Der verbotene Tod Wie wir den Tod totschweigen und welchen Lebensimpuls er enthält

Wenn es den Tod nicht gäbe, wäre das Leben keinen Schuss Pulver wert. Ein altes Sprichwort. Zukunftsmusik: Der im Silicon Valley geträumte Posthumanismus einer Unsterblichkeit als Cyborg. Die Vollendung unserer Existenz ist ein die Zeiten übergreifendes Thema – auch der Theologie.

Er ist der große Unbekannte. Gerne verdrängt. Vielfach besungen. Meistens gefürchtet. Manchmal herbeigesehnt. Der Tod. Sein Verständnis unterliegt dem Wandel der Zeiten. Die Sterblichkeit hat uns seit Anbeginn der Geschichte verfolgt. Vor viertausend Jahren reflektierte der babylonische Held Gilgamesch den Tod seines Freundes Enkidu folgendermaßen: „Du bist dunkel geworden und kannst mich nicht hören. Werde ich nicht wie Enkidu sein, wenn ich sterbe? Trauer ergreift mein Herz. Ich fürchte mich vor dem Tod.“

Todesfurcht sei die Mutter aller Religionen, sagen manche, die auf die eine oder andere Weise versuchen, die Pein unserer Endlichkeit in Schranken zu halten. Gott, überkulturell formuliert, mildert häufig nicht nur den Schmerz der Sterblichkeit durch irgendeine Vision von ewigem Leben, sondern lindert auch die furchterregende Isolation durch die Option einer ewigen Präsenz und liefert einen klaren Plan für ein sinnvolles Leben.

Neue Ratlosigkeit gegenüber dem Tod

Trotz allem, wahrscheinlich ist keine Menschheit je dem Tod gegenüber so ratlos gewesen wie die heutige, vermutet der Philosoph und Naturwissenschaftler C.F. v. Weizsäcker. Es ist ja schon erstaunlich das Phänomen heute. Auf der einen Seite sind Sterben, Tod und Trauer Gegenstand einer vielschichtigen Diskussion geworden. Auf der anderen Seite wird in unserer Gesellschaft der Tod verdrängt, so getan und gelebt, als gebe es ihn nicht. Es scheint so zu sein, als hätte der Tod bei uns keinen Platz mehr. Lebensfreude und Konsum, was ja oft dasselbe ist, privates Glück und die eigene Karriere, dauerndes wirtschaftliches Wachstum – all das lässt die Gedanken an ein Ende wohl nicht mehr zu. Neu ist allerdings heute die Vorstellung bei der jüngeren Generation an ein kollektives Ende für alles Leben, bedingt durch den Klimawandel, herbeigeführt durch den Menschen, der dabei ist seine eigenen Lebensgrundlagen zu zerstören.

Aber nicht nur in unseren Lebensentwürfen spielt der Tod kaum noch eine Rolle – er hat auch im wahrsten Sinne des Wortes keinen Raum mehr in unseren Wohnungen und Familien. Gestorben wird fast nur im Krankenhaus, in den Großstädten mehr als auf dem Lande. Aber schon immer haben sich die Einstellung zum Tod und natürlich auch der Umgang mit ihm geändert.

Der Tod in der Antike – souverän sterben

Über die Todesvorstellungen antiker Kulturen geben vor allem die Begräbnisorte der Herrschenden und die erforschten Rituale im Umgang mit deren Tod Auskunft. Die Bestattungszeremonien waren aufwändig und selbst noch einmal Zeichen der Machtdemonstration im Tode. Die Bewahrung des Leichnams und seine Versorgung mit „lebensnotwendigen“ Gütern weist darauf hin, dass die Vorstellung der Totenwelt als Analogie zur Welt der Lebenden und bis zu einem gewissen Grad auch ihrer sozialen Ordnung verstanden wurde. Weder macht der Tod alle gleich, noch sind alle gleich im Tod. Schon in der Antike spielt die Frage nach der Selbstbestimmung angesichts des Todes eine Rolle. Als weise galt der, der souverän mit seinem eigenen Sterben umgehen konnte. Charakteristisch für diese gelassene Haltung ist die Todesdeutung Epikurs (4. Jhd. vor Christus): „Der Tod geht mich nichts an. Solange ich bin, ist der Tod nicht. Wenn der Tod ist, bin ich nicht.“

Die Allgegenwart des Todes im Mittelalter und die Ars moriendi

Bis zum frühen Mittelalter galt der Tod als Übergang in eine bessere Welt. Diese Überzeugung, genährt aus der christlichen Auferstehungshoffnung, ermöglichte eine Koexistenz mit dem Tod, die einen öffentlichen Umgang mit Sterben und Tod förderte. Die Katastrophen des Spätmittelalters – Kriege, Hungersnöte und Seuchen – führten zu einem Wandel. Der Tod wurde nun vornehmlich in seiner Lebensbedrohlichkeit erfahren. Zu jeder Zeit, unabhängig vom Alter.

Darum wurde es als dringlich empfunden, sich auf das eigene Sterben vorzubereiten. Es entwickelte sich eine „ars moriendi“ (Kunst des Sterbens). Ein Bestandteil dieser Sterbekunst war das „Memento mori“, die Aufforderung, sich stets seiner eigenen Sterblichkeit bewusst zu sein und in diesem Bewusstsein zu handeln. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden!“ Kulturelle Praxis wie der Totentanz oder die bildliche Darstellung des Todes als personifizierter Sensenmann zeigen die Vorstellung, dass man mit dem Tod „umging“ und dieser auch im Leben anwesend ist.

Neuzeit: Den Tod-Feind so gut wie möglich auf die lange Bank schieben

Im 20. Jahrhundert ist der Tod an den Rand des öffentlichen Bewusstseins gedrängt. Der sogenannte „verbotene Tod“ kennzeichnet heute den Geist der Zeit. Das Sterben findet weitgehend im Krankenhaus statt und wird der wissenschaftlichen Medizin überantwortet. Für den Arzt ist der Tod ein Feind, den es zu besiegen gilt. Entsprechend der Individualisierung und Privatisierung des bürgerlichen Lebens werden auch Sterben und Tod eine Familiensache. In der Literatur und Kunst wird die Auseinandersetzung mit dem Tod stärker emotionalisiert als innere Trauer des Individuums über die eigene Endlichkeit und als melancholische Todessehnsucht.

Die Patientenverfügung als Mittel der Selbstbestimmung

Wirtschaftliche und alltagspraktische Fragen bestimmen Formen von Bestattungszeremonien mit. Anonyme Bestattungen, Urnenwände, Friedwälder, Seebestattungen, Internetfriedhöfe ermöglichen eine neue Form, Trauer auszudrücken und sichtbar zu machen. Der Diskurs über das Sterben und den Tod wird stark durch ethische und rechtliche Fragen bestimmt, weil medizinisch-technische Möglichkeiten größer werden. Dem Willen des Einzelnen und der Bedeutung der selbstbestimmten Entscheidung (Patientenverfügung) kommen dementsprechend immer größere Bedeutung zu.

Charakteristikum der heutigen Zeit scheint der körperlose Umgang mit Sterben und Tod. Tote werden von Bestattungsunternehmen binnen weniger Stunden aus dem Umkreis der Lebenden genommen und Spezialisten übergeben in Krankenhäusern, Pflegeheimen und Hospizen.

Zum guten „Schluss“: nicht Auslöschung, sondern Vollendung

Die Theologie anerkennt den Tod nicht nur als unerbittliches Faktum, sondern sie hat stets versucht, dieses Faktum im Licht des Glaubens zu deuten. So glaubt der Christ, dass die letzte Vollendung seines Lebens bei Gott liegt. Die letzte Zukunft ist in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi bereits zugunsten des Menschen entschieden. Diese Hoffnung wider den Tod befreit zu einer Ethik der Lebensbejahung und der Weltverantwortung. Angesichts des Todes erschöpft sich die Aufgabe des Menschen nicht in der Sorge um das eigene Dasein und dessen Ende, sondern er soll sich in den Dienst des Lebens stellen im Engagement für die Nächsten, für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.

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