Edgar Morin: Die sieben Fundamente des Wissens für eine Erziehung der Zukunft

Reinhold Krämer Verlag, Hamburg. 2. Auflage 2015, 145 Seiten, 19,80 Euro

Soll sich die Welt ändern – und das heißt: unsere Lebensstile und Verhaltensweisen –, dann muss sich die Erziehung ändern. Was also soll in Zukunft gelehrt werden? Das Verständnis (sechstes Fundament des Wissens), antwortet der französische Philosoph Edgar Morin. Seine Überlegungen werden, wie man in der Danksagung seines Buches erfährt, von Wissenschaftlern aus dem Spektrum der UNESCO sowohl geteilt als auch ergänzt. In der Erziehung zum menschlichen Verständnis träten Prozess und Ziel der Erziehung paradigmatisch in Erscheinung: „Das Verständnis zwischen den Menschen lehren als Bedingung und Garant für die intellektuelle und moralische Solidarität der Menschheit“ (vgl. evangelische aspekte 2/2015, Schwerpunkt: „Bildung“).

Während von Globalisierung meist in wirtschaftlichen Zusammenhängen als von einer irreversiblen und erwünschten Tatsache die Rede ist und diese wechselseitige Abhängigkeit als friedenstiftende Kraft bezeichnet wird, verweist Molin auf global zu gehende „intellektuelle und ethische Wege“, um am überlebenswichtigen Zielort einer solidarischen Menschheit anzukommen. Die derzeitige Politik münde in eine den Planeten vernichtende Sackgasse, sofern sie sich weiterhin auf die Technik und auf wirtschaftliches Wachstum reduziere. „Menschheit“ sei schon länger kein abstrakter oder bloß biologischer Begriff mehr, sondern sei vorrangig als ethischer Begriff zu verstehen: „Sie ist das, was von allen und in jedem einzelnen von uns verwirklicht werden muss.“

Dafür müsse eine Ethik der menschlichen Gattung (siebtes Fundament) verfolgt werden, in der konsequent von der (erkenntnistheoretischen) Einsicht ausgegangen werden müsse, dass alles in einem großen unauftrennlichen Ganzen bestehe und also „alle durch ein natürliches unmerkliches Band, das selbst die entferntesten und verschiedensten in einen Zusammenhang bringt, miteinander verbunden sind“ (zweites Fundament: Die Prinzipien einer umfassenden Erkenntnis). In der Ethik des Verstehens entfalte sich Morin zufolge eine Lebenskunst, „die zuerst von uns verlangt, auf uneigennützige Art und Weise zu verstehen.“ Ohne es zu sagen, erinnert Molin, Sohn sephardischer-jüdischer Eltern aus Thessaloniki, aktiv in der französischen Resistance gewesen und erklärter Atheist, an Ideen Jesu in der Bergpredigt wie die Feindesliebe, sofern diese nicht auf dem Grundsatz der Gegenseitigkeit basiert. „Derjenige, der durch einen Fanatiker mit dem Tod bedroht wird“, erläutert Molin, „versteht, warum der Fanatiker ihn töten will, wissend, dass dieser ihn nie verstehen wird. … Die Ethik des Verstehens verlangt von uns, die Verständnislosigkeit zu verstehen.“

Eine Erziehung der Zukunft könne dazu führen, dass die Menschen ihren „Egozentrismus“ hinter sich ließen und ein jederzeit selbstkritisches Selbstverständnis einnähmen. So gäbe es keine – auch keine wissenschaftliche – Erkenntnis, die sich daran klammern dürfe, nicht auf möglichem „Irrtum und Illusion“ (erstes Fundament: Die Blindheit der Erkenntnis) zu fußen. Das Aufgeben des Egozentrismus setze eine bestimmte Erkenntnis über die Grundbedingungen des Menschen (drittes Fundament) voraus: Weder Individuum noch Gesellschaft dürften sich zum Selbstzweck machen. Kapitel über Die irdische Identität lehren (Globalisierung verstehen als „das Auftauchen eines neuen Gegenstandes, die Welt als solche“) und Sich den Ungewissheiten stellen („wir leben in einer sich stark verändernden Zeit, wo die Werte ambivalent sind“) runden die sieben Fundamente des Wissens ab.

Ein sehr lesenswertes Buch, das den Diskurs um eine zukunftsweisende menschliche Ethik (Morin: „Anthropoethik“) beleuchtet – und, wie erfreulich – jedes in dieser Diskussion übliche Fremdwort garantiert erklärt!

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