Norbert Mappes-Niedieck: Europas geteilter Himmel Warum der Westen den Osten nicht versteht

Ch. Links Verlag, 2021, 304 Seiten, 22,00 Euro, eBook 12,99 EUR

Der Autor ist ein deutscher Journalist, der in der österreichischen Steiermark lebt und während seiner langen journalistischen Tätigkeit als Korrespondent in Südosteuropa unterwegs war. Ein Grenzgänger, der Geschichte und Ideen der Staaten und Völker, die hinter dem Eisernen Vorhang lagen und seit 2004 zur Europäischen Union gehören oder ihr noch beitreten möchten, ausführlich darstellt. Ein Füllhorn von Fakten und Interpretationen, das die Lektüre spannend und in der Dichte zuweilen ermüdend macht. Wie das eben ist, wenn man sich durch ein „Lehrbuch“ im besten Sinne hindurcharbeitet. Die Belohnung sind die Aha-Effekte, die sich öfter einstellen, weil aktuelle West-Ost-Konflikte innerhalb der EU durch eine östliche Brille gesehen und bewertet werden – ergänzend, nicht apodiktisch. Was sich, an vielen Alltagsbeispielen bereits im ersten Kapitel illustriert, aber nicht von der Hand weisen lässt, sei die „Geringschätzung und Fremdelei … dicht unter der Oberfläche“ (S. 21) gegenüber den Osteuropäer*innen.

Das westlich-überhebliche und oft ins Bevormundende kippende Verhalten hat eine Geschichte, die im Jahr 1054 in Konstantinopel beginnt und Vertreter der West- und Ostkirche zur Klärung theologischer und kirchenpolitischer Streitigkeiten zusammenführte. Als Konfliktmuster schimmere die damalige Konstellation in heutigen säkularen Auseinandersetzungen immer wieder durch: „Der Westen erhob Anspruch auf die Anerkennung einer allgemeingültigen Wahrheit. Der Osten erhob Anspruch auf seine Besonderheit“ (S. 29). Was den Osten reize, seien weniger Inhalte, als der auftrumpfende Stil. Der Ost-West-Gegensatz entwickelte sich also nicht erst während des Kalten Krieges. Der Osten sehe sich immer mit der Aufforderung konfrontiert, nachholen zu müssen, was im Westen angeblich längst verinnerlicht sei, z.B. Demokratie (versus Totalitarismus) und Fremdenfreundlichkeit.

Auch der Notwendigkeit einer nachzuholenden wirtschaftlichen Entwicklung nach 1989 widmet Mappes-Niedieck großen Raum. Faktisch habe das aus dem Westen transferierte Kapital und Unternehmertum den Osten „freundlich übernommen“. Die daraus resultierenden Probleme wurden spätestens mit der globalen Finanzkrise 2007 offenkundig: „Je ärmer die Mitgliedsstaaten sind und je weiter östlich sie liegen, desto weiter klaffen Armut und Reichtum auch innerhalb des Landes … auseinander“ (S. 147). Während die Begeisterung im Osten für das westliche Modell schwand, lenke die Klage über einen „neuen Nationalismus“ und „Autoritarismus“ im Osten von westlichen Versäumnissen ab.

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