500 Jahre „Septembertestament“ Wie die Bibel zum Bestseller wurde

Unter dem Titel „Das Newe Testament Deutzsch“ und ohne Angabe des Verfassers erschien im September 1522 in Wittenberg ein Bestseller: Das erste gedruckte Neue Testament in der Übersetzung Martin Luthers, Meisterwerk und Medienereignis zugleich.

Eingebunden war diese „Neuerscheinung“, die gerade rechtzeitig zur Frankfurter Buchmesse 1522 auf den Markt kam, in die großen Ereignisse der Geschichte. Seit 1517 befand sich der Wittenberger Augustiner-Eremiten-Mönch und Theologieprofessor Martin Luther im Konflikt mit der Kirche. Auf dem Reichstag zu Worms im April 1521 hatte Luther vor Kaiser Karl V. bestätigt, seine Lehre nicht zu widerrufen, solange ihn weder die Heilige Schrift noch sein Gewissen davon überzeugen könnten. So wurde über Luther nicht nur der Kirchenbann, sondern auch die Reichsacht verhängt.

Kurfürst Friedrich der Weise von Sachsen hatte Luther auf dem Rückweg von Worms scheinbar entführen und auf die Wartburg bei Eisenach bringen lassen, wo dieser unerkannt als „Junker Jörg“ lebte. Als Luther nach etwa sieben Monaten für wenige Tage heimlich nach Wittenberg reiste, empfahl ihm sein Professorenkollege Philipp Melanchthon, die Zeit doch für eine Übersetzung des Neuen Testaments zu nutzen. Zwischen Dezember 1521 und Februar 1522 entstand dann in einer Rekordzeit von nur elf Wochen die Rohfassung dieser Übersetzung. Nach Luthers Rückkehr nach Wittenberg im März 1522 wurde diese mit Kollegen durchgesehen und für den Druck vorbereitet.

Die Start-Auflage von wohl 3.000 Stück war umgehend vergriffen – trotz des hohen Preises von einem halben Gulden. So viel bezahlte man in dieser Zeit für zwei Ochsen. Bereits im Dezember des gleichen Jahres wurde ein Nachdruck in zweiter verbesserter Auflage notwendig, das sog. „Dezembertestament“. Es sollten in den folgenden dreizehn Jahren bis zum Erscheinen der vollständigen Bibel im Jahr 1534 insgesamt 87 Drucke des „Neuen Testaments Deutsch“ folgen.

Luther als Bibelübersetzer

Martin Luther war weder der erste noch der einzige, der die Bibel ins Deutsche übersetzte. Zwischen 1466 und 1521 waren achtzehn verschiedene deutsche Bibelausgaben in gedruckter Form erschienen. Bereits zuvor waren handschriftliche Fassungen von deutschen Bibeltexten im Umlauf, teilweise „Historienbibeln“ mit ausgewählten biblischen Geschichten oder auch Evangelienharmonien. Die vorlutherischen Bibeldrucke sind unter dem Namen ihres Verlegers oder Verlagsortes bekannt. Den Anfang machte 1466 die „Mentelin-Bibel“ aus Straßburg, weit verbreitet war die in Augsburg 1475 und 1477 gedruckte „Zainer-Bibel“ oder die in Nürnberg 1483 gedruckte „Koberger-Bibel“, von der auch Martin Luther ein Exemplar besessen haben soll.

Während diese Bibeln sich bemühten, im Deutschen die Reihenfolge der Wörter im Lateinischen wiederzugeben, bestand die sprachliche Leistung Martin Luthers darin, dem Sinn den Vorrang gegenüber einer wortwörtlichen Übersetzung zu geben. Dazu kam das Bemühen, den Bibeltext treffend und einprägsam, jedenfalls aber verständlich, zur Sprache zu bringen. Luther selbst sprach davon, dass man den Menschen „aufs Maul schauen“ solle, damit sie eine Übersetzung auch verstehen können.

Martin Luther war nicht der erste, der die Bibel ins Deutsche übersetzte.

Formal unterschied sich Luthers Bibelübersetzung von früheren Übersetzungen auch dadurch, dass nicht mehr der lateinische Bibeltext die Grundlage der Übersetzung bildete, sondern auf den griechischen Text in der wissenschaftlichen Ausgabe des Erasmus von Rotterdam, die 1516 erstmals erschienen war, zurückgegriffen wurde. In der Forschung wurde allerdings zuweilen diskutiert, wie gut Luthers Griechisch-Kenntnisse wirklich gewesen seien, und ob ihn nicht neben dem griechischen Neuen Testament doch die vertraute lateinische Fassung der Vulgata beeinflusst habe.

Jedenfalls sollte Bibelübersetzung für Luther ein höchst dynamischer Prozess sein: Zeit seines Lebens arbeitete er gemeinsam mit Professoren-Kollegen und Weggefährten daran, seine Bibelübersetzung weiter zu verbessern, damit die Bedeutung des Textes treffender und genauer, aber auch verständlicher wurde.

Bibel und Bildung

Mit der Reformation und deren Anliegen, dass jeder Christ und jede Christin selbst in der Bibel lesen solle, war auch die Forderung nach dem Aufbau und Ausbau des allgemeinen Schulwesens verbunden. Idealerweise sollte jedes Kind lesen und schreiben lernen, um die Bibel lesen zu können. Bildung und Herzensbildung, so könnte man sagen, gehörten für die Reformation zusammen. Die Alphabetisierung weiter Teile der Bevölkerung ist ein bleibendes Verdienst der Reformation – ein Anliegen, das übrigens auch die Gegenreformation gerne aufgenommen hat.

Charakteristisch für das Septembertestament waren Martin Luthers „Vorrede zum Neuen Testament“ sowie Vorreden zu zahlreichen einzelnen Büchern des Neuen Testaments. Ebenso gab es Worterklärungen, Querverweise und ähnliche Angaben, die das Lesen der Bibel erleichtern und die Leser in besonderer Weise auf die Botschaft der Bibel hinweisen sollten. Luthers Septembertestament ist daher auch ein Spiegel seiner Theologie und seines Bibelverständnisses. Einige der Schriften des Neuen Testaments schätzt er weniger als andere. Rechenschaft darüber gibt er in seinem dem Bibeltext vorangestellten Kapitel „Welches die rechten und edelsten Bücher des Neuen Testaments sind“. Den Hebräerbrief und den Jakobusbrief ordnet er mit dem Judasbrief und der Offenbarung des Johannes ans Ende des Neuen Testaments – und gibt diesen vier letzten Büchern im fortlaufend nummerierten Inhaltsverzeichnis keine Nummer.

Das Septembertestament ist ein Spiegel von Luthers Theologie und seines Bibelverständnisses.

Luther betont in seiner Vorrede zum Neuen Testament, dass es eine Mitte der Schrift gebe, ein Evangelium von Gottes rettender und befreiender Gnade in Jesus Christus, von dem die neutestamentlichen Schriften in unterschiedlicher Weise und Dichte Zeugnis geben. Besonders schätzte er dabei das Johannesevangelium, die Briefe des Apostels Paulus und den ersten Brief des Petrus. Für Luthers Geschmack enthielten die Evangelien nach Matthäus, Markus und Lukas zu viele Wunderberichte aus dem Leben Jesu. Vom Römerbrief kann Luther sogar sagen, er sei „das rechte Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium“. Diesen Brief solle jeder Christ auswendig können und ihn als „tägliches Brot der Seele“ betrachten.

Medien und Kommunikation

Ohne die geniale und bahnbrechende Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg wäre der Erfolg des Septembertestaments nicht möglich gewesen. Gutenberg hatte im Jahr 1452/53 in Mainz als erstes Buch eine (lateinische) Bibel gedruckt. Diese Erfindung ermöglichte überhaupt die Bibelverbreitung in größerem Stil und zu einem wesentlich günstigeren Preis als es zuvor jemals vorstellbar gewesen wäre. Allerdings kostete die vollständige Lutherbibel im Jahr 1534 noch zwei Gulden und acht Groschen; das entspricht etwa sechs Wochenlöhnen eines Handwerksgesellen.

In der Wittenberger Werkstatt Lucas Cranachs des Älteren entstanden für das Septembertestament 21 ganzseitige Holzschnitte – alle zum letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes. Darüber hinaus findet sich am Beginn jeder neutestamentlichen Schrift eine Schmuckinitiale. Wohlhabende Besitzer eines Septembertestaments konnten die schwarz-weißen Holzschnitte noch nachträglich kolorieren lassen.

Vorbild für bibelgesellschaftliche Arbeit

Eines der zentralen Anliegen der Reformation war, die Bibel zugänglich zu machen. Diese Anliegen wird heute von den mehr als 150 Bibelgesellschaften in über 200 Ländern weitergetragen. Dabei wird diese Arbeit heute von allen Kirchen geschätzt und unterstützt. Schließlich ist das Verhältnis der Kirchen zueinander, vor allem aber das Verhältnis aller Kirchen zur Bibel, ein anderes als vor 500 Jahren: Alle Kirchen wissen sich heute in der Freude am Evangelium verbunden.

Weltweit arbeiten Bibelgesellschaften daran, die Bibel aus den Urtexten in möglichst alle Sprachen zu übersetzen, aber auch bestehende Übersetzungen laufend zu überarbeiten, damit diese wissenschaftlich genau und zugleich verständlich bleiben. Bibeldruck in Millionenauflagen ist eine zentrale wichtige Aufgabe, auch wenn neue Medien zusätzliche neue Wege der Bibelverbreitung eröffnen. Der Einsatz der Bibelgesellschaften für Alphabetisierung auf biblischer Basis wird weit über die christlichen Kirchen hinaus geschätzt. Hilfen zum persönlichen und gemeinschaftlichen Lesen der Bibel werden ebenso erarbeitet wie Bibeln für Kinder, aber auch besondere Ausgaben für spezielle Altersgruppen wie Kinder oder Zielgruppen wie Blinde und Sehbehinderte.

Luther sollte, durch seine Kritiker herausgefordert, im Jahr 1530 in einer Schrift darüber Rechenschaft geben, was das Besondere am Übersetzen der Bibel sei. Er hält fest, dass diese Aufgabe eine ganz besondere sei – und: „…es gehöret dazu ein recht fromm, treu, fleißig, furchtsam, christlich gelehrtes, erfahren, geübet Herz“.

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