt in einer Welt, die eben nicht national bestimmt, sondern von Gott geschaffen ist und in der ich als Christ Verantwortung übernehmen darf.

Denn ich bin nicht nur Gast auf dieser Erde, sondern kann für jeden Mitmenschen auch zum Gastgeber werden.

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