Lehren aus den Jahrhundertkatastrophen Mehr und mehr Naturkatastrophen sind menschengemacht

Krisenprävention wird überall auf der Welt vernachlässigt. Das belegen die schrecklichen Konsequenzen von Naturkatastrophen, wie Flut oder Erdbeben. Oft scheitern sinnvolle Vorsorgemaßnahmen an ökonomischen Interessen und politischer Fahrlässigkeit.

Die schrecklichen Bilder vom Erdbebengebiet in der Türkei sind allen noch in Erinnerung. Zehntausende starben unter den Trümmern der eingestürzten Häuser. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan sprach nach dem Beben davon, dass sich niemand auf so eine Katastrophe habe vorbereiten können. Damit reagierte er auf die Kritik, dass Hilfe vom türkischen Staat nur sehr zögerlich eintraf. Kritiker bescheinigten der Politik jedoch, dass sie die Augen verschlossen hatte vor Korruption, Betrug und Schlamperei am Bau. Schnell wurden ein paar Schuldige verhaftet, offenbar Bauernopfer. Die Ursache des Problems, die auch in höchsten staatlichen Stellen zu suchen ist, wollte man damit verschleiern. Profit und Machtgier haben einen weit höheren Stellenwert als Schutz von Menschenleben.

In den Wind geschlagene Warnungen

Dies erinnert fatal an bisherige Katastrophen, die inzwischen nicht nur im globalen Süden riesigen Schaden anrichten, sondern im Zuge des Klimawandels auch in Deutschland massive Folgen haben. Hier lebte man zu lange in der Annahme, vor großen Naturkatastrophen sicher zu sein. Deshalb wurde Krisenprävention lange Zeit vernachlässigt. Erst in jüngster Zeit ist dies wieder Thema.

Ein Blick zurück zeigt auch den Grund dafür: Es sind die überfluteten Ortschaften in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen: Bilder von Häusern in Trümmern, von Wassermassen mitgerissenen und zerbeulten Autos, verzweifelten Menschen, Elend und Not kamen über das Fernsehen in die Wohnzimmer. Da war jedem klar, dass man auch hierzulande nicht vor Großkatastrophen gefeit ist.

Die Suche nach Schuldigen hat schnell begonnen: Warnungen vor Unwettern hatte man auf die leichte Schulter genommen. Warnsysteme hatten versagt. Schnell war von mangelnder Krisenprävention die Rede. Dabei gab es schon zuvor genügend Erfahrungen aus der Katastrophenhilfe. Schon seit langem machen die evangelischen Hilfswerke Brot für die Welt und Diakonie Katastrophenhilfe darauf aufmerksam, dass man sich künftig weltweit auf extreme Wettereignisse einstellen muss. Aber es sind immer wieder die gleichen Argumente, mit denen sich die Verantwortlichen gegen Vorwürfe verteidigen. So meinte auch der türkische Präsident, dass man sich gegen eine Katastrophe von so großem Ausmaß nicht ausreichend wappnen könne, obwohl Experten ausdrücklich vor einer Großkatastrophe gewarnt hatten. Naturkatastrophen werden gern als ein unabwendbares Schicksal dargestellt.

Fatales Klischee

Auch Erdogan bedient dieses fatale Klischee: Danach brechen Naturkatastrophen über die Menschen herein. Sie werden deshalb auch anders beurteilt als menschengemachte Katastrophen, wie Bürgerkriege oder schlechte Regierungsführung. Aber die Erfahrungen in der humanitären Hilfe zeigen deutlich, dass nahezu alle Naturkatastrophen in den vergangenen Jahrzehnten zu einem großen Teil menschengemachte Ursachen hatten. Und sie waren durchaus auch vorhersehbar.

Die heute eintreffenden Naturkatastrophen waren lange vorhersehbar.

Ein krasses Beispiel ist der Zyklon Nargis in Myanmar. Im Jahr 2008 riss er rund 140.000 Menschen in den Tod. Der Wirbelsturm wütete im weitverzweigten Delta des Irrawaddy-Flusses. Das Gebiet ist dicht besiedelt, weil in dem überbevölkerten Land Menschen auch unzugängliche Gebiete besiedeln. Wenn sie dann das Land kultivieren und deshalb die schützenden Mangrovenwälder abholzen, sind sie in dem topfebenen Gelände den Unwettern schutzlos ausgeliefert. Sie reißen alle in den Tod.

Dies ist ein Beleg dafür, dass der Zyklon nur seine tödliche Kraft entfalten konnte, weil die Menschen in die Natur eingegriffen hatten. Obwohl es offiziell verboten war, hatte die Regierung stillschweigend geduldet, dass die Mangroven entlang der Küste abgeholzt wurden, um dafür Reisfelder sowie Aquakulturen für Garnelen und Krabben für den Export nach China anzulegen.

Es ist bekannt, dass die Anrainer am Golf von Bengalen, wie Myanmar und Bangladesch, als erste dem Risiko der vermehrten Extremwetterlagen ausgesetzt sind. Auch beim Tsunami zeigte sich, wie sehr Küstenregionen zur Falle werden können, wenn zu nah am Wasser gebaut wird.

Es ist eine Erfahrung, die auch in der Türkei und in Deutschland augenscheinlich ist: Dort, wo die Menschen die natürlichen Gegebenheiten in sträflicher Weise missachten, Raubbau an der Natur betreiben, Gebäude an Stellen bauen, die einem Hochwasser schutzlos ausgeliefert sind, oder Häuser nicht erdbebensicher machen, kommt es zur Katastrophe. Experten können noch so viele Warnungen aussprechen. Und betroffen sind nicht mehr nur wie bisher meist die Ärmsten der Armen.

Wann Spendengelder fließen

Die Hilfsbereitschaft der Menschen bei Naturkatastrophen ist immer enorm. Dagegen gehen für lebensnotwendige Hilfe in Bürgerkriegsgebieten wie Somalia oder Sudan fast keine Spendengelder ein. Dort ist es bitter, kleine Kinder verhungern zu sehen, weil es nicht genügend Hilfe gibt.

Die Folgen des Erdbebens in der Türkei erinnern fatal an das heftige Erdbeben in Haiti, das im Jahr 2010 nach offiziellen Angaben nahezu 300.000 Tote forderte. Die Menschen starben massenhaft in der Hauptstadt Port-au-Prince, wo Hochhäuser wie Kartenhäuser zusammenstürzten, weil sie aufgrund der grassierenden Korruption mit schlechtem Zement gebaut waren. Architekten in der Türkei haben schon vor der Katastrophe davor gewarnt, dass auch in ihrem Land Bauvorschriften wegen der Korruption und staatlicher Zugeständnisse sträflich missachtet wurden.

Der Unterschied zeigte sich im Erdbebengebiet. Ein vorschriftsmäßig errichtetes Gebäude war zwischen Trümmerbergen fast unversehrt. Das ist auch in Chile so, wo schon lange erdbebensichere Gebäude errichtet werden. Zwar nehmen diese auch Schaden, aber sie begraben keine Menschen unter Trümmern. Aber bei geringen Opferzahlen schlägt sich ein Erdbeben auch nicht als spektakuläres Ereignis in den Medien nieder. Spenden fließen meist nur bei vielen Opfern.

Viel mehr wäre möglich

Erschreckend ist, wie wenig die Verantwortlichen weltweit auf den Katastrophenfall vorbereitet sind. Es ist der Glaube an die Beherrschbarkeit der Natur mit technischen Mitteln, der auch im Blick auf den Klimawandel zur Fahrlässigkeit führt. Dabei sollte es eine Warnung auch für die Menschen hierzulande sein, denn in Deutschland ist das Problem der Überflutungen schon lange bekannt. Aber die Maßnahmen hinken wegen des enormen Aufwands den Anforderungen hinterher. Konzepte gibt es für alle Weltgegenden, umgesetzt werden davon leider nur Einzelmaßnahmen. Und die nächsten Katastrophen, wie Dürren und Hungersnöte in Afrika oder Überschwemmungen in Asien mit vielen Toten sind schon in Sicht.

Der Glaube an die technische Beherrschbarkeit der Natur hat zu Fahrlässigkeit geführt.

Ein Gesamtkonzept würde auch überstaatliche Kooperationen nötig machen und politische Kompromisse, die die Verantwortlichen nicht eingehen wollen. Dagegen macht sich nationaler Egoismus breit. Und die gegenwärtigen kriegerischen Auseinandersetzungen stehen einer dringenden weltweiten Zusammenarbeit im Blick auf mögliche Naturkatastrophen diametral entgegen. Wenn man an mögliche künftige Probleme wie den weltweiten Wassermangel denkt, könnten durch rechtzeitiges Handeln unzählige Todesfälle verhindert werden. Aber die internationale Gemeinschaft scheint genauso wie einzelne Staaten aufgrund des Einflusses von ökonomischen und politischen Interessengruppen wie gelähmt.

Im Epizentrum der Katastrophe

Ein Beispiel aus dem ländlichen Hohenlohe zeigt, wie aufwändig und mühsam Vorsorge ist. Frank Harsch ist der Bürgermeister von Braunsbach. Der Ort in Baden-Württemberg war das Epizentrum einer Unwetterkatastrophe von bis dahin ungekannter Wucht. Eine Sturzflut legte ihn in Trümmer. Wunderbarerweise kam niemand zu Tode. Der Rathauschef denkt mit Schrecken zurück. Er ist einer, der seither nicht locker gelassen und Katastrophenvorsorge ernst genommen hat.

Die beste Vorsorge wäre für ihn, wenn die Grundstücke oberhalb des Orts so bepflanzt werden könnten, dass sie möglichst viel Wasser speichern. „Jeder Liter, den wir dort oben zurück halten, ist Gold wert“, sagt Harsch. Er versteht durchaus, dass er mit seinem Ansinnen auch auf Widerspruch stößt. Denn diesem Vorhaben stehen die auch für ihn berechtigten Interessen der Landwirte entgegen, die hier zumeist Mais anbauen, der viel zu wenig Wasser zurückhalten kann.

Die Erfahrungen der humanitären Hilfe zeigen, dass die Krisenprävention eine komplexe Sache ist. Da müssen Klima- und Naturschützer, Stadtplaner und Politiker, Ehren- und Hauptamtliche, Verwaltung und Bevölkerung gemeinsam handeln. Es ist höchste Zeit, endlich ernsthaft damit zu beginnen.

Zum Weiterlesen

Schreiben Sie einen Kommentar