Zwischen Acker und Gabel Vom nachhaltigen Speiseplan zur planetarischen Diät

Mehr Nachhaltigkeit auf den Tisch – darum geht es zwingend. Dafür müssen Produzenten und Verbraucher, Politik und Wissenschaft zusammenarbeiten. Es gibt viele gute Initiativen, aber es fehlt am politischen Durchsetzungswillen und einer übergreifenden Strategie.

Dass beim Essen „gemäkelt“ wurde, mochte meine Mutter nicht. Also aß ich mehr oder weniger, was auf den Tisch kam. Das Gute dabei: In unserer Familie wich mein kindlich-jugendlicher Geschmack nicht sehr ab von dem meiner Mutter, und sie bestimmte die Ernährung – von einer „Planetary Health Diet“ (mehr dazu später) war noch keine Rede. Mein „kleiner“ Bruder – geboren, als ich zu studieren begann – liebäugelte im Restaurant nach der ersten Bestellung (Fleisch!) mit einem zweiten Steak; ich wuchs auf in der Pfalz, in der gerade gegründeten Bundesrepublik Deutschland, und es war kein Geheimnis, dass in vielen Familien das größte Stück Fleisch dem Vater vorbehalten blieb, bzw. Fleisch ein Synonym für „Sonntagsbraten“ war. Hunger litt ich nie, mangelhaft ernährt wurde ich auch nicht. (Pausen-)Brot wegwerfen oder Reste auf dem Teller lassen („waren die Augen mal wieder größer als der Magen?“), wurde getadelt („manche wären froh, wenn sie überhaupt so viel zu essen hätten!“).

Gesund und/oder schmackhaft?

Ob das immer „gesund“ war, was ich aß, weiß ich nicht. Da ich mich „eigentlich vernünftig“ zu ernähren meine, lese ich bis heute nicht das Kleingedruckte auf der Verpackung von Lebensmitteln oder „Schnäkereien“. Apropos „gesund“: Englische Forscher wollen herausgefunden haben, dass man Kindern nicht mit Sprüchen kommen sollte, wie: „Das ist gesund“, um sie zu motivieren. Stattdessen führe eher zum Ziel, Essen schmackhaft, aber kommentarlos darzubieten. Warum? Weil Kinder zu der Ansicht neigen, beides könnten Lebensmittel nicht sein: gesund und schmackhaft. Wie sie wohl darauf kommen?

Und gleich noch ein Forschungsprojekt aus England: In einer simulierten Kantine einer Londoner Universität wird die Menü-Auswahl mit Hilfe einer Kennzeichnung in Ampel-Farben beeinflusst. Ein entsprechend farblich gekennzeichnetes Gericht ist z.B. umweltfreundlich (gemessen an CO2-Emissionen) – und manchen Versuchsteilnehmern sogar wichtiger als ein gesundes. Der Studienleiter empfiehlt dieses System zur Nachahmung für Restaurants, Bars usw.

Die Politik hinkt hinterher

Natürlich ist auch mir wichtig, nicht viel Ungesundes in mich hineinzustopfen. Und ich wäre für jede einfache Entscheidungshilfe dankbar und fühlte mich auch nicht bevormundet, wenn ich z.B. anhand einer Ampel selbst besser entscheiden könnte. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner lehnt eine Nährwertkennzeichnung für Lebensmittel in den Ampelfarben Rot, Gelb und Grün aber ab. Weil das die Verbraucher „verwirre“ (mich eher nicht!). Sie macht sich unterdessen noch Gedanken über eine „Gesamtstrategie“.

Ähnlich sieht es beim Tierwohl-Label aus, durch das Fleisch-Käufer/innen über die Bedingungen der Tierhaltung informiert werden sollen: Große Discounter-Ketten wie Aldi, Lidl, Penny oder Kaufland haben im letzten Jahr ein solches Label eingeführt, durch das Fleischprodukte in vier Stufen zwischen konventioneller Massentierhaltung und EU-Bio-Vorgaben eingeordnet werden. Auch wenn die Standards noch zu wünschen übrig lassen, meinen auch Umwelt- und Tierschutzverbände: Besser als nichts! Bis zur Einführung eines angekündigten staatlichen Tierschutz-Labels wird es voraussichtlich noch bis 2020 dauern.

Der KlimaTeller

Ein “KlimaTeller” verursacht mindestens 50% weniger CO2 als der Durchschnitt aller Gerichte (Foto: Engin_Akyurt, Pixabay.de, CC0).

Derweil handeln andere schon (ganz in meinem Sinn). Nach dem afrikanischen Motto: „Wenn viele kleine Leute an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte tun, dann können sie das Gesicht der Welt verändern.“ Man sollte nicht ganz unterschätzen, was sich bewegen lässt, wenn einzelne die Initiative ergreifen. Zum Beispiel Restaurantinhaber, die erfolgreich werben mit einer klimafreundlichen Gestaltung der Speisekarte. Köche und Köchinnen bedienen sich dabei etwa einer „KlimaTeller“ Web-App, messen die CO2-Emisssionen ihrer Speisen und machen sie dem Gast transparent – schließlich wird rund ein Fünftel aller Treibhausemissionen in Deutschland durch die Ernährung verursacht. Ein „KlimaTeller“ steht zum Verzehr bereit, wenn er mindestens 50% weniger COals der Durchschnitt aller Gerichte verursacht. Ein Trend ist das in der Gastronomie zugegebenermaßen noch nicht, aber ein Anfang, der Schule machen könnte.

Zu gut zum Wegwerfen

Auch an anderen Stellen findet in Hotels und anderen gastronomischen Betrieben ein Umdenken statt. Gerade in Großstädten wie Berlin, Hamburg, München u.a. haben sie die Konsequenz aus der erschütternden Information der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen gezogen, wonach mehr als ein Drittel aller produzierten Lebensmittel zwischen „Acker und Gabel“ verloren geht. Lebensmittel werden gerettet und etwa über die App „Too good to go“ portioniert in einer Essensbox zum Preis zwischen zwei und fünf Euro angeboten, kurz vor „Laden“-schluss und bevor die Reste in den Müll wandern. Ein soziales Engagement, das nun wirklich nichts kostet und hilft, ohne dass sich die Nutznießer durch den Ausweis von Bedürftigkeit sozial stigmatisiert fühlen müssen.

Und wie mancherorts auf zentralen Plätzen mitten in einer Stadt – zuletzt sah ich das im Sommer in Innsbruck – überdimensionierte Sitzkissen ausgelegt und „gebrauchte“ Bücher zum Lesen, zu kostenloser Ausleihe oder zum Tausch angeboten werden, so gibt es inzwischen auch über eine Stadt verteilt aufgestellte Kühlschränke, die von Nutzern gefüllt und geleert werden. „Fair-Teller“ werden solche offenen Regale oder Kühlschränke genannt (organisiert z.B. über die Internetplattform foodsharing.de).

Auf dem Weg zu einer „Gesamtstrategie“

Übrigens, die Politik: Seit 2015 sind Supermärkte in Frankreich ab einer bestimmten Verkaufsfläche dazu verpflichtet, aus den Regalen genommene Lebensmittel einer karitativen Organisation zu spenden. Und an Schulen soll Unterricht gegen die Verschwendung von Lebensmitteln in den Lehrplan aufgenommen werden. Auch in Deutschland könnte das als Teil einer „Gesamtstrategie“ Gesetz werden. „Man“ müsste es halt wollen. Dann würden nicht länger elf Millionen Tonnen Lebensmittel pro Jahr weggeworfen, umgerechnet 82 kg von jedem Deutschen.

Man müsste es halt wollen.

Mehr Nachhaltigkeit auf den Tisch – darum geht es zwingend. Dafür müssen Produzenten und Verbraucher, Politik und Wissenschaft zusammenarbeiten. Damit es gelingt (da hätten wir dann auch eine „Gesamtstrategie“), sollten wir uns bewusst(er) ernähren und nachhaltig(er) einkaufen, die Umwelt schützen und zu (noch mehr) sozialem Engagement bereit sein wollen.

Die Planetarische Diät

Viele Wissenschaftler weisen schon lange auf die Notwendigkeit hin, unser weltweites Ernährungssystem radikal zu transformieren, um den Planeten zu schonen und alle Menschen angemessen zu ernähren. „Die weltweite Nahrungsmittelproduktion bedroht die Stabilität des Klimas und die Elastizität des Ökosystems. Sie treibt am stärksten die Schädigung der Umwelt voran und die Überschreitung der planetarischen Grenzen.“ So steht es in dem in diesem Jahr veröffentlichten Bericht mit dem Titel Planetary Health Diet der EAT-Lancett Commission (eatforum.org/eat-lancet-commission/eat-lancet-commission-summary-report/). Daran mitgearbeitet haben 37 Forscherinnen und Forscher aus 16 Ländern, einer der beiden Vorsitzenden ist Professor Johan Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgeforschung. Der Titel des Berichts spielt auf die Tatsache an, dass es um die Vermeidung von Krankheiten durch falsche Ernährung geht (daran sterben jährlich 11 Millionen Menschen), aber auch um die Rettung der Biodiversität (Artenvielfalt der Fauna und Flora) eines Ökosystems, auf das der Mensch letztlich angewiesen ist.

Zusammenwirken vieler Maßnahmen

Dafür müssten wir sowohl unsere Essgewohnheiten als auch unsere landwirtschaftliche Produktion ändern, sprich die Art und den Umfang des Einsatzes von chemischen Stoffen überdenken, die zum Beispiel am Vogel- und Bienen-Sterben schuld sind, am „stummen Frühling“ (so schon 1962 die Biologin und Schriftstellerin Rachel Carson, eine Ikone der frühen Umweltbewegung) über den Feldern einer intensiven Landwirtschaft in Europa und Nordamerika.

Um zu retten, was zu retten ist, müssen wir sowohl unsere Essgewohnheiten als auch unsere landwirtschaftliche Produktion ändern. (Foto:: Bruno Glätsch, Pixabay.de, CC0)

Viele Maßnahmen müssten ineinandergreifen, um zu retten, was zu retten ist. So fordert die Kommission z.B. eine Null-Expansionspolitik für neue landwirtschaftliche Flächen in natürlichen Ökosystemen und artenreichen Wäldern sowie eine „Half-Earth-Strategie“, um 80 Prozent der Biodiversität der vorindustriellen Zeit dadurch zu erhalten, dass 50 Prozent der Erde als intakte Ökosysteme bewahrt oder wiederhergestellt werden.

Smart farming

Eine „neue Revolution“ der Landwirtschaft und Fischerei könnte den Spagat zwischen Quantität und Qualität schaffen, zwischen erforderlicher Ernährungs-Menge und -Vielfalt, die die menschliche Gesundheit und Nachhaltigkeit der Umwelt fördert. Die Forscher gehen davon aus, dass durch eine „nachhaltige Intensivierung“ der landwirtschaftlichen Produktion die „Ertragslücken“ auf dem derzeitigen Ackerland um „mindestens 75 Prozent verringert“ werden könnten. Wozu es u.a. einer radikalen Verbesserung der Dünger- und Wassernutzung bedarf.

Dafür steht „smart farming“: die Anwendung verschiedener High-Tech-Innovationen. Mit Hilfe digitaler Daten sollen Boden-, Klima- und Standortbedingungen möglichst exakt erfasst und der Einsatz von Wasser, Pestiziden und Düngern präzise gesteuert werden. So wäre in der Tat weniger mehr! Und digitale Innovationen wie der 5G-Standard für schnelles Internet gerade in ländlichen Regionen eine Chance für die „Revolution“ der Produktion. Kürzlich hörte ich einen Agraringenieur eines pfälzischen Chemiekonzerns über unsere Bundesbildungsministerin klagen, weil nach deren viel zitierter Auffassung ein 5G-Netz „nicht an jeder Milchkanne notwendig“ sei.

Ein neuer Speiseplan

Doch an der Notwendigkeit eines grundlegenden Umdenkens bei der Zusammensetzung unserer täglichen Mahlzeiten führt nach Auffassung der erwähnten „Diet“, dem Ernährungsplan der Zukunft, nichts vorbei. Geschrieben wurde es schon oft, dass wir viel Gemüse, Früchte und Nüsse und viel weniger rotes Fleisch, Geflügel und Eier (Europa/Nordamerika) und Fisch (Ostasien) konsumieren sollen. Den Deutschen z.B. wird nur noch ein Zehntel ihres jetzigen Fleischkonsums zugestanden. Bleibt zuletzt die Frage: Wer will da „mäkeln“? Und welche internationale „elterliche Autorität“ hat die Macht, diesen Speiseplan durchzusetzen?

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