Der Auftrag von Kirche ist, allen Menschen gut zu tun Chancen und Grenzen von Kasualagenturen

Mit den Kasualagenturen wollen die Landeskirchen weitere Zugangswege zu Taufe, Trauung und Bestattung öffnen und eine passgenaue Begleitung von Menschen in Lebensübergängen anbieten. Kritiker sehen hingegen die Gefahr, dass Kirche damit zum „Dienstleistungsbetrieb“ wird.

Kasualagenturen werden seit 2019 in verschiedenen Landeskirchen der EKD gegründet. Sie verstehen sich als Dienstleister einerseits für das kirchliche Personal und die Kirchengemeinden vor Ort, andererseits für die Menschen, „die sonst vielleicht nicht viel mit Kirche anfangen können“, so Susann Kachel vom Segensbüro in Berlin. Die bereits bestehenden Kasualagenturen st. moment in Hamburg, die Segen.Servicestelle in Bayern, das Segensbüro in Berlin und segensreich im Kirchenkreis Lübeck Lauenburg sind zugleich als Reaktion auf die seit Jahren rückläufige Zahl beanspruchter Kasualien zu verstehen. Taufe, Konfirmation, kirchliche Trauung und Bestattung sind als Übergangsrituale in den einzelnen Lebensgeschichten nicht mehr selbstverständlich. Wir haben mit den Verantwortlichen mehrerer Kasualagenturen über ihre Ziele und Erfahrungen gesprochen, um Chancen und Grenzen des neuen Angebots auszuloten.

Zwischen Vermittlungsstelle und Eventbüro

Als kirchliche Servicestellen sind Kasualagenturen entweder für eine Stadt oder eine ganze Region zuständig. In manchen arbeiten ausschließlich Pfarrer*innen, in anderen wiederum Teams aus Pfarrer*innen, Kirchenmusiker*innen und Marketingfachkräften. Ihre Aufgabe sehen Kasualagenturen einerseits darin, sich um konkrete Kasualanfragen zu kümmern, diese an Pfarrer*innen in den Ortsgemeinden weiterzuleiten oder die angefragten Kasualien selbst durchzuführen: „Zum Beispiel rufen Paare bei uns an oder schreiben uns eine E-Mail: ›Wir wollen auf der Winklmoos-Alm heiraten, habt ihr einen Pfarrer für uns?‹ Und dann gehen wir in Aktion“, beschreibt Karsten Schaller von der Segen.Servicestelle in Bayern den Alltag. Andererseits übernehmen Kasualagenturen auch eine beratende und unterstützende Funktion für Pfarrer*innen bspw. bei der Gestaltung traditioneller oder „neuer“ Kasualien: „Wenn bspw. ein Adoptionsritual ein Wunsch von einer Pfarrerin ist, dann entwickeln wir das auch, damit sie das durchführen kann.“

Kasualagenturen nehmen Trends zur individuellen biografiebezogenen Gestaltung nicht nur der traditionellen kirchlichen Kasualien, sondern auch „neuer“ Kasualien auf: „Dann haben wir Anfragen für ganz persönliche Segenswünsche, weil Menschen umziehen, weil ein Geburtstag ansteht, weil die Kinder ausgezogen sind, welcher Anlass auch immer im eigenen Leben wichtig ist und ein Segensritual passen würde“, so Kachel.

Ist das überhaupt heilig genug?

Manchen drängen sich hier Fragen auf wie: „Ist das überhaupt heilig genug? Verschleudert ihr nicht den Segen?“ Oder: Wo sind die Grenzen? Wird Kirche nicht zu einem unter vielen Dienstleistungsbetrieben, wenn sie bereitwillig jeden Wunsch erfüllt? Diesen Zweifeln hält Kachel entgegen: „Der Auftrag von Kirche ist, tatsächlich allen Menschen gut zu tun. […] Da sind wir ganz jesuanisch, da sind wir eher in der Bewegung unterwegs und nicht in der Institutionenlogik. In der biblischen Logik, die Jesus auch gelebt hat, geht es schließlich darum, zu den Menschen zu gehen und zu fragen: ›Was willst du, was ich dir Gutes tue?‹“

„Da haben wir wirklich etwas gewagt.“

In diesem Sinne sehen Kasualagenturen ihre Aufgaben auch im Aufspüren von Bedürfnissen und Wünschen von Menschen, „die auf der Suche sind“. Ein weiterer Zuständigkeitsbereich liegt in der Planung und Organisation von „Events oder Experimenten“. „Unser größtes Event war das Pop-Up-Hochzeitsfest letztes Jahr im Mai“, berichtet Kachel: „Da haben wir wirklich etwas gewagt. Kirchliche Trauungen haben die beiden Hürden, dass das Paar schon standesamtlich getraut und einer von beiden in der Kirche ist. Deswegen haben wir uns ein Ritual für Menschen überlegt, die verantwortungsvoll und in Liebe miteinander leben, die aber keine standesamtliche Trauung haben wollen, weil es nicht ihrem Liebesverständnis entspricht. Dann haben wir dieses Festival gefeiert mit den Segenshochzeiten. Wir haben am Abend 72 Paare verheiratet und gesegnet und waren schließlich selbst überrascht über diesen großen Andrang und das Interesse.“ Durch diese Großprojekte sollen nicht nur die Hürden zu kirchlichen Kasualien gesenkt, sondern auch „positive Narrative von Kirche“ verbreitet werden, so Schaller. Es geht also bei diesen Events ebenso wie bei der Präsenz auf Messen und bei der  Öffentlichkeitsarbeit auf unterschiedlichen Social-Media-Plattformen auch um Marketing.

Konkurrent oder Partner?

Kasualagenturen verstehen sich als Innovationsprojekte innerhalb der Kirche. Sie nehmen wahr, dass es für die meisten Menschen heute nicht mehr selbstverständlich ist, „in der Kirche zu sein und sich dem zugehörig zu fühlen.“ Viele wissen nicht mehr, zu welcher Gemeinde sie gehören, wer ihr Ansprechpartner ist und wo sie Informationen herbekommen. Manche haben auch schlicht nicht mehr das Bedürfnis, in Kirchengemeinden regelmäßig Gemeinschaft zu erleben, sehnen sich aber mitunter punktuell nach Verbundenheit. Kasualagenturen versuchen, gerade für diese Menschen Angebote zu schaffen und diejenigen anzusprechen, „die gar nicht in die Gemeinde kommen würden. Das ist ein Ergänzungsangebot für ein anderes Klientel sozusagen.“

Insbesondere in der Gründungsphase war jedoch Skepsis in einzelnen Ortsgemeinden spürbar, so Schaller. Kasualagenturen wurden mitunter als Konkurrenten wahrgenommen: „Da kommt eine Stelle von oben, die nimmt uns etwas weg.“, schildert Schaller eine Reaktion. „Inzwischen haben die Kolleg*innen aber entdeckt: Nein, wir vermitteln ja immer in die Gemeinden hinein. Wir sind eine Art Bindeglied und machen einen Lotsendienst. Mittlerweile gibt es viele Kollegen, die uns anfragen.“

Um das Verhältnis zwischen Ortsgemeinden und Kasualagenturen zu beschreiben, verwendet Schaller häufig das Bild eines Sees: „Kirchengemeinden sind für mich wie ein See mit einer großen Tiefe und Ruhe. Man kann sich tragen lassen in einer Kirchengemeinde. Aber es gibt eben auch Abflüsse und Zuflüsse, die wichtig sind. Das sind wir. Wir fließen sogar ins Land hinein, um Leute zu erreichen, die man als Kirchengemeinde, als See, vielleicht nicht erreicht.“ Kasualagenturen haben nach Schaller dabei andere Möglichkeiten, sind flexibler und freier als Kirchengemeinden vor Ort.

Es ist auch schön, sich als deutschlandweite Kirche wahrzunehmen.

Dieses „Mehr“ brauche es auch, denn Kirchen böten oft „den frischen Wein in alten Schläuchen“ an, so Schaller. Im Bild des Sees mit seinen Abflüssen und Zuflüssen wird nach Schaller aber noch ein weiterer Aspekt deutlich. Kasualagenturen vernetzen die Ortsgemeinden nicht nur in der Stadt oder in der Region, sondern über die landeskirchlichen Grenzen hinaus: „Es ist auch schön, sich als deutschlandweite Kirche wahrzunehmen. Das machen wir oft viel zu wenig.“

Fest steht: „Gesellschaft verändert sich und Kirche muss und sollte da mitgehen, um zeitgemäß zu bleiben.“ Dazu gehört nach Maia Nicklaus von st. moment auch, „Tabus auszuräumen und mit Befürchtungen zu brechen: ›Nee, du musst nicht jeden Sonntag in der Kirche gewesen sein, damit wir dein Kind taufen oder dich trauen. Wir machen die Arme weit auf und sagen: Straight oder Queer das ist uns total egal. Da musst du keine Sorge haben.‹ Es geht darum, nicht streng, sondern zugewandt zu sein. So verändert sich Kirche bzw. so muss sie sich verändern.“

Fazit

Kirche hat die Aufgabe, sich an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder zu orientieren und Zugänge auch für Nicht-Mitglieder zu erschließen, die es ermöglichen, mit der individuellen Religiosität punktuell anzudocken. Doch beschränkt sie sich auf ihre Dienstleistungsangebote und versteht sich Kirche zunehmend als Dienstleistungsunternehmen, droht sie nicht nur Außenwirkung auf Kosten von Inhalten zu erzielen, sondern auch die Gemeinden als „Orte für die Einübung christlicher Lebenskunst“ – so eine Formulierung der Praktischen Theologin Isolde Karle in Anlehnung an Wilfried Engemann – aus den Augen zu verlieren. Kasualagenturen können vor diesem Hintergrund vor allem dann eine Chance für Kirche sein, wenn sie mit den Gemeinden und Pfarrer*innen vor Ort kooperieren, als überregionale Ansprechpartner*innen für Kasualanfragen Präsenz zeigen, koordinierend, unterstützend und vernetzend über die parochiale Struktur hinaus agieren und dabei nicht nur Möglichkeiten, sondern auch Grenzen der eigenen Praxis reflektieren.

Wir danken Susann Kachel vom Segensbüro in Berlin, Maia Nicklaus von st.moment in Hamburg und Karsten Schaller von der Segen.Servicestelle in Bayern für die zugrundeliegenden Interviews.

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