Friedensethik – pulverisiert durch russische Bomben? Kolumne

„Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ – Nach den Erfahrungen des Zweiten Weltkrieges hielten die Kirchen bei der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948 diese theologische Eindeutigkeit für geboten. Zwar war es die ›kriegerische‹ Gewalt der Alliierten, die Voraussetzungen für einen friedlichen Neuanfang in Europa geschaffen hatte. Doch Sieger und Besiegte waren jetzt bewegt von der Einsicht Elie Wiesels: „Niemand von uns ist in der Lage, den Krieg auszurotten, aber unsere Pflicht ist es, ihn zu denunzieren und bloßzustellen in all seiner Abscheulichkeit. Krieg hinterlässt keine Sieger, nur Opfer.“

Gerade die deutschen Kirchen nahmen diesen pazifistischen Impuls ernst. Pazifismus war bis dahin ein Kennzeichen der klassischen Friedenskirchen und wurden von den großen Konfessionen abgelehnt. Jetzt aber wurden die Seligpreisungen der Bergpredigt für die evangelische Friedensethik grundlegend – auch in der EKD.

Hat sich dieser friedensethische Neuansatz als illusionär herausgestellt? Theologische Wortmeldungen nach dem Überfall der russischen Armee auf die Ukraine am 24. Februar 2022 behaupten, dass etwa die EKD vor den Trümmern ihrer Friedensethik stehe. War es also falsch, während der Zeit des kalten Krieges den Rüstungswettlauf kritisch zu sehen oder sogar für ein „Frieden schaffen ohne Waffen“ einzutreten? War es unrealistisch, die Drohung mit der Möglichkeit einer gegenseitigen atomaren Vernichtung für auf Dauer zu gefährlich zu halten? War es illusionär, nach dem Ende des „Kalten Krieges“, auf eine durchsetzungsfähige Rechtsbindung militärischer Gewalt zu drängen, so dass deren Anwendung sich von einer militärischen Logik hin zu einer polizeilichen Logik entwickelt?

Ist also die Friedensdenkschrift der EKD von 2007 mit dem Titel „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen“ obsolet geworden, pulverisiert durch russische Bomben? Ich sehe das nicht so.

Die Wertschätzung pazifistischer Impulse bleibt theologisch geboten. Allerdings müssen wir heute – wie die Alliierten im Zeiten Weltkrieg – realpolitisch feststellen: Auf militärische Gewalt gegen einen Aggressor, der Wahrheit und Recht missachtet und Kriegsverbrechen bewusst einsetzt, können Staaten- und Bündnisgemeinschaften nicht verzichten. Eine Armee, zumal eine Parlamentsarmee, für den Verteidigungsfall militärisch auszurüsten, ist realpolitisch ›richtig‹. Ob auch ›gut‹ muss sich im Ernstfall zeigen.

Die Aufgabe evangelischer Friedensethik bleibt es, vor dem Kurzschluss zu warnen: Mit Hilfe einer überlegenen konventionellen Waffentechnik sei gerechter Friede zu erreichen. In-Schach-Halten und Abschrecken kann ich nicht ›Frieden‹ nennen. Militärische Gewalt kann Atempausen verschaffen, um sich über Friedensbedingungen zu verständigen. Ein nachhaltiger Friede muss von allen Beteiligten gewollt sein, er muss den Menschen in dem umkämpften Gebiet Sicherheit, Entwicklung und Freiheit ermöglichen. All das entspricht der Logik der von der EKD vertretenen Friedensethik. Sie wird durch den Krieg in der Ukraine realpolitisch in Frage gestellt – wohl wahr! Aber falsch wird sie dadurch nicht!

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