Gerald Wagner: Dabeigewesen Ein Versuch über den Stolz

Konstanz University Press, 2020, 146 Seiten, 18,00 EUR, E-Book 14,99 EUR

Es eine Gelegenheitsschrift zu nennen, würde diesem Büchlein nicht gerecht. Zumal sich der Anlass schäbig ausnimmt: Geht es doch um vergangenheitspolitische Äußerungen des AfD-Funktionärs Gauland, die das Stichwort „Stolz“ liefern.

Was Gerald Wagner vorlegt, besteht unabhängig vom ephemeren Gerede der Populisten. Gesucht – und gefunden – wird ein Zugang zur Generation seines Vaters, des Wehrmachtssoldaten. Wagner erinnert sich einfühlend, doch ohne Glorifizierung. „Kalt“ nennt er den Vater im Blick auf das, was Krieg und Gefangenschaft ihm antaten, ebenso auf sein Mitlaufen. Aufgearbeitet wurde nicht.

Spannend ist Wagners Nachdenken über die von den Kriegsheimkehrern geleistete „leise“ Abkehr von moralischen und politischen Absolutheiten. Gelang der „skeptischen Generation“ (Schelsky) in ihrem Verdrängen eine „nationale Leistung“, die im Rückblick Anerkennung verdient und herausfordert, den allfällig aufdringlichen Appell an Ehrlichkeit und moralisches Flagge zeigen in Frage zu stellen? Dass die Davongekommenen Wahrheitsfrage und ideologischen Bürgerkrieg mieden und so die stabile Bonner Demokratie ermöglichten – war das die beste aller realen Optionen, wenngleich ungeeignet, auf Dauer eine gesellschaftliche Identität zu begründen? Die moralische Explosion der Jüngeren musste dem „68“ folgen.

Gaulands geschichtslosen Populismus widerlegt Wagner nicht allein politisch und moralisch. Er unterläuft ihn anthropologisch radikal: Dem eigener Hybris Entkommenen bleibt das relative Glück eines Überlebens, das sich gegen Schuld und Heilsversprechen behauptet. Ein konstruktiv ent-täuschendes Werk, dem mitdenkende Leser zu wünschen sind.

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