Lars Distelhorst: Kritik des Postfaktischen Der Kapitalismus und seine Spätfolgen

W. Fink Verlag, 2019, 296 S., geb., 29,90 EUR (auch als E-Book)

Was hilft gegen die Zunahme von Fake News und den Siegeszug von Lügen in der Politik? Gründliche Faktenchecks, Aufdeckung von Unwahrheiten und argumentative Widerlegungen? Alles richtig, sagt Lars Distelhorst, Professor für Sozialwissenschaft an der Fachhochschule Clara Hoffbauer Potsdam, aber alles nur Kurieren an Symptomen. Denn die Entwicklungen seien keineswegs zufällig, sondern wurzelten in den Grundstrukturen des Kapitalismus.

So werde heute in der Politik nicht unbedingt mehr gelogen als früher; es sei aber einfacher, mit Lügen durchzukommen. Denn statt begründeter Überzeugungen zählten mehr und mehr nur noch Stimmungen und Gefühle, die sich leichter lenken ließen. Die rationale Auseinandersetzung als Grundlage demokratischer Prozesse werde somit ausgehöhlt. Ein wachsender Teil der Gesellschaft sei gar nicht mehr daran interessiert, ob eine politische Behauptung tatsächlich wahr oder falsch sei. Es gehe vielmehr nur noch darum, ob sie einem selbst passt oder gefällt. Dieses „Phänomen der Postfaktizität“ ebne den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge ein und  lasse „politische Probleme verschwinden, indem sie ihnen den Boden der Rationalität entzieht“; es sei auf diese Weise für die politischen Akteure „weit effektiver als Krieg“ (S. 77).

Ob diese Entwicklung tatsächlich im Kapital als dem großen „Gleichmacher“ (Karl Marx) gründet und deshalb nur durch die Überwindung des Kapitalismus gestoppt werden kann, sei dahingestellt. Die politische Situation in den USA und das Erstarken der AfD in Deutschland belegen jedenfalls eindrücklich den Erfolg politischer Akteure durch „Postfaktizität“ und die damit verbundene Gefahr für die Demokratie. Zurecht stellt Distelhorst auch die Frage, wie Menschen überhaupt noch Konflikte lösen wollen, „wenn sie sich nicht länger auf ein gemeinsames Verständnis von Wahrheit beziehen können und Fakten wie der Klimawandel zu Fragen der Befindlichkeit werden“ (S. 81). Dass es fundamentaler Veränderungen bedarf, die mit FridaysForFuture allenfalls begonnen haben können, wird durch die Lektüre seines Buches erschreckend klar.

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