Die Zukunft liegt zuhause Bringt Corona die Abkehr vom Massentourismus?

Beobachter sprechen von einer Trendwende in der Reisebranche. Neben Corona verändert auch die Debatte über Klimafolgen und Overtourism das individuelle Reiseverhalten. Das eigene Zuhause wird wichtiger.

An dieser Stelle ist zu Beginn der vergangenen Jahre – meist im Zusammenhang mit der größten Publikumsmesse für Caravan, Motor und Touristik (CMT) in Stuttgart – die stetig wachsende Reiselust der Deutschen Thema gewesen. Corona hat dies schlagartig verändert, weil Reisen kaum noch möglich ist. In der Pandemie sind nur noch kleine Fluchten möglich, wie für die junge Stuttgarterin, die mit ihrer Tochter über den Jahreswechsel spontan nach Straßburg gefahren ist, um dort Silvester zu feiern. Sie wollte einfach einen Tapetenwechsel haben. In der französischen Stadt im Elsass waren wenigstens die Restaurants geöffnet – bis zur Ausgangssperre.

Wenn auch die Sehnsucht, mal wieder rauszukommen aus der vertrauten Umgebung während des so genannten Lockdown sicherlich wächst, scheint sich in Bezug auf das Reisen möglicherweise eine Trendwende anzubahnen. Weil die Menschen zu Hause bleiben mussten, haben immer mehr die Vorzüge des eigenen Heims und der näheren Umgebung entdeckt, was oft völlig aus dem Blick geraten war. Oft haben sich Reiselustige in fernen Ländern besser ausgekannt als zu Hause. Hat im Sommer noch der Heimaturlaub geboomt, sind es jetzt Ausflüge in die nähere Umgebung, einer Art Heimatkunde in neuem Gewand.

Ein Jahrzehnt des Zuhauses

Von einer geradezu epidemisch sich ausbreitenden Renovierungslust ist seit Beginn der Corona-Pandemie die Rede. Handwerksbetriebe sind zum Teil für das ganze Jahr ausgebucht. Als Cocooning beschreibt man den Rückzug in die eigenen vier Wände. Diese wird in eine Wohlfühloase verwandelt. „Je unkontrollierbarer sich das Leben außerhalb der eigenen vier Wände gestaltet, desto wichtiger wird der persönliche Ort des Rückzugs“, stellt die Trendforscherin Oona Horx-Strathern vom Zukunftsinstitut fest. Die Unternehmensberatung Accenture spricht sogar von einem „Jahrzehnt des Zuhauses“, die Covid-19 eingeläutet habe.

Das Unbehagen im öffentlichen Raum und beim Reisen sowie die wachsende finanzielle Unsicherheit würden die Menschen vor allem zu Hause halten. So lautet das Fazit einer Umfrage unter 8.800 Menschen in 20 Ländern, darunter Deutschland, Frankreich und die USA. Demnach gehen 69 Prozent der Befragten davon aus, dass ihr Sozialleben vor allem zu Hause, bei Freunden oder virtuell stattfinden werde. „Zuhause ist jetzt die neue Grenze – es ist zum Arbeitsplatz und Klassenzimmer geworden, zum Ort, an dem man neue Hobbys ausprobieren und an dem man unter Leuten sein kann, und ein Zufluchtsort – also müssen Unternehmen diese Realität berücksichtigen“, sagt Oliver Wright von Accenture.

Kurzfristige und grundlegende Verhaltensänderungen

Das eingesparte Urlaubsgeld wird in die eigenen vier Wände investiert. „Die Menschen wollen Komfort, Lifestyle und Wellness in ihrem Zuhause haben, immer verfügbar und virenfrei“, heißt es bei Riviera Pool, dem nach eigenen Angaben führenden deutschen Hersteller von Fertigschwimmbecken. Sein Unternehmen und andere Pool-Hersteller verzeichneten schon beim Ausbruch der Pandemie eine gestiegene Nachfrage bei Privatkunden. Diese kauften vorwiegend Kompaktpools in der Preiskategorie von 15.000 bis 20.000 Euro.

„Ob es zu grundlegenden Verhaltensänderungen kommt – wie zum Beispiel die stärkere Nutzung von Homeoffice, Verlangsamung oder größere Besinnlichkeit anstatt ständiges beschleunigtes Vorankommen – wird stark davon abhängen, wie und ob wir unseren Konsum und unsere Konsumerwartungen ändern oder nicht – und ob sich die Wirtschaft nach der Krise neu aufstellt“, sagt der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner. Eine solche Änderung wäre sicher im Sinne von Entwicklungsorganisationen, die schon lange den übermäßigen Konsum in den Industrieländern kritisieren. Das evangelische Hilfswerk Brot für die Welt beklagt, dass das ständige Streben nach mehr Wachstum zu Lasten armer Länder geht. Außerdem warnen sie, dass die Klimakrise weiter verschärft wird, nicht zuletzt durch die boomende Reisebranche.

Tourismus und Geschäftsreiseaufkommen im Wandel

Das Zukunftsinstitut verweist darauf, dass schon vor der Corona-Pandemie sich in der Reisebranche Krisensymptome gezeigt haben. „Die Reisebranche litt unter einem Vertrauens- und Imageverlust, der mit Insolvenzen begann und durch geopolitische Unsicherheiten zusätzlich genährt wurde. Zudem hatte die Debatte über Klimafolgen und Overtourism das individuelle Reiseverhalten signifikant verändert. Durch die zunehmende Verschmelzung von „Work“ und „Life“ und Trendphänomene wie „Workation“ befand sich auch das Geschäftsreiseaufkommen stark im Wandel“, heißt es in der Trendstudie „Die Welt nach Corona“ des Instituts.

Die Studie kommt zu dem Schluss, dass sich die Reisebranche ändern wird nach Corona. Zunächst werde der regionale Tourismus an Attraktivität gewinnen, weil kurze Wege und Naherholung ein Gefühl der Sicherheit vermitteln – ebenso wie vertraute Kulturkreise emotionale Sicherheit versprechen, wie es in der Studie weiter heißt. Doch auch überregionale Destinationen können profitieren, wenn sie hohe Standards garantieren können bei Gesundheitsversorgung und Transport.

Neue Reisekultur nach Corona

Nach Ansicht des Zukunftsinstituts wird die neue Reisekultur nach Corona insbesondere den Massentourismus verändern, in Teilen sogar vernichten. Nach einer kurzen Phase der Post-Shutdown-Euphorie, in der Spaß und Erlebnis gefeiert werden, wird eine Ernüchterung eintreten. Ziele werden bewusster und achtsamer gewählt. Ehemalige Erfolgsmodelle, auf die sich beispielsweise die Kreuzfahrtschiffindustrie gestützt hatte, werden sich in verschlankter Version neu aufstellen müssen, um das beschädigte Image zu reparieren.

Die Trendforscher sehen eine Abkehr vom Massentourismus. Statt stumpfer Wiederholung von Strand und Büffet werden andere Qualitäten gesucht, die nachhaltige Eindrücke hinterlassen. Die Rede ist von Beziehungserfahrungen in Destinationen, die neue Erfahrungen, menschliche Begegnungen und positive Emotionen versprechen. Reisen ist und bleibt jedoch nach Ansicht der Studie ein elementares menschliches Bedürfnis, daran werde auch die Corona-Krise nichts ändern.

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